Die Kino-Kritiker: «Unknown Identity»

Hollywoodstar Liam Neeson stellt bei der packenden Suche nach seiner Identität Berlin auf den Kopf.

Deutschland ist seit einiger Zeit fleißig dabei, sich als Filmstandort von internationaler Bedeutung zu rehabilitieren. Nachdem der deutsche Film an sich in den letzten Jahren wieder weltweit stärkere Beachtung gefunden hat und beispielsweise auch bei der Oscarverleihung des Öfteren vertreten war, wird die Bundesrepublik ebenso als Produktionsort für internationale Gemeinschaftsprojekte zunehmend attraktiver. Das Interessenszentrum ist hierbei zweifellos das Studio Babelsberg in Potsdam, zu dessen Vorzügen vor allem auch seine Nähe zu Berlin gehört. In den letzten Jahren wurden auf dem traditionsreichen Gelände Teile so populärer Produktionen wie «Die Bourne Verschwörung» (2004), «Inglourious Basterds» (2008) und «Der Ghostwriter» (2009) realisiert. Besondere Bedeutung ist jedoch der Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Erfolgsproduzenten Joel Silver («Stirb langsam», «Matrix») beizumessen, die durch einen Vertrag im Jahr 2008 noch wesentlich erweitert wurde und nun eine langjährige, beiderseitig lukrative Kooperation vorsieht.

Mit «Unknown Identity» steht nun das neueste in deren Rahmen entstandene Werk in den Startlöchern. Dieses wurde dabei nicht nur komplett in Potsdam, Berlin und Leipzig gedreht, sondern spielt auch gänzlich in der deutschen Hauptstadt. Und das obwohl die Romanvorlage aus der Feder des französischen Autors Didier van Cauwelaert noch in Paris angesiedelt war. Die Verlegung des Schauplatzes erweist sich jedoch keineswegs als Fehlentscheidung, hat «Unknown Identity» so doch einen filmisch eher unverbrauchten Handlungsort und für hiesige Kinobesucher außerdem einen zusätzlichen Charme zu bieten. Aber auch ansonsten ist der Actionthriller außerordentlich unterhaltsam und mitreißend geraten.

Im Mittelpunkt der Handlung steht der Wissenschaftler Dr. Martin Harris (Liam Neeson), der zusammen mit seiner Frau Liz (January Jones, «Mad Men») auf dem Weg nach Berlin ist, wo er auf einer Biotechnologie-Konferenz im Hotel Adlon einen Vortrag halten soll. Am Hotel angekommen, stellt er jedoch fest, dass er einen Koffer am Flughafen vergessen hat und begibt sich daraufhin allein dorthin zurück. Doch während der Fahrt verunglückt sein Taxi und Martin erwacht vier Tage später in einem Krankenhaus. Leicht verwirrt, begibt er sich gegen die Empfehlung seines Arztes (Karl Markovics, «Die Fälscher») zu seinem Hotel, um seine Frau wiederzusehen, von der er glaubt, dass sie sich schon große Sorgen um seinen Verbleib macht. Aber bei ihrer Begegnung erkennt Liz ihren Mann nicht wieder. Stattdessen gibt sich an ihrer Seite jemand Anderes (Aidan Quinn, «Legenden der Leidenschaft») als Dr. Martin Harris aus und kann sich sogar entsprechend ausweisen. An seinem eigenen Verstand zweifelnd, setzt Martin daraufhin alles daran, die Hintergründe dieser ominösen Situation aufzudecken und seine Identität zurückzuerlangen.

Der spanische Regisseur Jaume Collet-Serra («House of Wax», «Orphan - Das Waisenkind») fackelt zu Beginn von «Unknown Identity» nicht lange. Ohne große Einführung der Handlung oder der Figuren, flimmert der besagte Taxiunfall über die Leinwand. Mit Martins anschließendem Erwachen im Krankenhaus und seiner ersten Begegnung mit dem „neuen“ Martin Harris sind schon nach wenigen Minuten die wesentlichen Grundelemente der Story etabliert. Spannung wird hier also von Anfang an groß geschrieben. Das Erstaunlichste ist dabei, dass es Collet-Serra gelingt, sein anfangs vorgelegtes Tempo stetig anzuziehen und über die gesamte Länge des knapp zweistündigen Films hochzuhalten. Obwohl er auf den für das moderne Actionkino typischen exzessiven Gebrauch verwackelter Handkamerabilder verzichtet und sich stattdessen für eine sehr klassische Inszenierung entschieden hat, fällt diese durch schnelle Schnitte und wenige Verschnaufpausen überaus rasant aus. Daneben kann er seinen Bildern im ersten Drittel des Films durch den gelegentlichen und heute eher unüblichen Einsatz schräger Kameraperspektiven außerdem mitunter eine leichte psychologische Tiefe verleihen, die wesentlich zur Verdeutlichung der beklemmenden Situation des Protagonisten beiträgt, ist dieser zu Anfang doch völlig auf sich allein gestellt und damit zunächst schlichtweg überfordert.

Dabei kommt es «Unknown Identity» auch sehr zu Gute, dass niemand Geringeres als Liam Neeson («Schindlers Liste», «Batman Begins») jene Hauptfigur verkörpert. Der charismatische und vielseitige Ire, der mit fortschreitendem Alter zusehends Gefallen am Actiongenre zu finden scheint (genannt seien an dieser Stelle z.B. «96 Hours» und «Das A-Team - Der Film»), weiß auch hier mit einer glaubwürdigen Vermittlung der Verzweiflung seiner Figur angesichts ihrer prekären Lage das Publikum spielend für sich einzunehmen. Der zu jeder Zeit nachvollziehbare Ehrgeiz, die ersehnte Wahrheit ans Licht zu bringen, überträgt sich direkt auf den Zuschauer. Diane Kruger («Troja», «Inglourious Basterds») hingegen ist wie bei fast allen Produktionen, in denen sie mitwirkt, ein Schwachpunkt des Films. Da ihr hier jedoch nicht allzu viel abverlangt wird, fällt ihr gekünsteltes Spiel diesmal nicht allzu schwer ins Gewicht.

Die restliche Besetzung, die zu einem wesentlichen Teil auch aus Mimen aus dem deutschsprachigen Raum besteht, macht ihre Sache durchweg solide. Vor allem Aidan Quinn, Frank Langella («Frost/Nixon») und Sebastian Koch («Das Leben der Anderen») wissen in ihren kurzen Auftritten zu überzeugen. Für darstellerische Glanzleistungen bieten die eindimensionalen Figuren jedoch nicht genügend Raum. Einzig Bruno Ganz («Der Untergang») sticht neben Liam Neeson noch einmal gesondert positiv aus der Riege der Darsteller hervor. Als stolzer ehemaliger Stasi-Agent, bei dem man lange Zeit nicht genau weiß, woran man ist, weiß er zu fesseln und nebenbei auch etwas Humor ins Geschehen zu bringen. Letzteres unter anderem auch durch seine schiere Überzeichnung, die vor allem in seinen Aussagen und der Einrichtung seiner Wohnung deutlich wird.

Die darstellerischen Vorzüge und insbesondere das hohe Tempo täuschen dabei auch die meiste Zeit über kleinere Unzulänglichkeiten und Logiklücken der Story hinweg. Trotz einiger Patzer hinsichtlich der Plausibilität des Handlungsverlaufs weiß aber auch das Drehbuch an vielen Stellen zu überzeugen. Aus der zu Grunde liegenden und nicht allzu neuen Verschwörungsidee holt es mit kleinen erfrischenden Plotentscheidungen und überraschenden Wendungen noch einiges an Potential heraus. Zu letzteren gehört erfreulicherweise auch die Auflösung des Rätsels um Martin Harris’ Identität, die manchen vielleicht zu konstruiert erscheinen mag, innerhalb der aufgezeigten Geschichte aber im Grunde durchaus plausibel dargelegt wird. Dabei gefällt sie insbesondere auch durch eine angedeutete psychologische Dimension, deren etwas tiefergehende Behandlung eventuell auch noch wünschenswert gewesen wäre. Andererseits hätte dies dem Film wahrscheinlich einen zu ernsten und nach außen weisenden Anspruch verliehen, der dem Rest der Handlung am Ende nur im Weg stünde, ist sie in erster Linie doch auf schnörkellose Unterhaltung ohne intellektuelle Höhenflüge getrimmt.

Somit bleibt «Unknown Identity» ein geradliniger und überaus kurzweiliger Actionthriller, der bei der Konstruierung konstanter Spannung fast alles richtig macht. Eine innerhalb ihrer Grenzen gut funktionierende Geschichte, die furiose Inszenierung und ein großartiger Hauptdarsteller sorgen im Zusammenspiel für einen außerordentlich hohen Unterhaltungswert. In diesem Sinne sei dem Film jeglicher Erfolg gegönnt. Nicht nur um Berlin als Filmstandort auch international stärker zu etablieren, sondern weil es sich bei ihm schlichtweg um einen über weite Strecken sehr gelungenen Vertreter seines Genres handelt, dessen einzelne Handlungselemente allerdings nicht immer allzu akribisch hinterfragt werden sollten.

«Unknown Identity» ist ab dem 3. März in vielen deutschen Kinos zu sehen.
03.03.2011 14:15 Uhr  •  Markus Trutt Kurz-URL: qmde.de/48127