Harald Schmidt: Kein Abschied auf Raten

Die letzte Ausgabe seiner Show im Ersten: Ein Schlussstrich unter Schmidts ARD-Zeit. Nach einer Konzept-Suche, Resignation und einem Pocher-Intermezzo findet Harald Schmidt seine Late-Night-Leidenschaft wieder.

Der letzte Vorhang für Harald Schmidt im Ersten fällt am Donnerstagabend, 2. Juni 2011. Pünktlich um 23 Uhr. Moment – pünktlich? Das weiß man nicht so genau, zeigte die ARD ihre einzige Late-Night-Show zuletzt sehr unregelmäßig, gerne auch mit Verspätung oder mal im Nachtprogramm. Ein Kernproblem der ARD-Zeit von Altmeister Harald Schmidt. Ihn stört das nicht mehr. „Ich habe mich gar nicht geärgert, denn ich habe auf den Sendeplatz keinen Einfluss“, sagte Schmidt im Quotenmeter.de-Interview gelassen. Doch 23 Uhr – das würde passen. Ein Kreis würde sich schließen. Denn auch die erste Sendung des Late-Night-Talkers beim Ersten begann um 23 Uhr. Es war am 23. Dezember 2004 als Schmidt mit Vollbart und langem Haar aus einer einjährigen Kreativpause zurückkehrte – zur ARD, wo die Wurzeln seines Schaffens im Fernsehen liegen. Hier war Schmidt mit Sendungen wie «MAZ ab!», «Pssst…» und «Schmidteinander» groß geworden. Die beiden letztgenannten Formate produzierte der WDR, der auch für Schmidts Late-Night-Show im Ersten verantwortlich war. „Die Show heißt «Harald Schmidt». Eine schöne Geste der ARD, damit ich mir den Namen merken kann“, freute sich der Late-Night-König im Stand-Up seines ersten Auftritts am 23. Dezember 2004 – genau ein Jahr nach seiner letzten Ausgabe der legendären «Harald Schmidt Show» bei Sat.1.

Die erste reguläre Sendung in der ARD gab es dann am 19. Januar 2005. Fortan sendete man «Harald Schmidt» mittwochs und donnerstags um 23 Uhr. Einmal im Monat musste die Late-Night-Show am Donnerstag jedoch dem «Scheibenwischer» weichen, aus dem der heutige «Satire Gipfel» hervor gegangen ist. Jenes Satire-Format, das Schmidt zuletzt sogar angeboten wurde: „Auf einen anderen Sendeplatz zu gehen oder wie angeboten ein anderes Format zu moderieren, wäre für mich keine Option gewesen“, stellte Schmidt im Quotenmeter.de-Interview klar. Stattdessen wechselt er zu Sat.1 – zurück zu den Wurzeln seiner erfolgreichsten Karrierephase.

Dort wird er wie zu seinen Anfangszeiten im Ersten zweimal wöchentlich ab Mitte September 2011 zu sehen sein: Dienstags und mittwochs um 23.15 Uhr. Die «Harald Schmidt Show» soll wieder aufleben. „Das Format werden wir beibehalten“, sagt Schmidt. Damals am 23. Dezember 2003 wurde die «Harald Schmidt Show» eingestellt, da der Late-Night-Talker kurzfristig seinen Vertrag nicht verlängerte. Erste Verhandlungen mit der ARD gab es dann nach der Absetzung von «Anke Late Night» bei Sat.1. «Harald Schmidt» wurde gewissermaßen das Nachfolgeformat der legendären «Harald Schmidt Show» - allerdings bei einem öffentlich-rechtlichen Kanal. Sidekick Manuel Andrack war mitgewechselt.

Das Konzept jedoch unterschied sich deutlich von der damaligen «Harald Schmidt Show». Und genau darin lag der Clou: Die Sendung dauerte nur eine halbe Stunde. Zunächst gab es keine Gäste in der Late-Night-Show. Der Stand-Up-Teil wurde in den ersten Sendungen noch vermisst, später dann wieder installiert. Auch zeichnete man in dem kleineren, aber neu eingerichteten Studio 2 der Produktionshalle Studio 449 in Köln-Mühlheim auf. Erst Ende 2005 wechselte man in das größere Studio 1, aus dem auch die Sat.1-Sendung gekommen war. Langsam aber sicher näherte sich die ARD-Sendung «Harald Schmidt» dem Konzept der alten «Harald Schmidt Show» wieder an - sehr zur Freude der Fans, die aber noch nicht vollkommen zufrieden waren.

Eingefleischte Fans beklagten immer noch die wenigen Außenaktionen und seltenen Einspielfilme in der Show. Neben Andrack war auch die Showband geblieben, die allerdings ohne Helmut Zerlett auskommen musste. Die „künstliche Werbepause“, in der die Band einen Musiktitel zur Überleitung zum Gast-Gespräch spielt, wurde schon nach wenigen Monaten eingeführt, oft auch mit einer satirischen Widmung. Damit die Sendung nicht langatmig wirkte, wie von vielen Zuschauern kritisiert. Seit September 2005 gab es dann auch wieder Gäste bei «Harald Schmidt». Die Sendung orientierte sich derweil am Tagesgeschehen und der Medienlandschaft bei ihrer Themenauswahl.

Anfang 2007 hatten sich die ARD und Harald Schmidt über eine Vertragsverlängerung geeinigt. Sein Vertrag lief bis dahin nur bis August 2007. Zugleich hatte man den Sendertermin für Schmidts Late-Night-Show im Ersten auf 22.45 Uhr korrigiert. Mit einem 45-minütigen Best-Of war die Sendung «Harald Schmidt» abgeschlossen worden. Damals hatte die ARD versucht Günther Jauch ins Boot zu holen. Er sollte das Aushängeschild des öffentlich-rechtlichen Senders werden und sagte nach halbjährigen Verhandlungen ab. Harald Schmidt, der vor zwei Jahren zur ARD zurück gekommen war, blieb. Er verlängerte um ein Jahr und hatte für die neue TV-Saison eine Überraschung parat: Er holte sich mit Oliver Pocher Verstärkung und präsentierte mit dem Comedian gemeinsam ab dem 25. Oktober 2007 eine Show. Das Format «Schmidt & Pocher» wurde nur noch einmal pro Woche donnerstags ausgestrahlt, war mit 60 Minuten aber doppelt so lang wie die Sendung «Harald Schmidt» zuvor. Den freien Mittwoch-Sendeplatz von Harald Schmidt hatte Frank Plasberg mit «hart aber fair» eingenommen. Da der Polit-Talk gut lief, war der Sendeplatz auf Dauer vergeben.

Lesen Sie auf der nächste Seite: Zwei Jahre «Schmidt & Pocher» und "Dirty Harrys" Rückkehr zu alter Stärke.

Die letzte Ausgabe seiner Show im Ersten: Ein Schlussstrich unter Schmidts ARD-Zeit. Nach einer Konzept-Suche, Resignation und einem Pocher-Intermezzo findet Harald Schmidt seine Late-Night-Leidenschaft wieder.

Zwei Jahre hielt «Schmidt & Pocher» durch. Den gewünschten Quoten-Aufschwung gab es nicht, dafür aber jede Menge Kritik. Die Personalie Pocher wurde bereits nach ihrer Bekanntgabe in den Feuilletons kritisch bewertet. „Er ist ein Riesentalent. Er beobachtet sehr genau, er ist witzig“, lobte und verteidigte Schmidt seinen neuen Partner Pocher damals im „Spiegel“-Interview. Und das nicht ohne Hintergrund: Schmidt plante nach seinem Bekunden im selben Interview einen Rückzug auf Raten. Er habe keine Lust mehr auf Late-Night-Show, wolle Pocher die Hauptrolle überlassen. Mit Late-Night sei er „fertig“, mehrmals wöchentlich wolle er das nicht mehr machen: „Man hat dann irgendwann nichts anderes mehr, auf jeden Fall nichts, was einem Privatleben noch ähneln würde“, sagte Schmidt dem „Spiegel“.

Doch die Zeit mit Oliver Pocher, den er als seinen Nachfolger aufbauen wollte, lief nicht ganz so wie gewünscht. Mit «Schmidt & Pocher» war auch Manuel Andrack kein Bestandteil mehr in der Sendung. Im Gegenzug kam Helmut Zerlett als Bandleader zurück. Auch Autor Peter Rütten, der bis 2003 für die «Harald Schmidt Show» schrieb, war wieder dabei. Für Furore sorgte «Schmidt & Pocher» gleich mit der ersten Sendung, als das "Nazometer" – eine Anspielung auf Eva Hermans Äußerungen zum Dritten Reich – hohe Wellen schlug. Als Rapperin Reyhan Şahin, besser bekannt als „Lady Bitch-Ray“, zu Gast war, wies Schmidt seinen Ziehsohn Pocher gar in die Schranken („kleine miese Type“).

Trotzdem ging es in eine zweite Staffel, die im Frühjahr 2009 zu ihrem Ende kam. Beide Moderatoren hatten sich geeinigt, dass die Sendung «Schmidt & Pocher» nicht weitergehen würde. Schmidt jedoch trat im „Stern“ nach: Pocher sei „extrem gut im Beobachten und Adaptieren. Man lernt am schnellsten, wenn man Dinge, die man gut findet, kopiert“, lobte er augenzwinkernd. Während Oliver Pocher seine eigene Show bei Sat.1 erhielt und Chefautor Peter Rütten gleich mitnahm, kehrte Harald Schmidt zu seinem alten Format bei der ARD zurück. Der Abschied auf Raten wurde das nicht. Vielmehr eine Vorbereitung für die Rückkehr eines Late-Night-Königs.

Die zweite Phase von «Harald Schmidt» begann. Die Show kam fortan nur noch einmal wöchentlich donnerstags um 22.45 Uhr. Allerdings verzichtete Schmidt nun auf einen Sidekick. Schmidt baute sich ein festes Team auf, das Einspieler lieferte und auch im Studio in verschiedenen Rollen zu sehen war. Dazu gehörten Katrin Bauerfeind, Autor Peter Richter, Redaktionsleiter Ralf Kabelka als Dr. Udo Brömme sowie das ehemalige «TV-Helden»-Trio Caroline Korneli, Jan Böhmermann und Pierre Krause. Auch Christian Brey, mit dem Schmidt am Stuttgarter Staatstheater zusammenarbeitete, gehörte zum Ensemble. Die Messlatte der ersten «Harald Schmidt»-Staffel nach Pocher hatte man aber hier so hoch gelegt, dass selbst treue Fans oftmals nicht mitkamen. Schmidt wollte nur noch das machen, was ihm Freude bereite. Entsprechend waren auch viele Theater-Leute zu Gast.

In der zu Ende gehenden, seit 2009 nun zweiten Staffel von «Harald Schmidt», die mit der Paukenschlag-Meldung des Sat.1-Wechsel begann, orientierte man sich wieder um. In Richtung der früheren «Harald Schmidt Show». Bilderrätsel, Playmobil-Aktionen und der "Liebling der Woche" brachten ein stückweit den Geist der damaligen Show zurück. Schmidt präsentierte sich immer mehr in Hochform und lief sich vor allem in den vergangenen Wochen schon einmal für die neue Sat.1-Ära warm (siehe Vor-Ort-Bericht). Im Team sind noch Bauerfeind, Böhmermann, Richter, Brömme und gelegentlich Brey übrig geblieben, sowie Reporter Klaas Heufer-Umlauf und ab und zu Max Giermann hinzugekommen. „Was das Ensemble betrifft, hoffe ich, dass wir in dieser Konstellation zusammenbleiben können“, verspricht Harald Schmidt für die Neuauflage der «Harald Schmidt Show».

Bei Sat.1 hat die Sendung seines ehemaligen Partners Oliver Pocher ein jähes Ende gefunden, worüber auch Schmidt in seiner Sendung Witze machte. „Das sind Komplimente unter langjährigen Partnern und Freunden und Oli geht damit glänzend um“, beteuert Schmidt gegenüber Quotenmeter.de – er nannte Pocher unter anderem „adipöses Ex-Talent“. Im vergangenen Jahr - unmittelbar vor dem Start der zweiten «Harald Schmidt»-Staffel - buhlte die ARD indes wieder um Günther Jauch – diesmal mit Erfolg. Der Moderator wird ab September 2011 wichtiger Bestandteil einer Polit-Talk-Strecke im Ersten. Für «Harald Schmidt» war da kein Platz mehr, den «Satire Gipfel» wollte der Late-Night-Talker auch nicht machen und das Gezerre um die Sendeplätze bei der ARD war er offenbar auch leid.

Harald Schmidt verlängerte seinen Vertag mit der ARD nicht und unterschrieb bei Sat.1. Einen Strich unter die ARD-Ära von Harald Schmidt zu ziehen, fällt nicht schwer: Schmidt ist bei dem öffentlich-rechtlichen Kanal nie richtig angekommen. Für ihn selbst waren die sechseinhalb Jahre im Ersten letztlich doch nur eine Übergangsstation: „Unterm Strich gesehen war es für mich eine schöne Zeit, in der ich mich neu sortiert habe, was meine zukünftige Tätigkeit angeht“, bekundet Schmidt. Der Altmeister und König der deutschen Late-Night, der sich diesen Beinamen von 1995 bis 2003 mit der «Harald Schmidt Show» verdient hatte und oft mit dem US-Talker David Letterman verglichen wurde, sprüht nach einer Zeit der Resignation im Ersten gerade in den letzten Monaten wieder voller Ehrgeiz und ist bissiger geworden. Harald Schmidt hat wieder richtig Lust auf Late-Night: „Ich würde sagen, ich bin definitiv geboren, um Late-Night zu machen“, sagt er im Hinblick auf seine neue Show bei Sat.1 – das Kapitel ARD wird am Donnerstagabend zum zweiten Mal beendet sein. Und wieder einmal schließt sich ein Kreis.

Die letzte «Harald Schmidt»-Ausgabe zeigt das Erste am heutigen Donnerstag, 2. Juni 2011, um 23 Uhr. Das komplette Exklusiv-Interview mit Harald Schmidt gibt es hier nachzulesen.
02.06.2011 08:00 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/49958