Guttenberg, Netzer und ein Unschuldiger

Quotenmeter.de sah den ZDF-Jahresrückblick mit Thomas Gottschalk am Sonntagabend.

Thomas Gottschalk eröffnete – wie sollte es auch anders sein – seinen ZDF-Jahresrückblick mit einer Stellungnahme zum Unfall der vorwöchentlichen «Wetten, dass..?»-Show, in der sich Kandidat Samuel Koch schwer verletzte und anschließend im künstlichen Koma lag. Da in den Medien vor einigen Tagen noch die Absage Gottschalks für die Moderation von «Menschen 2010» kolportiert wurde, war eine Konfrontation mit dem Thema zu Beginn der Sendung unumgänglich. Der Moderator sprach in den ersten Minuten des Jahresrückblicks mit Samuels Vater über das Unglück sowie die schweren Stunden, die diesem folgten. Man mag daraus schließen, dass das ZDF für dieses Interview auch mit der Steigerung der Einschaltquote und der voyeuristischen Neugier kalkulierte – wer das Gespräch mit dem Vater gesehen hat, wird das Gegenteil erkennen: Gottschalk wollte seine Quote nicht steigern, sondern Samuels Vater wollte der Öffentlichkeit sein Herz ausschütten und die Millionen Zuschauer über den Gesundheitszustand seines Sohnes informieren. Er wollte im Fernsehen Stellung nehmen; Gottschalk bot ihm die größtmögliche Plattform dafür.

In dieser Hinsicht begann der ZDF-Jahresrückblick wohl anders als jeder zuvor, wirklich trauriger und auch stiller als je zuvor. Das Studio der Show selbst hatte ein ähnliches Design wie in den vergangenen Jahren; man platzierte nicht ohne Grund die Gottschalk`sche «Wetten, dass..?»-Couch auch wieder im Mittelpunkt zur Begrüßung der Gäste. Der erste von ihnen war Polit-Star Karl-Theodor zu Guttenberg. Eine verbale Spitze gegen den Jauch-Jahresrückblick ließ Thomas Gottschalk gleich folgen, indem er Guttenberg nicht wünschte, so wie Westerwelle nach einem katastrophalen Polit-Jahr bei RTL auftreten zu müssen – denn Westerwelle war 2009 noch als Wahlsieger im ZDF-Rückblick zu Gast, in diesem Jahr schließlich bei RTL. Von der Redaktion des ZDF-Magazins «Frontal 21» wurde anschließend ein mehrminütiger Clip zum Polit-Jahr mit der neuen Regierungskoalition gezeigt, der den – um euphemistisch den Altkanzler Schröder zu zitieren – etwas „suboptimalen“ Start der neuen Regierung satirisch verarbeitete. Und dies in einem Jahresrückblick: hervorragend!

Auch 2010 spielte die Natur verrückt: Die Flut in Pakistan, das Ölunglück der „Deepwater Horizon“, das Schneechaos in Europa sowie der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökül, der den europäischen Flugverkehr für längere Zeit lahmlegt, und das verheerende Erdbeben in Haiti. Letzteres wurde im Studio weiter diskutiert. Zu Gast war unter anderem ZDF-Wissenschaftsexperte Prof. Harald Lesch, der die zahleichen Umweltkatastrophen des Jahres einzuordnen versuchte und die Schuld des Menschen anprangerte. Das Umweltbewusstsein schärfen – dies war laut Thomas Gottschalk das Motto, um diese sonst wenig medientauglichen Themen auch in diesem Jahresrückblick anzusprechen. Anders als beispielsweise Günther Jauch, der Katastrophen wie das Öl-Unglück im Golf von Mexiko nur am Rande behandelte.

„Stuttgart 21“ und die neue Protestbewegung der Deutschen: Mit einer Schalte zu Oliver Welke in das Studio der «heute-show» wurde dieses Thema satirisch aufbereitet. Dies gelang gewohnt böse und lustig, so wie man es von diesem Format gewöhnt ist. Allerdings ist es problematisch, wenn sich in dem Jahresrückblick die Berichterstattung über Demonstrationen gegen den neuen Stuttgarter Bahnhof lediglich auf Satire beschränkt – und dies tat sie in diesem Fall. Gottschalk ließ eine ernsthafte Aufbereitung der „Stuttgart 21“-Diskussion vermissen, wie sie bei RTL zumindest in Ansätzen erkennbar war. Stattdessen machte man die Bergungsaktion der chilenischen Minenarbeiter zum Großthema – das obligatorische Interview mit einem der geretteten Kumpel gestaltete sich wie bei Jauch zäh und wenig interessant.

Mit der zweiten Stunde und dem Themenblock Sport verlor sich der ZDF-Jahresrückblick dann im Leerlauf, auch wenn der alte neue Formel1-Pilot Michael Schumacher per Live-Schalte begrüßt wurde. Sportler eignen sich grundsätzlich nur bedingt als Interviewpartner (wobei Schumacher gewiss eine positive Ausnahme darstellt), weil sie im Umgang mit den Medien gelernt haben, in Allgemeinplätzen und Phrasen zu sprechen, den Zuschauern wenig Neues und Interessantes mitzuteilen. Daher begrüßte Gottschalk zum Rückblick der Fußball-WM in Südafrika keine Spieler (wie dies beispielsweise Günther Jauch und Johannes B. Kerner taten), sondern die beiden Moderatorenteams der Öffentlich-Rechtlichen: Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn sowie Günter Netzer und Gerhard Delling nahmen auf Gottschalks Couch Platz. Es entwickelte sich eine unterhaltsame Diskussion über die zerbrochene Ehe Delling-Netzer, die Vuvuzela-Tröten und die Highlights der deutschen Nationalmannschaft.

Zum Teil des Konzepts von «Menschen 2010» gehören titelgetreu auch die bewegenden Einzelschicksale des Jahres. Gottschalk begrüßte beispielsweise James Bain, einen US-Amerikaner, der 35 Jahre unschuldig im Gefängnis saß und erst aufgrund eines DNA-Tests in diesem Jahr freigelassen wurde. Erfreulicherweise ließ die Sendung diese tragische Geschichte nicht für sich stehen, sondern ordnet sie in den Kontext ein. In diesem konkreten Fall hatte man neben dem „Opfer“ Bain auch einen Experten zu Gast, der in einer Organisation arbeitet, die sich für unschuldig Verurteilte einsetzt.

Ergänzt wurde die Show durch zuweilen unterhaltsame Segmente wie die Diskussion der Schauspieler Mario Adorf und Iris Berben über das Älterwerden und ernste Themen wie die Loveparade-Katastrophe in Duisburg, die mit einer Reporterin sowie NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft angemessen aufbereitet wurde.

Im Ganzen unterschied sich der ZDF-Jahresrückblick gegenüber den Kollegen von Sat.1 und RTL leicht durch die andere Akzentuierung der Themen. Die zahlreichen Naturkatastrophen beispielsweise nahmen einen deutlich größeren Platz in der Show ein als bei Kerner und Jauch – dafür vermied man beispielsweise den Rückblick auf den Missbrauchs-Skandal deutscher Kirchen, der in diesem Jahr aufgedeckt wurde. Weiterhin setzte Gottschalk aber auch bewusst auf den Entertainment-Faktor: Neben der Schalte zu «heute-show»-Moderator Oliver Welke und der Satire zum Politjahr gab es auch einen Stand-Up-Auftritt von Michael Mittermeier gegen Ende der Sendung. Gottschalk-Gespräche gelten aufgrund seiner beschränkten Interview-Fähigkeiten gemeinhin als belanglos und uninspiriert – wie aber schon im vergangenen Jahr war der Moderator besonders bemüht, seinen Gästen unkonventionelle und interessante Fragen zu stellen. Dies ist in den meisten Fällen gelungen, wenn er auch hinsichtlich der weiterhin ausbaufähigen kommunikatorischen Fähigkeiten hinter Kerner lag. «Menschen 2010» gestaltete sich größtenteils unterhaltsam und informativ, hatte nur punktuelle Schwächen bei den üblich medial ausgeschlachteten Boulevard-Themen. Besonders die erste Stunde der Show gehörte zum Besten, was der Zuschauer im kollektiven Jahresrückblicks-Karussell auf den Bildschirm bekam. Beängstigend nur, dass Gottschalk seine dreistündige Show mit den Worten beendete: „Das war Menschen 2004“. Hoffen wir, dass er im kommenden 2005 wieder voller Konzentration dabei ist, auch in den letzten Sekunden der Show…
13.12.2010 08:54 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/46412