Die Musical-Serie zeigt in Staffel zwei ein Auf und Ab. Das Format sollte dringend zu der zynischen Erzählweise zurückkehren.
Kevin Reilly, Chef von FOX, hatte eine Handvoll Glück mit «Glee» im vergangenen Jahr. Entgegen fast allen Erwartungen entwickelte sich die Musical-Comedy nach ihrer viermonatigen Pause zu einem echten Hit im FOX-Programm. Die Serie wurde zum Kult für die junge Zielgruppe, die Songeinlagen erwiesen sich als Verkaufsschlager bei iTunes, ihre Darsteller wurden zu Stars, und wurden überhäuft mit Preisen und Kritikerlob. «Glee» ist die erfolgreichste Serie in ihrer Zielgruppe in der aktuellen TV-Saison und macht nicht den Eindruck, von dieser Position zu verschwinden. Vielmehr gibt es die Möglichkeit, dass die Zahl der Zuschauer in diesem Jahr sogar noch weitersteigt.
Als Nicht-Amerikaner wird man kaum in der Lage sein, den Hype um «Glee» verstehen zu können. Dazu ist das Underdog-Thema außerhalb der USA zu unpräsent, Musicals kommen in der Regel meist aus dem indischen Kino, und das Highschool-Teenie-Genre findet seit «O.C., California» keine treue Anhängerschaft mehr. Zu altbacken ist der Kitsch und die Probleme der Highschoolschüler geworden, zu altmodisch der Stil solcher TV-Dramen, die immer wieder sie selben Geschichten erzählen. Hätte «Glee» auf den Musical-Teil verzichtet und wäre stattdessen nur eine normale Teenie-Show, keiner hätte ihr Beachtung geschenkt. Denn leider beweist «Glee», dass sie nichts anderes ist als eine Highschool-Serie. Mit Songeinlagen - und das ist dann auch schon das einzig Außergewöhnliche an der ganzen Sache. Der Rest der Serie ist nämlich genauso altbacken und altmodisch wie die erfolgreichen Highschool-Dramen der 90er und frühen 2000er. Die Autoren schaffen es allerdings, ihre typischen Dramen mit Satire aufzuheitern - was mal funktioniert, mal aber auch überhaupt nicht.
Während die erste Staffel zwischen Satire, Comedy und Drama erfolgreich hin und her hüpfte und mit der Ausnahme einer handvoll Episoden zeigte, dass «Glee» den immensen Erfolg in den USA redlich verdiente, zeigt Staffel zwei ein etwas anderes Bild: Gezeichnet vom Quotenerfolg im April und Mai 2010 setzen die Produzenten nun auf all den Wahnsinn, der das Genre mit sich bringt - die Botschaften werden einem mit dem Holzhammer unter die Fingernägel eingeprügelt, die Songeinlagen haben immer weniger mit den Geschichten der Episoden zu tun, die Charaktere erfahren teils widerliche Wendungen, bei denen man manchmal einfach nur mit dem Kopf schütteln kann. Als hätte das Autorenteam hinter «Glee» zu viele «Heroes»-Episoden geguckt und entschieden, dass ihre Serie ein genau solches Wechselbad der Gefühle für ihre Charaktere benötigt. «Glee» hat immerhin noch den Vorteil, dass die Songs das eigentliche Hauptprogramm sind und dass die Show immer noch aus ihrem satirischen Blickwinkel die Geschichten erzählt. Anderweitig wäre «Glee» nämlich längst nicht mehr zu ertragen.
Das US-Publikum zeigt sich offenbar von der beeindruckten Sorte und machte Glee zum einer der erfolgreichsten Serien in diesem Jahr. Die Zielgruppe "fährt voll drauf ab", diskutiert in unzähligen Foren und während der Hofpause die letzten Songs, lacht darüber, wie Sue Sylvester ihre Rachepläne gegen Will und seinen Chor schmiedet, und wartet gespannt auf die nächste Episode. «Glee» kehrt am Sonntag nach dem Super Bowl aus der Winterpause zurück - ein Ritterschlag, der Seinesgleichen sucht und den Hype um «Glee» für den Rest der TV-Saison tragen wird. Eine dritte Staffel wurde von FOX schon im vergangenen Jahr bestellt und sollte der Hype auch über den Sommer reichen, steht einer vierten Staffel nichts mehr im Wege, bevor die dritte überhaupt gestartet ist. Davon bekommen die deutschen Zuschauer jedoch nichts mit: Hierzulande läuft «Glee» ohne besonders spektakuläre Quoten.
Was im ersten Jahr noch größtenteils funktionierte, ging im zweiten Jahr mit jeder Tribut-Episode verloren. Britney Spears, die "Rocky Horror Picture Show" und Weihnachten bekamen jeweils ihre eigene Episode, doch leider funktionierte nur eine von den
dreien - und das auch nur, wenn man mit dem Kult um Rocky Horror vertraut ist. Die anderen beiden haben mit ihrer Story bewiesen, dass es nicht unbedingt von großer Stärke ist, wenn «Glee» sich nur auf einen Musikkünstler oder Musikstil beschränkt. Schon die Madonna-Episode aus der ersten Staffel erzählte eine wahrhaft unglaubliche Geschichte von drei Jungfrauen, die während des Songs "Like a Virgin" ihr erstes Mal erleben (oder auch nicht) - die Britney-Spears-Episode macht es nicht gerade besser und zeigt, dass die Autoren es nicht schaffen, ihre Story um die Songs herumzuschreiben. Artie träumt davon, ein Footballstar zu sein, während er "Stronger" singt; die ganze Schule verhält sich wie verrückte zehnjährige Mädchen auf einem Konzert von Justin Bieber, als die Glee-Kids "Toxic" performt, und der Rest der Sendezeit wird mit Musikvideos verschwendet. Nur damit Britney Spears höchstpersönlich einen 30-Sekunden-Auftritt hat, ihre Musik bewirbt und Zuschauer daran erinnert, dass es sie nach ihren Eskapaden immer noch gibt.
Viel Positives gibt es vom Rest der Staffel nicht zu erzählen. Vor allem die Episode "Grilled Cheesus" war eine besonders nervenzerreißende Diskussion über Glauben, die Frage, ob Gott existiert, und warum jeder sich nicht scheuen muss, einmal im Leben zu beten. Da fragt der Zuschauer sich doch, ob er nicht in einer Episode von «Die himmlische Familie» gelandet ist, nur um mit einer weiteren vom Cast aufgeführten Popnummer erinnert zu werden, dass es sich hier um ein Musical handelt. Die Weihnachtsepisode behandelt ein ähnliches Thema: Dort ist es allerdings Cheerleaderin Brittany, ursprünglicherweise für die lustigen und zitierwürdigen Einzeiler verantwortlich, die noch an Santa Claus glaubt und dementsprechend hofft, dass ihr Geliebter Artie zu Heiligabend auf seinen Füßen steht. Und wenn das schon nicht genug ist, wird ihr Wunsch am Ende auch noch wahr und kommt zusammen mit der schon erwähnten Holzhammermoral, die dieses Mal besonders schmerzt.
Die zweite Staffel hat jedoch auch ihre wenigen guten Momente. Das Liebesdreieck Will/Teri/Emma wird aufgelöst und verwandelt sich für einige Episoden zu einem "Kriegen sie sich oder nicht?" zwischen Will und Emma. Und selbst die Einführung eines Lebenspartners für Emma, dargestellt von John Stamos, funktioniert überraschend gut. Dass diese Story noch nicht nervt (was es in der ersten Staffel durchaus tat), ist nur der stärkeren Fokussierung auf die Schüler zu verdanken. Besonders Kurt bekommt eindeutig mehr Sendezeit und eine wundervolle Story, die ausnahmsweise nicht nach Holzhammermoral klingt, in einer wundervollen Hochzeit eine fröhlich heitere Episode und mit seinem Schulwechsel und daraus resultierenden Austritt aus dem Chor einen Höhepunkt in seiner Charakterentwicklung findet. Die Verletzlichkeit, die Chris Colfer hier darstellte, brachte ihm nicht nur höchstes Kritikerlob ein, sondern auch einen Golden Globe - der einzig wirklich verdiente Preis, den «Glee» während dieser Veranstaltung bekam!
Neben Kurt funktionieren auch einige der Charakterbeziehungen. Quinn, wieder eine Cheerleaderin, und Glee-Neuling Sam haben eine tolle Chemie miteinander, die in glaubwürdiger Romantik ausartet; "bad boy" Puck hat mit Ausnahme eines kurzen Aufenthalts im Jugendgefängnis nur Gutes im Schilde, das Pärchen Artie/Brittany funktioniert erstaunlicherweise gut (wenn man bedenkt, wie die beiden zusammengekommen sind), während "the Asia couple" Tina und Mike den beiden genügend Sendezeit gibt, um nicht in den Hintergrund der Geschichten zu fallen. Zum Beispiel darf Mike in Duetts zeigen, dass er absolut keine Stimme für den Chor hat (etwas, worüber der Darsteller sich in dem Song "Sing!" lustig macht), aber immer noch ein genialer Tänzer ist (zusammen mit Matthew Morrison in "Make 'em Laugh"). Die Autoren hatten allerdings kein Händchen für «Glee»-Hasserin Sue Sylvester, sowie keinen Mut, sie als Hass-Objekt in wirklich jeder Szene zu zeigen. Da muss extra ihre Familiengeschichte herhalten, um zu zeigen, dass auch Sue eine Seele hat.
Jeder mag für sich entscheiden, ob «Glee» den Status als Kultserie verdient hat. Allerdings kann man mit großer Sicherheit behaupten, dass der Kult keinen Preisregen rechtfertigt. Nach zehn Episoden in der zweiten Staffel hatte die Murphy-Serie ein unerwartetes Auf und Ab in ihrer Qualität, sodass man sich als Zuschauer zurecht fragen muss, ob die Autoren etwas aus den Fehlern lernen, oder weiterhin auf den blinden Erfolg setzen. Sollte die Serie nicht zu ihrer zynischen Erzählweise zurückkehren, welche die erste Staffel manchmal so außergewöhnlich machte, wird es schnell für den "normalen" Zuschauer langweilig. Irgendwann ist es nicht mehr möglich, seine Geschichten nur um die Songs herumzuschreiben und irgendwann wird es langweilig immer die gleiche Art von Musik zu hören, die nur in einem von zehn Fällen wirklich ohrwurmtauglich ist.