Jugendschutz-Debatte um verschobenen «Polizeiruf 110»

BR-Fernsehdirektor Fuchs, der die Entscheidung zur Verschiebung traf, und Regisseur Steinbichler diskutieren öffentlich.

Nach der Verschiebung des «Polizeiruf 110 - Denn sie wissen nicht was sie Tun» auf einen späteren Sendeplatz (wir berichteten) hat sich eine rege Diskussion entwickelt. Aus Gründen des Jugendschutzes hat BR-Fernsehdirektor Professor Gerhard Fuchs entschieden, die Folge der Krimi-Reihe erst nach 22 Uhr senden zu wollen. Einen neuen Ausstrahlungstermin gibt es aber noch nicht. Die Diskussion über die Schutzbedürftigkeit von Kindern vor Gewaltdarstellungen wird vom Bayerischen Rundfunk (BR) nun in einer Pressemitteilung ausdrücklich begrüßt.

Der BR fördere diesen Diskurs, heißt es. Entsprechend veröffentlicht der öffentlich-rechtliche Sender in seinem Online-Auftritt BR-online zwei konträre Standpunkte zum Thema „Welche Szenen können 12-jährigen um 20.15 Uhr zugemutet werden?“. Zu Wort kommen Fernsehdirektor Fuchs, der die Verschiebung der «Polizeiruf 110»-Folge auf eine spätere Sendezeit entschieden hat, und der Regisseur Films, Hans Steinbichler. Er beurteilt die BR-Entscheidung als einen diskussionswürdigen „Präzedenzfall“.

Ausgangspunkt für die Verlegung der «Polizeiruf 110»-Folge war eine Empfehlung der Jugendschutzbeauftragten des BR, Dr. Sabine Mader. Sie hatte von einer Freigabe ab 12 Jahren abgeraten. Der Grund: „Der Anschlag des Selbstmordattentäters, die Tunnelszenen und die Szenen vor dem Tunnel sind für die jugendschutzrechtliche Bewertung die wesentlichen Szenen. Die Vielzahl der schrecklichen Bilder nach dem Selbstmordattentat im Tunnel und die durchgängig gehaltene Spannung, durch die Angst vor einem weiteren Attentat, sind für Kinder als problematisch anzusehen. Entspannende Momente finden kaum statt“, so die Jugendschutzbeauftragte.

BR-Fernsehdirektor Professor Gerhard Fuchs in seinem Statement: „Mit diesem «Polizeiruf 110» ist ohne jeden Zweifel ein beeindruckend dichtes und spannungsgeladenes Filmwerk gelungen, das darüber hinaus getragen wird von einer herausragenden darstellerischen Leistung von Matthias Brandt. Hans Steinbichler hat hier erneut sein feines Gespür und großes Können als Filmemacher gezeigt“. Er rechtfertigt seine Entscheidung wie folgt: „Mit meiner Entscheidung, diesen Film erst ab 22 Uhr zur Ausstrahlung freizugeben, ist eine wichtige Debatte angestoßen, deren Aktualität und Notwendigkeit vor dem Hintergrund der verstörenden Anschläge in Norwegen noch deutlicher geworden ist“, betont Fuchs.

Auch Regisseur Hans Steinbichler macht Anmerkungen zur Diskussion: „Die Krux des «Polizeiruf 110 - Denn sie wissen nicht, was sie tun» ist: Er versucht eine Realität abzubilden, die es noch gar nicht gibt und die es hoffentlich in unserem Land nie geben wird. Der Film erzählt von einem ideologisch-politisch motivierten Attentat eines islamistischen Einzeltäters auf unsere Bürgergesellschaft mit vielen Opfern und unabwägbaren Folgen“, erklärt er.

„Ich habe Gerhard Fuchs in einem Gespräch gesagt, dass ich seine Entscheidung respektiere. Ich habe ihm auch gesagt, dass ich die Teilbegründung der Jugendschutzbeauftragten, der Film gefährde durch die Sicht auf einen ‚hilflosen Staat‘ die Entwicklung Jugendlicher, für gefährlich halte. Ich sagte ihm ebenso, ich hätte anders entschieden - und nicht nur meinetwegen“, schreibt Regisseur Steinbichler. Er zahle gerne den Preis dafür, dass „sein“ «Polizeiruf 110» später gezeigt werde, wenn durch den „Präzedenzfall“ eine „notwendige Diskussion um Sinn und Wirklichkeitsnähe des gesetzlichen Jugendschutzes in Gang“ käme.
28.07.2011 15:15 Uhr  •  Jürgen Kirsch Kurz-URL: qmde.de/51098