Marcus Off: „Disney sagt, Synchronisieren sei keine künstlerische Arbeit“

Synchronsprecher Marcus Off soll im kommenden vierten Teil von «Pirates of the Caribbean» aufgrund von „geschäftlichen Unstimmigkeiten“ als deutsche Stimme von Jack Sparrow ersetzt werden. Quotenmeter.de sprach mit Off über die Auseinandersetzung mit Disney, seine Konsequenzen daraus und seine Rolle in «The Mentalist».

Guten Tag, Herr Off. Könnten Sie bitte unseren Lesern erklären, was die Tätigkeit eines Synchronsprechers ist?

Der Versuch, einem Schauspieler, dem seine wirkliche Stimme abhanden gekommen ist, eine neue, aber passende und genauso expressive Stimme wiederzugeben. Nur eben in einer anderen Sprache. Ich halte nicht viel von den Puristen, die Filme nur im Original achten - cineastischer Snobismus. Wer kann schon von sich behaupten, mehrere Sprachen so perfekt zu beherrschen. Wir scheitern doch selbst schon oft daran, einen Nord- oder Süddeutschen "wirklich" zu verstehen.

Sie sprechen von „Snobismus“… Lässt sich zumindest das Filmverständnis mit Untertiteln lösen…?

Ich würde eine gute Synchronisation immer bevorzugen, eine Gute wohlgemerkt. Der Film ist doch ein visuelles und akustisches Medium. Dauernd an der unteren Bildkante hängen zu müssen, um zu lesen, stört mich gewaltig. Ich möchte auch nichts Geschriebenes im Bild haben, was da nicht hingehört. Spiel und Sprache sind doch aufs engste miteinander verwoben. Untertitelungen können auch nur einen Bruchteil wiedergeben, was im Film dialogisiert wird. Sonst sind Sie ja nur noch mit dem Lesen beschäftigt. Untertitel sind eine Notlösung. Es geht mir auch nicht um ein Filmverständnis, sondern um ein Filmerlebnis.

Denken Sie, dass Synchronfassungen in manchen Fällen das Original verbessern können?

Ja, das können sie, aber leider auch verschlechtern.

Wie sind Sie zu diesem Beruf überhaupt gekommen? Die meisten kommen über die Schauspielerei zum ersten Mal in Berührung mit dem Synchronsprechen. Wie war es bei Ihnen?

Ein Schauspielkollege hat mir am Set beim Drehen vom Synchronisieren erzählt und mich später einem Synchronaufnahmeleiter vorgestellt. Dann nahm alles seinen Lauf. Learning by doing sozusagen.

Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie aufgrund Ihrer Stimme auf der Straße erkannt wurden?

Nein. Ich glaube, wir Menschen sind mehr optisch fixiert. Ich werde aber oft gefragt: Sprich doch mal wie Jack Sparrow! Gerade Kinder sind dann immer wieder völlig verblüfft und entzückt, wenn ich ihnen was auf "Jack Sparrow-Art" erzähle.

Haben Sie schon einmal einen „ihrer“ Schauspieler getroffen?

Nein.

Ihre bekannteste Rolle dürfte die des Jack Sparrow in der «Pirates of the Caribbean»-Trilogie sein. Nun will Disney Sie im vierten Teil, der im Mai 2011 in den Kinos anläuft, durch Johnny Depps üblichen Stammsprecher David Nathan ersetzen. Der Grund seien „geschäftliche Unstimmigkeiten“…

Weder Walt Disney noch eine Synchronfirma haben mich bis jetzt gefragt, ob ich den vierten Teil überhaupt synchronisieren möchte. Ich habe von der Entscheidung Disneys von einem Fan, der meine Agentur angeschrieben hat, erfahren. Ich habe eine gesetzlich gerechtfertigte, finanzielle Nachforderung an Walt Disney gestellt, die mit dem deutschen Urheberrecht zusammenhängt. Walt Disney verweigert diese Nachforderung, da Walt Disney die Meinung vertritt, dass Synchronisieren eines Schauspielers keine künstlerische Arbeit sei. Sie läge noch unter dem Niveau eines Nachrichtensprechers und entbehre jeglicher künstlerischer Kreativität - so argumentiert zumindest deren anwaltlicher Vertreter. Ich glaube, dass dieser Streit hinter der Neubesetzung der Rolle "Jack Sparrow" steckt.

Das verrückte dabei ist, dass David Nathan bereits im ersten Teil wie gewohnt Johnny Depp sprechen sollte, allerdings aufgrund von „kreativen Differenzen“ ausgetauscht wurde. Nun ist es gerade umgekehrt, wenngleich aus jeweils anderen Gründen. Wie beurteilen Sie die Logik dahinter?

Ich kann da keine Logik erkennen. Ich finde es äußerst bitter für das Publikum und alle "Jack Sparrow"-Fans, jetzt eine andere Stimme vor die Nase gesetzt zu bekommen. Ich kann diese Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen. Vor allem auch weil Walt Disney selbst die künstlerische Leistung damals lobend hervorgehoben hat. Auch die Formulierung "geschäftliche Unstimmigkeiten" ist doch da eher unbefriedigend.

Wie stehen Sie mittlerweile zu Ihrem Kollegen David Nathan?

Durchaus positiv. Wir kennen uns beruflich und haben keine Berührungsängste.

Als Benjamin Völz damals bei «Akte X – Jenseits der Wahrheit» ausgebootet wurde, haben sich viele Kollegen, die zum Synchroncasting eingeladen wurden, kollektiv zusammengetan und die Einladung abgelehnt. In Ihrem Fall fand sich nun sehr schnell Ersatz. Wie schätzen sie die Ungleichheit dieser Vorfälle ein?

Die Entscheidung des Verleihs, sich damals von Benjamin Völz zu trennen, hatte keinen künstlerischen Hintergrund, sondern nur einen finanziellen. Auch ich bin unter anderem gefragt worden und habe deswegen abgelehnt. Die Gagen, die wir bekommen, sind wirklich bescheiden - vor allem wenn man ins Verhältnis setzt, wie viel Geld mit unserer Leistung verdient wird. Ich würde das, was da bei «Akte X» geschehen ist, als eine Abstrafung bezeichnen. Leider fehlt es im Endeffekt dann doch immer an der nötigen Solidarität, den mächtigen Verleihern die Stirn zu bieten.

Eigentlich ist es für die Verleiher wirklich kein Problem, die geforderten Gagen zu bezahlen. In Italien werden zum Beispiel höhere Gagen bezahlt - und es handelt sich ja meistens um dieselben Verleiher. In meinem Fall weiß ich letztendlich weder, warum Disney diesen Schritt gemacht hat, denn auch ich kenne nur die im Internet veröffentlichte Stellungnahme, noch wie weit der Stand der Vertragsverhandlungen mit David Nathan tatsächlich ist.


Synchronsprecher Marcus Off soll im kommenden vierten Teil von «Pirates of the Caribbean» aufgrund von „geschäftlichen Unstimmigkeiten“ als deutsche Stimme von Jack Sparrow ersetzt werden. Quotenmeter.de sprach mit Off über die Auseinandersetzung mit Disney, seine Konsequenzen daraus und seine Rolle in «The Mentalist».

Gerade für die Fans ist so ein „Bruch“ innerhalb der Filmreihe nicht unbedingt sehr angenehm. Bis heute haben viele Fans zum Beispiel Probleme damit, Bruce Willis in «Stirb langsam 3» ohne Manfred Lehmann zu genießen. Ihnen dürfte sicherlich nicht entgangen sein, dass in Foren und bei der Petition “Rettet Jack Sparrows Stimme!“ zahlreiche Fans ihre Meinung zu der „Umbesetzung“ kundgetan haben. Wie sehr freut Sie so etwas?

Das freut mich sogar sehr. Und nicht nur weil meine Arbeit dadurch eine hohe Wertschätzung erfährt. Im Theater gibt es den direkten Applaus und bei einer Filmrolle Kritiken und Fanpost. Im Synchronbereich ist die Erwähnung in den Medien eher selten, und wenn, dann meistens negativ. Zu sehen, wie viele Zuschauer eben doch auf Synchronisation achten, freut mich daher außerordentlich.

Genau wie Sie, empfinde ich es als ein Unding, wenn keine Not dafür gegeben ist, in einer Filmreihe den synchronisierenden Schauspieler zu wechseln. Es ist doch so: Würden Verleiher kein Geld mit den synchronisierten Fassungen ihrer Filme verdienen, würden wir alle Streifen nur im Original zu sehen bekommen. Die Umbesetzung in «Stirb langsam 3» war völlig unnötig. Ich meine, beide Kollegen sind in ihrer Klasse unangreifbar. Aber das heißt doch ganz bestimmt nicht: austauschbar. Immer wieder ein fataler Fehler, der sich ja dann auch zu Recht am Unmut der Fans und den dadurch weniger klingelnden Kinokassen ablesen lässt. Bei animierten Filmen zum Beispiel werden ja oft bekannte Persönlichkeiten engagiert. Sie glauben doch nicht im Ernst, dass diese Persönlichkeiten für normale Synchrongagen arbeiten

Gerade in der Petition “Rettet Jack Sparrows Stimme!“ sind ganz wunderbare Statements zu lesen, die mich sehr freuen. Ich möchte nur zwei teilweise zitieren: “Eine solche Umbesetzung ist sowohl eine Missachtung der individuellen künstlerischen Arbeit des Schauspielers als auch eine herablassend ignorante Haltung gegenüber der Urteilskraft der Zuschauer, die von der deutschen Interpretation der Rolle in drei Teilen begeistert waren……“ und “Ich finde Disney sollte den Aufschrei der Fans nicht egal sein. Es ist schon sehr beängstigend, dass alle nach der Veröffentlichung des Trailers nur noch über die neue Jack [Sparrow]-Stimme sprechen und die Vorfreude auf den Films so gut wie weggeblasen ist…..“

Hoffen Sie insgeheim eventuell doch noch, dass Disney sich umstimmen lässt? Oder ziehen Sie aus dieser Situation zusätzlich Ihre persönlichen Konsequenzen?

Sollte mir Walt Disney ein entsprechendes Angebot machen, würde ich natürlich Jack Sparrow wieder meine Stimme geben. Es geht hier doch nicht um Walt Disney oder die beleidigte Leberwurst. Der Erfolg der Filme hier in Deutschland und zig tausende Fans und deren Kommentare im Netz über meine Arbeit sind doch Aufforderung und Motivation genug, auch den vierten Teil, so gut wie irgendwie möglich, zu synchronisieren.

Meine persönliche Konsequenz ist: Ich habe wohl in den ersten drei Teilen von «Fluch der Karibik» einen Weg gefunden, dieser exzentrischen, außerordentlich gelungenen Figur Jack Sparrow eine deutsche Stimme zu verleihen und das möchte ich nicht nur für mich, sondern auch für den gesamten Berufszweig der Synchronsprecher gewürdigt sehen.

Werden Sie sich «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» trotzdem im Kino anschauen?

Das weiß ich noch nicht.

Nun zu einem anderen Thema: Unter anderem synchronisieren Sie des Öfteren Michael Sheen, zuletzt in dem Film «Unthinkable». Würden Sie ihn gerne häufiger sprechen, denn bislang konnte sich auf ihn noch kein Sprecher etablieren?

Ja, natürlich. Michael Sheen ist ein hervorragender, äußerst wandelbarer Schauspieler. Also immer eine Herausforderung

In «Tron: Legacy» gehört Michael Sheens exzentrische Figur 'Castor' zu den absoluten Publikumslieblingen. Diese Rolle hätte Ihnen sicherlich sehr gut gestanden. Weshalb wurden Sie nicht besetzt?

Ich wurde gar nicht gefragt. Nun kenne ich die Rolle nicht und es kann natürlich sehr gut sein, dass ein anderer Kollege da viel besser passt als ich. Jeder kann nun einmal nicht alles spielen und sprechen, sonst wäre ja jegliche individuelle Rollenbesetzung einerlei. Gerade so äußerst wandelbare Schauspieler werden deswegen oft zu Recht von mehreren Schauspielern synchronisiert. Ich glaube, Gary Oldman zum Beispiel wurde von bestimmt 15 verschiedenen Synchronschauspielern gesprochen. Es geht ja nicht nur um die stimmliche Disposition, sondern in erster Linie darum, ob der Synchronschauspieler das auch spielen kann, was der Originalschauspieler vorgibt. Und solange es sich um eine künstlerische Entscheidung handelt, ist ein Stimmwechsel meiner Meinung nach auch immer gerechtfertigt. Aber «Tron: Legacy» ist ja auch eine Walt Disney-Produktion. Vielleicht ist das schon des Rätsels Lösung.

Gibt es generell einen Schauspieler, den Sie gerne einmal synchronisieren würden?

Ich hatte bis jetzt immer wieder das Glück, spannende Rollen oder interessante Schauspieler zu synchronisieren. Deswegen lasse ich mich immer gerne überraschen.

Am Sonntag ist die dritte Staffel von «The Mentalist» angelaufen. In der Serie sprechen Sie den Hauptdarsteller Simon Baker als Patrick Jane. Was halten Sie von der Serie und Simon Baker, den Sie schon in «The Guardian» gesprochen haben, im Allgemeinen?

Ich mag die Serie sehr gerne. Und Sie werden lachen, ich schau sie sogar selbst jeden Sonntag an. Kurzweilig, unterhaltsam, ein bisschen old fashioned, immer ein twinkling eye. Nicht nur der charmy boy Simon Baker spielt in dieser Serie hervorragend. Die ganze Truppe ist spitze. Und ich finde auch die Synchronfassung sehr gut. Was nicht nur an der gelungenen Synchronbesetzung des Teams liegt, sondern auch an unserem wunderbaren und genau zuhörenden Regisseur Wolfgang Ziffer.

Simon Baker äußerte einmal in einem Interview, dass er es traurig findet, nicht von Til Schweiger in der deutschen Synchronfassung gesprochen zu werden, denn er sei ein großer Fan von ihm…Stört Sie so etwas?

Nein. Na ich weiß nicht, ob er das immer noch sagen würde, wenn er Til Schweiger an Stelle von mir hören würde. Nein, Spaß beiseite. Ich bin ein Verfechter von Castings. Man ist vor Überraschungen niemals sicher, wie gut oder wie schlecht jemand auf jemanden passt. Und darum sollte es doch letztendlich immer gehen.

Was schauen Sie privat im Fernsehen für Serien?

Ist jetzt ein bisschen peinlich, aber «The Mentalist» ist die einzige Serie, die ich wirklich gucke, wenn man «Tatort» außen vorlässt. Leider muss ich jetzt immer «Tatort» oder «The Mentalist» aufnehmen, weil die ja nahezu parallel laufen.

Können Sie uns über Ihre aktuellen und/oder zukünftigen Projekte etwas verraten?

Diese Woche beginnen wieder die neuen Aufnahmen von «The Mentalist» in Berlin und aktuell nehme ich gerade bei der Bavaria in München «Commissario Montalbano», eine italienische Krimiserie, auf, in der ich die Rolle Mimi, eine der Hauptrollen, spreche.

Herr Off, wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute.

Ja, auch vielen Dank für das Gespräch und übrigens wollte ich Ihnen noch sagen, dass ich mich sehr über Ihren Artikel Popcorn und Rollenwechsel gefreut habe.
23.02.2011 10:00 Uhr  •  Markus Ruoff und Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/47919