Die Kritiker: «Die zwei Leben des Jack Terry»

Story
Im Jahr 1930 als Sohn einer jüdischen Familie geboren, überlebte Jakub Szabmacher wie durch ein Wunder im bayerischen Konzentrationslager Flossenbürg. Seine Familie wurde im Holocaust getötet und so fing Jacub Szabmacher als Jack Terry in den USA ein neues Leben an. Erst machte er Karriere als Ingenieur, bevor er Medizin studierte und später als Therapeut Opfern des Nationalsozialismus half. Zugleich arbeitet er daran, die Erinnerungen an die Gräueltaten aufrechtzuerhalten.

Kritik
Es ist ein Schicksal, das in seinem schrecklichen Ausmaß so kollektiv omnipräsent und homogen scheint, aber ob der persönlichen Individualität jedes Opfers doch einzigartig ist: Jack Terry alias Jakub Szabmacher erlebt als Neunjähriger den deutschen Überfall auf Polen und muss ansehen, wie SS-Kommandos seine Eltern und Geschwister brutal ermorden und deportierte Juden in seiner Heimatstadt inhaftiert werden. Durch Zufälle und Glück überlebt Terry und kommt als jüngster Häftling in das Konzentrationslager Flossenbürg in der Oberpfalz. Als die Alliierten das Lager am 23. April 1945 befreien, hat Terry seine Familie und seine Jugend verloren - aber er lebt. In den USA fängt er unter neuem Namen ein zweites Leben an, hat Familie, Kinder, macht Karriere und leistet Erinnerungsarbeit.

ZDFneo hat Terry bei seinen Projekten begleitet und rekonstruierte die Lebensgeschichte des 80-Jährigen in einer spannenden Dokumentation. Das 45-minütige Portrait eines bewegenden Lebens kommt ohne Zahlen-, Daten- und Fakten-Auflistungen aus, drückt nicht auf die Tränendrüse, stilisiert keine Helden. Stattdessen wird der Zuschauer in die Erlebnisse eines Zeitzeugen eingeführt, dem man ansieht, dass er manchmal selbst kaum begreifen kann, wie er überlebt hat. Heute sagt er, dass es sein Glück war, kindlich naiv, ja dumm gewesen zu sein: «Wir wussten nicht, dass man nicht leben kann unter solchen Bedingungen.» Solche Sätze sind prägend, solche Sätze lassen den Zuschauer nachdenklich zurück und wirken nach, solche Sätze fehlen in den idealisierten Mythen der Weltkriegsdokumentationen vieler Pseudodokumentationen. Gleichzeitig geht die Dokumentation noch einen Schritt weiter, denn Terry ist kein Mensch, der in der Vergangenheit lebt. Er hat seine Möglichkeiten in den USA genutzt und ist besorgt, wie sich die Welt entwickelt.

Er stellt Fragen zur heutigen Politik, befürchtet, dier Nationalsozialismus könne zu einer weiteren Fußnote in der Weltgeschichte verkommen und offenbart die heuchlerische Instrumentalisierung der Überlebenden: «Es ermöglicht Deutschland, seine Vergangenheit aufzuarbeiten. Ich bemerke oft, dass ich benutzt werde - aber es stört mich nicht.» Denn: «Die Menschen haben nicht genug aus unseren Erfahrungen gelernt. Diese Welt ist eine Welt der Kambodschas, Ruandas, Srebrenicas. Die Welt hat ihre Lektion nicht gelernt. Es ist enttäuschend - für unsere Zivilisation.» Genau darum ist diese Dokumentation wichtig, auch wenn Vieles nicht neu ist, Vieles schon gesagt wurde, Vieles bekannt ist. Doch jedes Schicksal, das aufgearbeitet wird, jede Frage, die gestellt wird, ist ein Schritt gegen das Vergessen. Ob sich die Menschen aus ihrer heilen und bunten Fernsehwelt wirklich aufraffen können und die durch ihre klaren Worte so bedrückende Dokumentation wirklich anschauen und weiterdenken, steht allerdings auf einem anderen Blatt.

ZDFneo zeigt «Die zwei Leben des Jack Terry» am Freitag, den 21. Januar 2011, um 21:45 Uhr. Das ZDF wiederholt die Dokumentation am Mittwoch, den 26. Januar 2011, um 00:30 Uhr.
20.01.2011 15:49 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/47197