Die Kritiker: «Der Mauerschütze»

Handlung
Kurz vor Mauerfall hat Stefan Kortmann als NVA-Soldat an der Mauer einen Flüchtling erschossen. Jahre später treiben ihn seine Schuldgefühle dazu, sich der Frau des Toten zu stellen. Er lässt seinen sicheren Posten als Arzt auf einer Krebsstation ruhen und begibt sich auf die Suche nach der Witwe Silke Strehlow. Eher unfreiwillig wird er dabei von seinem jungen Patienten Paul begleitet, der mit der Diagnose Krebs auf seinen Tod wartet und abenteuerlustiger kaum sein könnte. Doch die Dinge entwickeln sich anders, es es sich Kortmann ausgemalt hatte – denn Strehlow hat nicht nur eine Tochter, er verliebt sich auch noch in die Witwe seines Opfers.

Darsteller
Benno Fürmann («Nackt») ist Dr. Stefan Kortmann
Gerrit Klein («Keine Angst») ist Dr. Stefan Kortmann (jung)
Annika Kuhl («Sonnenallee») ist Slike Strehlow
Lotte Flack («Die Päpstin») ist Sunny Strehlow

Max Hegewald («Keine Angst») ist Paul Schrader
Sandra Borgmann («Der Baader Meinhof Komplex») ist Dr. Maria Kranz
Jochen Striebeck («Irren ist männlich») ist Dr. Richard Breitfeld
Konstantin Graudus («Die Stein») ist Knut Sander
Ralph Herforth («Der Felsen») ist Dr. Pankow

Kritik
Die thematische Einordnung der Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte schwankt im zeitgenössischen Film zwischen idealisierender Verharmlosung und dunkler Dramatik, ist zu einem großen Teil aber immer geprägt von Opfern eines übermächtigen DDR-Regimes. Als einer von wenigen Filmen schafft es das Drama «Der Mauerschütze» endlich, seine vom System in die Irre gelenkte Hauptperson stellvertretend für einen Großteil von Täter vor die Schuldfrage zu stellen; mehr noch schließt das Drama die filmische Lücke zwischen Wohlfühl-DDR und Schurkenstaat und legt seinen Fokus dabei noch auf eines der am wenigsten behandelten Themen in Filmen über den ostdeutschen Parallelstaat: Mauerschützen, die eine nicht exakt definierte Zahl an Flüchtlingen per Ausführung des Schießbefehls daran hinderten, die DDR zu verlassen.

So wichtig diese historische Aufarbeitung ist, so behutsam wurde sie dramaturgisch umgesetzt: Regisseur Jan Ruzicka drehte unter anderem auf Usedom, die filmischen Rückblenden wurden an Originalschauplätzen in der ehemaligen DDR aufgenommen. Hauptdarsteller Benno Fürmann weiß als von Schuld geplagter Mauerschütze zu überzeugen, der seine Vergangenheit auch zwei Jahrzehnte nach seiner Tat nicht verarbeiten konnte; Lotte Flack und Max Hegewald brillieren als Nachwuchsdarsteller in ihrer sensiblen Funktion einer neuen Generation des vereinten Deutschlands. Das 1,5 Millionen Euro teure Drama aus den Federn der Drehbuchautoren Hermann Kirchmann, Scarlett Kleint und Alfred Roesler-Kleint zeichnet ein dementsprechend spannendes Psychogramm eines Täters, der sich mit seinen Opfern aussöhnen will.

Nur ein Schönheitsfehler trübt das klare Bild der kalten Vergangenheitsbewältigung, der dafür aber umso schwerer wiegt: Die emotionale Charakterisierung der Protagonisten wurde durch eine bleierne Liebesgeschichte zwischen Täter und Opfer einerseits und zwischen Patient und Tochter andererseits versaut, die derart gestelzt wirkt, dass sich beim Zuschauer eine peinliche Berührtheit einstellt. In Verbindung mit der sowieso überemotional dargestellten Leidensgeschichte des krebskranken Paul ist der Ärger über die vertane Chance, ein wirklich berührendes, weil kitschfreies Drama zu produzieren, nur umso größer. Was bleibt, ist eine halbherzige Mischung aus dramaturgisch wie schauspielerisch perfekt inszeniertem Drama und einer billig wirkenden Liebesgeschichte, die ohne weiteres auch in jeder anderen ARD-Produktion hätte stattfinden können. Großes Kino sieht anders aus, wirklich schlechtes allerdings auch.

arte zeigt «Der Mauerschütze» am Freitag, den 29. Juli 2011, um 20:15 Uhr. Das Erste wiederholt das Drama am Mittwoch, den 03. August 2011, um 20:15 Uhr.
28.07.2011 10:00 Uhr  •  Jakob Bokelmann Kurz-URL: qmde.de/51071