Popcorn und Rollenwechsel: Daueradaptionen

«Die drei Musketiere», «Robin Hood», «Alice im Wunderland» und Co.: Kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht wenigstens einer dieser Stoffe neu verfilmt wird. Unser Kinokolumnist widmet sich diesen Dauerbrennern und versucht, ihren Daueraufenthalt im Kino zu erklären.

Es gibt sehenswerte Geschichten, die machen offenbar nie den Sprung ins Medium Film. So erschien der kontrovers diskutierte, immens erfolgreiche Jugendroman «Der Fänger im Roggen» vor nunmehr sechzig Jahren, ohne dass es jemals zu einer Filmadaption kam. Manche bedauern es, andere sind froh darum. Ich wiederum warte seit 1995 auf eine spektakuläre Verfilmung des Videospiels «Donald in Maui Mallard», in dem Donald Duck als Privatdetektiv/Ninja auf einer tropischen Insel gegen riesige Metallspinnen, unheimliche Voodoo-Doppelgänger seiner selbst, Kannibalen und Zombie-Piraten kämpft.

Andere Geschichten werden hingegen so häufig verfilmt, dass die Masse ihrer Kino- und Fernsehadaptionen schier unüberschaubar ist. «Die drei Musketiere» etwa. Alexandre Dumas’ Klassiker wurde über zwanzig Mal verfilmt, mal recht nah an der Vorlage, mal zeitgemäß. Schon in den 30er Jahren wurde die Geschichte in einer Kurzfilmreihe mit John Wayne nach Nordafrika verlegt, aus den klassischen Musketieren wurden Fremdenlegionäre. Mal waren die Filme ernst, mal actionreicher. Es gab die Musketiere in komödiantischer Form und als Erotikfilm. Ist ja auch nahe liegend, die Herrschaften beim Kampf um das Vorrecht auf Milady de Winter die Lanzen kreuzen zu lassen.

Weshalb werden manche Geschichten so häufig adaptiert? „Weil Hollywood einfallslos ist“, werden jetzt gewiss einige Leser entgegen schreien. Aber ist es wirklich so leicht? Es setzen sich ja nicht seit 70 Jahren regelmäßig mehrere Regisseure oder Drehbuchautoren hin, in dringender Not eines neuen Films, und nach kurzer Überlegungsphase werfen sie alles über Bord und schreiben einfach eine neue Fassung von «Robin Hood». Das mag auf manche schwache Adaptionen von Kino-Dauerbrennern zutreffen, doch wohl kaum auf alle.

Viel eher sind «Die drei Musketiere», «Robin Hood», Charles Dickens Weihnachtsgeschichte oder «Romeo und Julia» einfach archetypische Geschichten. Wie sich Kinder ihr Lieblingsmärchen immer und immer wieder vorlesen lassen, so haben auch solche Daueradaptionsstoffe etwas Besonderes an sich. Sie sind nicht gezwungenermaßen die besten ihrer literarischen Reihe, allerdings haben sie eine besondere Zeitlosigkeit an sich, mit der sich ihre lang währende Faszination sehr gut erklären lässt. Sie sprechen zeitlose Themen auf ikonische Weise an, wie Shakespeares ironischerweise so unsterbliches Liebespaar, oder bieten eine dauerhaft reizvolle Mischung an Elementen. Wie den Ruf des Abenteuers, den Trubel des Erwachsenwerdens und die Suche nach einem Vaterersatz in «Die Schatzinsel» oder Romantik, politische Intrigen, Werteverfall, desillusionierte Vorbilder und erneut das stets so verführerische Abenteuer bei «Die drei Musketiere». Und vor allem sind diese Stoffe so wunderbar flexibel.

Es gibt sehenswerte Geschichten, die kann man nicht beliebig oft verfilmen. Es wäre eine Schnapsidee «The Da Vinci Code - Sakrileg» 2015 als Sexkomödie und 2030 als pessimistisches Liebesdrama neu zu verfilmen. Dafür ist Dan Browns Verschwörungsthriller zu unflexibel, zu stringent an eine Kernidee gebunden. Aber so, wie ein Kind beim wiederholten Vorlesen seiner Lieblingsgeschichte eine gewisse, nicht zu extreme, Variation lächelnd entgegennimmt, kann sich der Filmliebhaber immer wieder Modernisierungen einiger urtypischer Geschichten anschauen. Wir hatten schon Charles Dickens Weihnachtsgeschichte als zynische Schauer-Gegenwartskomödie mit Bill Murray. «Robin Hood» im Stil von Ridley Scotts «Gladiator». Und die Disney-Zeichentrickstudios verwandelten aus Robert Louis Stevensons Piratenklassiker das mit Sci-Fi- und Fantasy-Elementen beschmückte Animationsepos «Der Schatzplanet».

Nicht alle Neuinterpretationen sind preisverdächtig. Manche Romane hätte man lieber ganz in Ruhe gelassen. Wenn in 40 Jahren der dritte «Der Fänger im Roggen»-Film meint, als Kinder-Trickmusical mit sprechenden Mülltonnen in den Hauptrollen daherzukommen, dann Gnade uns der Literaturgott. Die meisten Abwandlungen von Dauerbrennern gilt es jedoch zu respektieren. Sie halten große Stoffe am Leben, zeigen uns andere Facetten ihrer Vorlagen. Und, so sehr man manchmal über Ideenlosigkeit meckern kann, irgendwie würde man sie ja vermissen, die Daueradaptionen.
05.09.2011 00:00 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/51820