Das Serien-Update: «Fringe»

Zwei Welten, zwei Geschichten: In der dritten Staffel zieht «Fringe» das Tempo an und stellt die Mythologie in den Vordergrund.

Neu bei Quotenmeter.de: Jede Woche bespricht unsere Serien-Redaktion die aktuelle Entwicklung einer US-Serie. Was ist gut, was ist schlecht, was ist neu? Und wie sind die Aussichten für den deutschen Zuschauer? Auf Spoiler wird natürlich hingewiesen.

Die zweite Staffel der Mysteryserie aus dem Hause J. J. Abrams ließ ihre Zuschauer mit einem mächtigen Cliffhanger zurück. Das «Fringe»-Team tauchte ein in das parallele Universum, in dem William Bell wohnte und in das Peter augenscheinlich vom parallelen Walter entführt wurde. Tatsächlich gelingt die Rettung Peters, dafür bleibt Olivia eingesperrt in der fremden Welt zurück, während sich ihr Gegenstück unter die Rückkehrer mischte. Zu Beginn der dritten Staffel gelingt Olivia die Flucht bis sie quasi freiwillig in die jenseitige Fringe Division zurückkehrt, da ihr Verstand mit dem der anderen Olivia überschrieben wurde.

Die Macher von «Fringe» standen nach der zweiten Staffel am Scheideweg: Setzt man das bisherige Konzept fort, neuen Zuschauern auf Kosten der Haupthandlung einen Zugang zur Serie zu bieten oder spielt man die Komplexität tiefer aus ohne Rücksicht auf eventuelle Neulinge? Man entschied sich wie einst bei «Lost» für die zweite Variante. So erzählt die dritte Staffel lange zwei komplett isolierte Handlungsstränge mit Olivia in der anderen und Peter und Walter in dieser Dimension und gibt den roten Faden der Mythologie kaum aus der Hand.

Das tut der Qualität der Serie sichtbar gut. Wurde im vergangenen Jahr noch bemängelt, dass «Fringe» durch Stand-Alone-Folgen immer wieder das Tempo herausnehme, so wird in der ersten Hälfte der dritten Staffel die Handlung fast wöchentlich vorangetrieben, wenn auch weiterhin oft in Fallstrukturen verpackt. Die Folgen in der Parallelwelt - gekennzeichnet durch ein eigenes rotes Intro - spielen all das aus, was die Stories über parallele Universen bislang vermissen ließen und präsentieren eine in sich stimmige, vertraut wirkende und doch extrem fremdartige Welt.

Wer Musterbeispiele für Schauspieler in Doppelrollen sehen will, der wird bei «Fringe» auf jeden Fall fündig. Während John Noble seinem anderen Walter, auch Walternativ genannt, bereits in der zweiten Staffel ein prägendes Profil verleihen konnte, brilliert insbesondere Anna Torv in ihrer Doppelrolle, die ihr im Laufe der Staffel immer wieder eine Gratwanderung zwischen den Eigenschaften von Olivias beiden Persönlichkeiten abverlangt, die fließend ineinander übergehen. Nur darauf, auch Joshua Jackson mit einem gewollt wirkenden Kniff in den Parallelwelt-Folgen einzubinden, hätte man verzichten können. Genug andere interessante Persönlichkeiten bevölkern diese Welt. Aber hier wollte man wohl seine Fans nicht verprellen.

Als man sich bei «Lost» dafür entschied, den Zugang zur Story zu schließen, hatte die Serie anders als «Fringe» eine riesige Fangemeinde hinter sich. Schon deshalb war diese Entscheidung bei «Fringe» ungleich riskanter und könnte der Serie schlussendlich das Genick brechen. Denn die Zukunft von «Fringe» sieht nach schlechten Quoten im Herbst und einer Verlegung auf den "Todesslot" am Freitag ab Frühjahr gar nicht rosig aus. Bezieht man mit ein, dass FOX im nächsten Herbst drei Stunden seiner ohnehin kleinen Primetime neu mit «X Factor» belegen wird, deutet einiges auf ein Ende von «Fringe» nach Staffel drei hin.



Zwei Welten, zwei Geschichten. Es erwartete sicherlich kaum jemand, dass Olivia direkt im Staffelauftakt wieder in "unsere" Welt zurückkehren würde, alleine schon, weil man sich so die Chance genommen hätte, die falsche Olivia als Maulwurf agieren zu lassen. Wie diese separaten Handlungen dann aufbereitet wurden, war allerdings schon bemerkenswert. Denn die Rückkehr von Olivia bildet lange Zeit nicht den kompromisslosen Mittelpunkt, sondern «Fringe» bleibt «Fringe» - nur unter etwas anderen Vorzeichen.

Besonders wagemutig die Idee, auch in der Parallelwelt in einigen Folgen das Fringe-Team und die Lösung eines Falles als Dreh- und Angelpunkt der Episoden zu präsentieren und zu erwarten, dass sich der Zuschauer mit den fremden Gestalten und einer Olivia, die sich ihrer selbst nicht bewusst ist weiterhin identifizieren kann, was aber erstaunlich gut gelingt. Tatsächlich sind es sogar diese Elemente, die dort am besten funktionieren, wie die brillante Episode "The Plateau" (deutscher Titel: "Milo") zeigt.

So sehr die Parallelwelt auch mit ihren Geschichten zur Fringe-Division, dem Zusammenbruch des Raum-Zeit-Gefüges und der Bernstein-Versiegelung fasziniert: Das eine Element, das früher oder später in den Vordergrund treten musste - Olivias Flucht - hat so seine Schwächen. Es ist sowohl Peters Einbindung als Halluzination aus Liebe sowie die ärmliche Erklärung, dass Olivia die Gehirnwäsche überwindet, weil sie halt einfach stark genug dazu ist, die einen leicht bitteren Beigeschmack hinterlassen. Zu guter Letzt lässt die Rückkehr nach einem gescheiterten Versuch auch eine Episode zu lange auf sich warten.

Ähnlich gut wie in der Parallelwelt gelingt die Vermischung von Charakterdrama, Mythologie und Fall der Woche. Hier beschränkt man sich nicht darauf, zu zeigen, wie die fremde Olivia die Gruppe infiltriert und sogar mit Peter eine Beziehung eingeht, deren Konsequenzen absehbar sind. Zusätzlich installiert «Fringe» mit den "First People" ein extrem interessantes neues Stück Mythologie - wenn auch eines, dessen Glaubwürdigkeit keinem zweiten Blick stand hält.

Noch im Herbst löste «Fringe» die Story um die doppelte Olivia auf und ging mit der schauderhaft-beschaulichen Parabel "Marionette" in die Winterpause, die zeigt: Auch weiterhin werden die Charaktere in erster Linie mit sich selbst zu kämpfen haben. Aber nachdem Walternativ das Cortexiphan hat - seine Waffe im Krieg gegen die diesseitige Welt - dürfte auch der Konflikt der Welten bald eskalieren. In jedem Fall sollte «Fringe» sein vorgelegtes Tempo aufrecht erhalten. Alleine schon, um im Notfall die Serie im Frühjahr würdig beenden zu können.
12.01.2011 14:30 Uhr  •  Stefan Tewes Kurz-URL: qmde.de/46999