Das passiert, wenn der Regisseur von «Resident Evil» einen auf Mantel-und-Degen macht: «Die drei Musketiere» ist absurd, hohl und erstaunlich spaßig.
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«Cowboys & Aliens» trafen erst kürzlich der spröde Wilde Westen und unheimliche Aliens aufeinander. Dieser Aufprall der Filmwelten war sicherlich einfallsreich und handwerklich vorbildlich, jedoch längst nicht so rasant, wie er bei all seiner Absurdität hätte sein sollen. Dessen ist der nächste große filmische Kulturschock zweifelsohne nicht schuldig: Die neuste Adaption von «Die drei Musketiere» packt sich das klassische Genre des Mantel-und-Degen-Films und vermengt es unbarmherzig mit den modernen Sensibilitäten des Sci-Fi-Actionfilmers Paul W. S. Anderson. Das Ergebnis ist ein cineastischer Stinkefinger in Richtung literarischer Kulturhüter – sowie ein recht rasantes, vollkommen haarsträubendes und äußerst vergnügliches Kinospektakel.
In seinen Grundfesten bleibt der Stoff aber auch unter der Regie des «Resident Evil»-Regisseurs altbekannt: Der idealistische Jungspund D’Artagnan (Logan Lerman) reitet nach Paris, um sich dort seinen größten Wunsch zu erfüllen, nämlich einer der legendären Musketiere des Königs zu werden. Der glorreiche Korps der Musketiere existiert jedoch nicht mehr, einzig drei Recken halten die Tradition am Leben: Athos (Matthew Macfadyen), Porthos (Ray Stevenson) und Aramis (Luke Evans). Die vier vereinen ihre Kräfte, um eine Intrige des machtgierigen Kardinal Richelieu (Christoph Waltz) aufzuhalten.
Die Drehbuchautoren Alex Litwak (
«Predators») und Andrew Davies («Bridget Jones - Am Rande des Wahnsinns») scheinen tatsächlich den klassischen Roman von Alexandre Dumas gelesen zu haben. Die Rückgriffe auf die Vorlage enden nämlich nicht bereits an dieser so oberflächlichen Stelle, sondern erstrecken sich auch auf so manche Handlungspassage, die es nicht in jede der zahlreichen Verfilmungen geschafft haben. Dass sich Paul W. S. Anderson trotzdem einen feuchten Kehricht um akkurate Adaptionen schert, erkennt man an den waghalsigen Freiheiten, die er sich gleich zu Beginn des Films nimmt: Die drei Musketiere stehlen gemeinsam mit ihrer zwielichtigen Komplizin M’lady de Winter (Milla Jovovich) aus einem geheimen Bunker Leonardo da Vincis Baupläne für ein Luftschiff. Diese enden in den Händen des überaus arroganten und mindestens genauso teuflischen Herzog von Buckingham (Orlando Bloom) – und spätestens in diesem Moment findet der metaphorische Vertragsabschluss zwischen den Kinogängern und Paul W. S. Anderson statt. Entweder man nimmt seinen Ansatz hin, oder man verlässt schreiend das Kino und ist im Namen der Literaturgeschichte beleidigt.
Der Regisseur ist dahingehend fair: Früh genug macht er klar, dass seine Dumas-Verfilmung zwar im 17. Jahrhundert spielt, aber auch in einer von Jules Verne inspirierten Welt angesiedelt ist und einer modernen Videospiel-Ästhetik folgt. Gerade die Actionchoreographien mit Andersons Ehefrau Milla Jovovich könnten genauso gut aus einem der «Resident Evil»-Filme stammen, bloß dass Madame in pompösen Kostümen statt in T-Shirts gekleidet ist. Kostümschneider Perre-Yves Gayraud («Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders») hielt es mit der historischen Authentizität ähnlich wie der Regisseur, und übertrieb bei der Gestaltung, wo es nur ging. Die aufwändigen und mal gewollt lächerlichen (im Falle des französischen Königs), mal modern angehauchten (wann immer Jovovich besonders viel Bein zeigen darf), mal schlichtweg schrillen (im Falle Orlando Blooms) Kostüme sind repräsentativ für den gesamten Film: Subtilität ist ein Fremdwort, der schöne Schein und überdeutliche Modernität werden groß geschrieben. Das kann zwischendurch unbeabsichtigt saukomisch sein, ist aber größtenteils ehrliches Popcornkino, das genau weiß, was es tut.
Und in dieser Hinsicht hat Paul W. S. Anderson mit «Die drei Musketiere» glasklar eine seiner besten Arbeiten abgeliefert. Seine Regiearbeiten schwankten bislang zwischen „hohl, aber spaßig“ und „hohl und nervtötend“, und dieser schrille Kostüm-Actionschinken gehört in die erste Kategorie. So lange man akzeptieren kann, dass Anderson wie eh und je seine Schindluder mit der Filmvorlage treibt. Und gerade bei den Musketieren sollte das leichter fallen, als es Spielefans bei «Resident Evil» fiel. Denn von Dumas Klassiker existieren bereits Verfilmungen jeglicher Stilrichtung und in sämtlichen Güteklassen der Vorlagentreue. Da wäre, wenn man mal ganz ehrlich ist, eine strenge und zurückhaltende Adaption wohl weniger reizvoll, als diese Verrücktheit.
Die Actionszenen sind wohl dosiert über die Filmlaufzeit verteilt und zeigen den Videoclip-Ästheten Anderson von seiner besseren Seite: Sie sind modern, stylisch, schnell, aber nie unübersichtlich, erschöpfend oder einfallslos. Wie bei jedem Actionregisseur mit einer deutlichen Handschrift, wird er eingeschworene Feinde seiner Ästhetik nicht von sich überzeugen können – wer aber Andersons Stil nicht per se abgeneigt ist, bekommt ihn in «Die drei Musketiere» in gelungener Feinabstimmung serviert. Vor allem wissen er und sein Kameramann Glen MacPherson («Resident Evil: Afterlife») mit 3D umzugehen. Gerade in den Fechtszenen nutzen sie die zusätzliche Dimension sehr gut, statt in die typischen Fallen zu tappen und das Tempo entweder zu sehr zu drosseln (was langwierige Action bedeutet) oder zu rasant zu halten (was den 3D-Effekt abschwächt). Die Luftschiff-Schlacht schließlich, ist in ihrer genüsslichen Absurdität kaum zu übertreffen. Und aufgrund der gelungenen Action-Inszenierung geriet sie nicht lachhaft, sondern spannend. Was hinsichtlich des Settings eine durchaus halsbrecherische Herausforderung darstellte.
Man merkt Anderson jedoch auch durchweg an, dass er kein geborener Geschichtenerzähler ist. Denn nur, weil sich diese Verfilmung von «Die drei Musketiere» als modern, dynamisch und pures Popcornkino versteht, erhält sie längst keinen Freibrief für miese Figurenzeichnung. Wohl niemand fordert eine innerlich zerrissene, komplexe Darstellung der Musketiere, wenn er eine Eintrittskarte für einen 3D-Abenteuerfilm mit Luftschiffen und Til-Schweiger-Gastauftritt löst. Dennoch profitieren selbst die zeitgenössischsten unter den rasantesten Actionfilmen davon, wenn ihre Helden denkwürdig sind. Weshalb sonst verwandelte sich Johnny Depp nach «Fluch der Karibik» vom Kassengift zum Publikumsmagneten? Gute Dialoge und denkwürdige Hauptfiguren verlangsamen nicht etwa das Abenteuer, sondern binden das Geschehen näher an den Zuschauer, ermöglichen es, mitzufiebern und sich für die Seite der Helden zu freuen. Das scheint Paul W. S. Anderson auch nach über 15 Jahren Filmkarriere nicht verstanden zu haben.
Die Musketiere (inklusive D’Artagnan) sind erschreckend blass und nahezu austauschbar. Angesichts der sichtlich freudig aufgelegten Darstellertruppe ist dies besonders enttäuschend, denn wenn sie ausnahmsweise etwas länger interagieren dürfen, harmonieren sie sehr gut. Wer noch nie einen Musketier-Film sah, und auch nicht das Buch kennt, ist bei Anderson jedenfalls aufgeschmissen, wenn es darum geht, die Figuren auseinander zu halten. Aufgrund der schwachen Charakterisierung entgehen Anderson auch zahlreiche Gelegenheiten für die schon seit Errol Flynn mit dem Genre verheirateten, schnippischen Sprüche. Ja, sein «Die drei Musketiere» hat manchen Scherz zu bieten, aber angesichts seiner alles andere als ernsthaften Natur sind sie nicht genug.
Wo die Helden versagen, müssen die Schurken eingreifen: Mads Mikkelsen («Casino Royale») gibt mit diabolischem Grinsen einen grundsoliden Schurken-Handlanger Rochefort und Orlando Bloom trägt wundervoll dick auf. Auch der Spaß, den Milla Jovovich an der Rolle der zu allen Seiten offenen, intrigierenden M’lady hat, überträgt sich problemlos auf den Kinobesucher. Natürlich lässt sie, wie eigentlich alle in diesem Film, die Mehrdimensionalität ihrer Figur missen, doch sie kompensiert dies, genauso wie Bloom, immerhin mit einem amüsanten Augenzwinkern.
Dagegen wirkt ausgerechnet Christoph Waltz leider recht blass, was wohl vor allem am verschenkten Potential liegt. Waltz gibt seinen Kardinal Richelieu als gedrosselte Spielvariante seines legendären Hans Landa aus «Inglourious Basterds». Er ist etwas stiller, längst nicht so wortgewandt, hat aber eine ähnliche Attitüde und das gleiche hinterhältige Lächeln. Allerdings wirkt diese Darstellung stets gebremst, es wird angedeutet, dass Richelieu jeden Augenblick seine große Szene haben könnte, doch dieses Versprechen wird nicht eingelöst. Zu diesem aufgedrehten Film hätte ein verrückteres Schauspiel gepasst, wie die Faust aufs Auge. Würde Waltz so übertreiben, wie in «Green Hornet» oder jeglichen Gedanken an Subtilität über Bord werfen, wie Tim Curry in der «Die drei Musketiere»-Verfilmung aus den 90er-Jahren, wäre seine Figur ein deutlicher Pluspunkt für diesen Film. So hingegen ist Waltz grundsolide. Und verschenkt.
Davon abgesehen macht dieser Film sehr vieles richtig, woran der letzte radikale Modernisierungsversuch des Stoffs katastrophal scheiterte. Der 2001 gestartete «The Musketeer» langweilte aufgrund von verkrampften Martial-Arts-Szenen und einem Nichts an Atmosphäre. Zudem schien Regisseur Peter Hyams nicht zu wissen, wie weit er sich inszenatorisch in die Post-«Matrix»-Ära wagen darf. Solche Probleme kennt die komplett in Deutschland gedrehte Big-Budget-Produktion nicht: Paul W. S. Anderson klotzt mit Schauwerten, dynamischer Action und einer durchgehend süffisanten, comichaften Abenteuerstimmung. Nur die Filmmusik hält sich zwischendurch zu sehr zurück. Wenn schon knallig modern, dann auch musikalisch. Ein paar auffällige Fanfaren à la «Fluch der Karibik» hätten Andersons Actionsequenzen sicherlich gestanden. Mit flotterer Musik, einem stärkeren Oberschurken und denkwürdigeren Helden hätte «Die drei Musketiere» vielleicht ein Schule machendes Beispiel für den modernen Actionfilm werden können. So hingegen ist es, sofern man sich auf seinen freimütigen Ansatz einlässt, „bloß“ ein energiereicher, sehr unterhaltsamer und bewusst stumpfsinniger Popcornstreifen.
Fazit: Wer an der Vorlage festhält, wird diesen Film hassen. Wer aber locker lässt, bekommt ein vergnügliches, modernes Abenteuer geliefert. Dieses überzeugt mit einfallsreichen Actionpassagen und überbordenden Schauwerten, bleibt aber in der Figurenzeichnung der Helden vollkommen schal und stereotyp.
«Die drei Musketiere» ist ab dem 1. September in vielen deutschen Kinos zu sehen.