In nur zwei Jahren hat sich das Image des «Eurovision Song Contests» komplett gewandelt. Vom drögen Schlagerwettbewerb zum hippen Popwettstreit. Stefan Raab ist stark an dieser Entwicklung beteiligt gewesen - und das schon seit mehr als zehn Jahren. Nun überlässt er anderen das Feld.
Der diesjährige «Eurovision Song Contest» ist ein großer Erfolg gewesen. Für die Sender, Produktionsfirmen und Moderatoren gleichermaßen. Der ein oder andere Kandidat hatte sich zuvor vielleicht eine bessere Platzierung gewünscht, doch an dem Urteil von Jury und Zuschauern gibt es nichts zu rütteln. Als echter Sieger darf sich neben Aserbaidschan aber auch Stefan Raab fühlen, für den der Wettbewerb der absolute Höhepunkt seiner «ESC»-Karriere war, wie er einige Tage nach dem Finale sagte. In Zukunft wird der Entertainer aber kürzer treten.
"Ich habe mich entschlossen, die künstlerische und inhaltliche Verantwortung für die deutsche Teilnahme weiterzugeben. Ich werde künftig also nicht mehr als Moderator, Juryvorsitzender, Komponist oder musikalischer Produzent mitwirken", erklärte Stefan Raab gegenüber dem Mediendienst "kress". Wie Stefan Raab in Zukunft beim deutschen Vorentscheid eingebunden wird, und sei es nur durch Promotion in seiner Late-Night-Show «TV total», ist noch unklar. ProSieben und die ARD wollen jedenfalls Gespräche über eine weitere Zusammenarbeit aufnehmen. Das ganz große Zepter nimmt er nicht mehr in die Hand – und das ist auch gar nicht nötig.
Quotenmeter.de blickt auf Stefan Raabs Eurovision-Karriere zurück.
Ralph Siegel und Alf Igel oder: wie alles begann
Schon 1998 hatte Raab seine Finger beim «Eurovision Song Contest» im Spiel. Unter dem Namen Alf Igel komponierte er damals für Guildo Horn das Lied "Guildo hat euch lieb". Durch einen sehr eigenwilligen Auftritt erreichte der Sänger damals einen guten siebten Platz. Raabs Pseudonym war übrigens eine Anspielung auf Komponist und Musikproduzent Ralph Siegel, der insgesamt schon 20 Mal an dem europäischen Musikwettbewerb teilgenommen hat. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Reibereien zwischen den beiden Musikproduzenten, so beklagte sich Siegel des Öfteren über die Entwicklung des «Eurovision Song Contests».
Im Jahr 2000 trat Stefan Raab dann selbst beim Song Contest in Schweden an. Mit seinem selbst komponierten Song "Wadde hadde dudde da?" holte er damals 96 Punkte. Sein Auftritt in einem leuchtenden Cowboykostüm und die leicht bekleideten Damen auf der Bühne sorgten für viel Gesprächsstoff. Der Wettbewerb war zu dieser Zeit eher noch ein klassischer Schlagerwettbewerb, dennoch reichte es am Ende für einen starken fünften Platz. Teile der Performance wurden im Rahmen einer Eurovision-Sondersendung im Jahr 2005 noch einmal gezeigt, als es um die "unvergesslichen Auftritte" der Wettbewerbs-Geschichte ging.
Lesen Sie auf der kommenden Seite, wie Raab 2004 mit Max Mutzke beim «Eurovision Song Contest» antrat. Und natürlich alles rund um den Sieg 2010 in Oslo und Raabs Moderation beim Wettbewerb in Düsseldorf.
In nur zwei Jahren hat sich das Image des «Eurovision Song Contests» komplett gewandelt. Vom drögen Schlagerwettbewerb zum hippen Popwettstreit. Stefan Raab ist stark an dieser Entwicklung beteiligt gewesen, nun überlässt er anderen das Feld.
Es folgten drei Jahre, in denen Raab sich nicht beim Grand Prix beteiligte. Ende 2003 startete innerhalb von «TV total» die Castingshow «SSDSGPS», in der Raab einen talentierten Sänger für den deutschen Vorentscheid 2004 suchte. Als Sieger der Sendung ging letztendlich Max Mutzke hervor und Raab erhielt für die "Entdeckung und Förderung von Musiktalenten" den Adolf-Grimme-Preis. Beim Vorentscheid in der ARD stach Mutzke im Finale Scooter mit über 90 Prozent der Stimmen aus. Sein Song "Can’t wait until tonight", natürlich komponiert von Stefan Raab, erreichte nicht nur Platz eins der deutschen Charts, sonder landete beim «Eurovision Song Contest» in der Türkei mit 93 Punkten auf Rang acht. Für seinen Entdecker Raab war das wieder ein großartiger Erfolg. Zeigte er damit doch, dass er nicht nur skurril und schräg, sondern auch mit ruhigeren Tönen Erfolg haben kann.
«Unser Star für Oslo» und der Lena-Hype
Nach der Teilnahme von Max Mutzke legte Raab wieder eine Eurovision-Pause ein. Erst 2010 ging es für ihn weiter. Durch das schlechte Abschneiden in den Vorjahren entschloss man sich in der ARD zu einer Kooperation mit dem Privatsender ProSieben. In Zusammenarbeit mit Stefan Raab stellten die Sender den Vorentscheid «Unser Star für Oslo» auf die Beine. Bei dem bundeweiten Casting bewarben sich mehr als 4.500 Sängerinnen und Sänger. In acht Fernsehshows kämpften dann 20 Kandidaten um den Sieg. Letztendlich stach Lena Meyer-Landrut, die bereits kurz nach Beginn der Live-Shows als Favoritin gegolten hatte, ihre Konkurrenten mit dem Song "Satellite" aus und löste das Ticket für Oslo. Als treibende Kraft und Jurypräsident bei «Unser Star für Oslo» kam Stefan Raab auch in diesem Jahr eine wichtige Rolle zu.
Nach Lenas Sieg förderte Raab sie wo er nur konnte. Oft war die damals 18-jährige Sängerin bei «TV total» zu sehen, ihr Song war durch die Kooperation mit der ARD nahezu omnipräsent in den Radiosendern der Sendeanstalt. Das Ergebnis ist bekannt: Lena Meyer-Landrut gewann im Jahr 2010 den «Eurovision Song Contest» mit 76 Punkten Vorsprung – der vorläufige Höhepunkt in Raabs «ESC»-Karriere. Doch der Sieg kam nicht von ungefähr, im Vorfeld des Finals tourten Raab und Lena fast ununterbrochen durch Oslo und promoteten die Single, vor allem aber auch Lena selbst. Raab setzte die Natürlichkeit von Lena gekonnt in Szene, das ließ die Beliebtheitswerte der 18-Jährigen explodieren. Schon vor ihrem Auftritt hatte sie einen entscheidenden Vorteil gegenüber den anderen Künstlern: Fast alle Zuschauer kannten sie bereits. Zu verdanken hatte sie dies Stefan Raab.
Kurze Zweifel an der Titelverteidigung und Raabs Auftritt im «ESC»-Finale
Bei einer Pressekonferenz im Anschluss an den Sieg verkündete der Entertainer dann etwas überraschend, dass Lena ihren Titel 2011 verteidigen werde. Wieder gab es eine Fernsehsendung, in der die Zuschauer den Song für den «ESC 2011» auswählen konnten. Allerdings trat nur Lena selbst an - aus mehreren Songs wurde schließlich "Taken by a Stranger" gewählt. Raab agierte wieder als Jury-Präsident, musste sich aber viel Kritik gefallen lassen. Etliche Zuschauer und Journalisten kritisierten, dass die Show langweilig und die Songs nicht einfallsreich genug waren. Auch Raab zweifelte erstmals: "Kann auch sein, dass das mit der Titelverteidigung eine Scheißidee war", sagte der dem "Spiegel". Doch rückblickend lässt sich sagen, dass der «Eurovision Song Contest» am 14. Mai dieses Jahres alle Kritiker verstummen ließ.
Es war der Tag, den Stefan Raab im "kress"-Interview als "Höhepunkt" seiner «ESC»-Karriere beschrieb. Nicht nur, dass sein Schützling noch einmal antrat und am Ende mit 107 Punkten einen respektablen 10. Platz einfuhr. Raab war neben Anke Engelke und Judith Rakers auch Co-Moderator der Veranstaltung. Der beste dieser Art sei er nicht, unkten Kritiker. Sie warfen dem Entertainer vor, nicht locker genug zu sein und nur vom Teleprompter abzulesen. Doch im Eröffnungs-Act des «ESC» zeigte Raab, welche Qualitäten er hat. Zusammen mit Engelke, Rakers und den heavytones, die auch bei «TV total» für die Musik sorgen, interpretierte er Lenas Siegerlied aus dem Vorjahr um und machte aus "Satellite" eine Rocknummer. Die Medien überschlugen sich im Anschluss mit positiven Kritiken rund um die Show.
Nun will Stefan Raab also nicht mehr. Für viele kam dieser Schritt überraschend, doch Raab weiß wann es Zeit ist zu gehen. Thomas Schreiber bezeichnete den Moderator daraufhin als einen "klugen Mann". Das Format «Unser Star für…» könne nun weiterentwickelt werden. Und tatsächlich wird es spannend zu sehen sein, wie der deutsche Vorentscheid im nächsten Jahr aufgezogen wird – ganz ohne Stefan Raab als Hauptperson. Der Entertainer hat die Eurovision-Geschichte Deutschlands geprägt, er hat den Song Contest wieder zu einem echten Massenspektakel gemacht. Die beiden Übertragungen aus Oslo und Düsseldorf erreichten weit mehr als zehn Millionen Zuschauer – Werte, von dem man in den Jahren zuvor nur noch träumen konnte.
Und dann ist da natürlich das großartige Abschneiden Raabs bei all seinen Teilnahmen beim Wettbewerb – in welcher Form auch immer. Gekrönt durch den Sieg Lenas 2010. Raab hat den Song Contest aber auch aus seiner Lethargie befreit – zumindest aus deutscher Sicht. Denn eins ist der «ESC» nun nicht mehr: Der dröge Schlagerwettbewerb, in dem die Funktionäre in Anzügen die Musikacts beklatschen. Es ist endlich ein hipper Popwettstreit, angekommen bei den jungen Zuschauern und im neuen Jahrtausend.