‚Inhaltlich oft nichts auf die Reihe gekriegt‘
Im ausführlichen und exklusiven Quotenmeter-Interview mit Borris Brandt lesen Sie unter anderem, was der «Big Brother»-Vater über die vergangene Staffel denkt, wie die Chancen für eine Fortsetzung stehen, warum der Cast einer Staffel so wichtig ist und warum er RTL II Tierdokus empfiehlt…
Borris Brandt, Sie waren ProSieben-Programmdirektor und Endemol-Geschäftsführer. Nun moderieren Sie einen Radio-Talk. Wie kommt´s? Böse Zungen sagen, die meisten Karrierewege laufen andersrum vom Radio zum Fernsehen…
Ja, das stimmt... Nur bei mir ist es andersrum… als Kreativer kann man ja im TV nicht höher als Programmdirektor kommen. Dann bin ich Produzent geworden und höher als Geschäftsführer bei Endemol kann man auch nicht kommen (lacht). Als es da vorbei war, habe ich erst mal meine eigenen Sachen gemacht und überlegt, was ich will. Ich wollte vor allem zurück nach Hamburg kommen. Es geht mir bei meinem Ausflug eigentlich mehr um das Thema Talkshow. Ich bin ein großer Talkshow-Freund. Ich glaube, gerade in Zeiten, in denen sich alle die Budgets um die Ohren hauen, kann die Talkshow so eine ganz eigene Qualität und Kraft bekommen. Ich glaube allerdings, dass prominente Namen allein nicht der richtige Weg sind: Es kommt darauf an, dass da Menschen sind, die die Meinung emotional und glaubwürdig vertreten. Deswegen war es für mich eine persönliche Challenge, das mal im Radio zu versuchen und da habe ich bei Radio Hamburg den richtigen Partner gefunden, der mich das mal versuchen lässt.
Was ist denn das Besondere an Ihrer Radio-Talkshow?
In einer Welt, wo alles kontrolliert und vorgeschnitten wird, wo jeder probiert sich abzusichern, ist das die total offene Fläche. Da können Menschen anrufen und werden live reingestellt und ich muss dann damit umgehen. Das ist das spannende an «Brandt 20/20».
Kommen wir zum Fernsehen: Was ist für Sie ein Geheimtipp des deutschen Fernsehens?
Geheimtipp? «Cover my Song» ist zurzeit das spannendste, beste emotionalste und tollste Format... ich hätte sonst noch «X-Factor» genannt... !
... läuft ja direkt davor...
Ja, hätte ich auch genannt, aber das ist ja kein Geheimtipp mehr, da gucken ja viele Leute... das ist wirklich handwerklich toll gemachtes Fernsehen. Und selbst die größten Pfeifen werden nur liebevoll abgewatscht. «DSDS» ist dagegen inhaltlich schlechtes Fernsehen - vor allem was das Ergebnis angeht und auch im Vergleich zur US-Version. “
Bei welcher Sendung verlassen Sie sonst fluchtartig das Wohnzimmer?
Fluchtartig? Ganz aktuell: «Berlin – Tag und Nacht», und bei den letzten Staffeln von «Big Brother»…
Danke für die Überleitung... Kommen wir zu «Big Brother» – ihrem Baby. Was ist das Besondere an «Big Brother»?
«Big Brother» ist mit den richtigen Menschen ein unglaublich spannendes Format... Das kann man auch beobachten, wenn man sich die Staffeln anschaut... Von Staffel vier bis sieben war ich verantwortlich. Da kann man sehen, dass in jeder Staffel – auch in der nicht so erfolgreichen Staffel sechs, wo das auf dem Bauernhof und so gespielt hat – dass es immer besondere Menschen waren. Jeder hatte seine Eigenarten. Es war nicht so, dass man Pornomenschen, Assoziale, Tattoo- & Piercingfreaks brauchte. Man hat halt Menschen genommen, mit einem spannenden Hintergrund, die etwas zu erzählen haben und von denen man erwartet, dass die mehr von sich zeigen und sich im «BB»-Haus entwickeln. Aber nie im Leben hätten wir damals Pornomenschen genommen nur um nackte Haut zu sehen. Wobei (lacht) der Kollege mit der blauen Brille, «BB»-Producer damals, war schon oft hinter den Duschszenen her!
Was hat die 2011er-Staffel falsch gemacht?
Die Verlängerung einer halbwegs erfolgreichen Staffel ist völlig sinnlos, wenn man keinen Inhalt hat. Das ist einfach eine Ohrfeige für das Format. Schulnote 4, weil schlechter Cast, keine Geschichten… Thema verfehlt!
Im Winter war es Ihr Vorschlag als „Brandt-Orakel“, dass RTL II eine Sommer-Staffel realisieren solle. Ihr Vorschlag wurde anscheinend erhört. Wie zufrieden sind Sie mit der Umsetzung?
Ja, tatsächlich (lacht). Am Anfang der Sendung wurden gleich die ersten Fehler gemacht: In einer Reality-Show jemand Unreales einziehen zu lassen mit dem Transvestiten Valencia. Das war ein Fehler, weil es das Format ad absurdum führt. Dann dieser Person viel zu viel Raum zu geben mit dem Freund, der einzieht und wieder auszieht – ein Riesen-Fehler. Das ist unreality nicht reality.. Aber ansonsten ein gar nicht so schlechter Cast Und so schlecht ist es ja auch nicht gelaufen...
Ja, 7,4 Prozent in der werberelevanten Zielgruppe bei den Dailys und damit klar über dem RTL II-Senderschnitt. Aber trotzdem schlechter als vorige «Big Brother»-Staffeln…
Ja und das schlechteste Finale, das es jemals bei «Big Brother» gegeben hat. Ich habe neulich reingeschaut, da hatten die nur vier oder fünf Prozent. Dann haben die in der Not geschaut, was denn der Brandt damals gemacht hat: Und plötzlich kam „Touch-The-Car“ und die Leute standen wieder um das Auto rum... das hat sicher auch die Kollegen von früher gefreut (lacht)
Stimmt, dieses kreative Match kommt ursprünglich aus Staffel fünf… Es gab von einigen Fans auch kritische Stimmen, dass die Regeln ständig geändert würden - zum Beispiel bei den häufigen Aus- und doch wieder Einzügen… Wie wichtig ist ein festes Regelwerk?
70 Prozent eines Erfolgs macht der Cast, 20 Prozent feste Regeln und die Idee der Staffel, 10 Prozent der Rest. Das Thema Regeln war diesmal ein Albtraum für jeden Realityfreund. Da sieht man, dass das von Menschen produziert wird, die kein «Big Brother»-Herz haben.
Wie wahrscheinlich ist eine kommende Staffel 12?
Ich glaube, dass Staffel 12 kommt. Wenn die Kollegen schlau sind, wird es eine Sommer- oder Früh-Herbst-Staffel werden, 100 Tage, cooles Thema und endlich einen vernünftigen Cast ohne dieses ganze unsägliche Billigeffekt-Volk.
Was halten Sie von Formaten wie «X-Diaries» oder «Berlin – Tag und Nacht», das die «Big Brother»-Zusammenfassungen aktuell ersetzt?
Die Formate sind in meinen Augen Mist und unterscheiden sich auch nicht großartig. Berlin interessiert den Rest von Deutschland nicht so richtig und hippe Berliner schon überhaupt nicht. Wenn dann immer die Türen offen stehen, damit man auch durch die durchschauen kann und das dann Reality sein soll, ist das albern. Das gleiche gilt für «X-Diaries»: Das ist Deppen-TV und ich glaube nicht, dass das dem Sender dauerhaft hilft. Und es gibt doch so viele andere Programmfarben, die funktionieren bis hin zu schönen Tiersendungen. Also wenn da unterhaltsame Tierdokus laufen, wären die Quoten besser. Wenn sich das etabliert hat - wie wir das damals zum Beispiel bei ProSieben gemacht haben mit «Galileo» oder «Welt der Wunder» - dann werden auch die Eltern ihren Kindern raten, das zu gucken. Und dann hat man ruck zuck fünf bis sechs Prozent. Insofern ist gerade dieses Thema Infotainment für mich noch lange nicht ausgereizt. Oder auch ein junges Boulevard-Magazin über eine Stunde. Die kann man günstig produzieren, wenn man die Resourcen nutzt und mal aufmerksam VOX guckt. Da gibt es genug Möglichkeiten vernünftige Quoten zu erzielen. Man muss das nicht so einen Billigquark produzieren.
RTL II ist offiziell zufrieden mit der abgeschlossenen «Big Brother»-Staffel. Wieso lässt sich der Sender nach jeder Staffel so lange Zeit, bis es eine offizielle Entscheidung über die Fortsetzung des Formates gibt?
Weil jeder Tag, den man Endemol hängen lässt, drückt auf das Budget. Natürlich, Endemol braucht das Format unbedingt. Wenn Endemol das Format nächstes Jahr nicht hat, wird man Herrn Wolter anzählen, denke ich. Deswegen: Wenn RTL II sagt, wir zahlen nochmal eine Million weniger, dann wird Endemol probieren, das möglich zu machen. Es gibt da aber natürlich auch eine Grenze. Man sah jetzt schon, dass sie inhaltlich oft nichts auf die Reihe gekriegt haben, auch weil das Budget oder die Fachkräfte knapp waren .Es ist einfach nicht genug Geld für guten Inhalt ausgegeben worden. Und….eine schlechte Redaktion ist in der Regel genauso teuer ist wie eine gute Redaktion. Führung, Vision, Handwerk – da hatten sie Probleme.
Kritiker sagen, RTL II erkaufte sich teuer die guten Quoten, da das meist erfolgreichere «Big Brother»-Format dementsprechend höhere Produktionskosten als andere Vorabend-Formate erfordert…
Keine Frage, «Big Brother» ist teurer als alles andere von Dailys, die man machen kann. Aber wenn alles andere vier Prozent macht und «Big Brother» holt acht Prozent, lohnt sich das Investment. Eine durchschnittliche Sendestunde von «Big Brother» kostet heute vielleicht all over 70.000 Euro, Billig-Dokus in hoher Frequenz vielleicht nur 20.000 Euro, oder gar weniger. Ich bin ganz sicher, wenn RTL II eine erfolgreiche Alternative hätte oder «Berlin – Tag und Nacht» funktionieren würde, gäbe es kein «Big Brother» mehr…dazu ist der Kostendruck einfach zu hoch.
Aber galt «Big Brother» bei RTL II nicht bislang als eine Art „Leuchtturm-Projekt“ im Programm?
Der Zuschauer sucht sich sein Programm heute sehr gezielt aus. Ich kenne keinen Menschen, der alle anderen RTL II-Sendungen guckt, nur weil er «Big Brother» schaut. Die «Big Brother»-Community ist nicht das, was viele denken. Das sind keine Proleten und asozialen Zahnlose, die das gucken. Der größte Teil der «Big Brother»-Community sind Studenten und intellektuell bewanderte Menschen. Der zweite Teil sind Hausfrauen. Da gibt es natürlich auch Leute, die immer fernsehen. Aber mit Sicherheit hat die Daytime von RTL mehr Unterschichten-Menschen als RTL II bei «Big Brother», ganz sicher.
Stimmt, Zuschauerauswertungen haben das ergeben. Aber was halten Sie denn von dieser oft geführten „Unterschichten“-Debatte des allgemeinen deutschen Fernsehens?
Willkommen in der Wirklichkeit. Alle erfolgreichen Medien müssen für die Ober- Mittel- und Unterschicht arbeiten. Wenn viele Menschen tagsüber zu Hause sind, sind das entweder Hausfrauen oder Menschen, die nicht arbeiten - die dann automatisch zur Unterschicht gehören aufgrund ihres Einkommens. Das ist ein logischer Zusammenhang. Das ist eine absolut pseudo-intellektuelle Diskussion. Natürlich ist das, was in der Daytime läuft, Fernsehen für Menschen, die zu Hause sind – die anderen könne das ja nicht gucken, weil die arbeiten. Die, die zu Hause sind, sind entweder Hausfrauen – wissen wir, hinter denen sind wir alle her – oder Arbeitslose und Rentner, in der Summe stellen die aber dann eher soziale Unterschicht Deshalb läuft tagsüber eben einfaches Fernsehen. An den «Schulermittlern» auf RTL kann man aber sehen, dass man das auch gut machen kann.
Sie sind neuerdings AIDA Entertainment-Geschäftsführer. Was reizt Sie an dieser Aufgabe und inwieweit unterscheidet es sich von der TV-Unterhaltung, die Sie bisher beschäftigte?
Als mit Fernsehen Schluss war, habe ich einen Spagat zwischen Fernsehen, Entertainment und Markenartikel-Industrie probiert. Ich habe für Firmen wie Lexus, Unilever oder den Axel Springer-Verlag produziert. Aber es ist schon ein sehr hartes, aufwendiges Geschäft mit ganz kleinen Margen. Gleichzeitig habe ich immer nach einer Aufgabe mit großer Dimension gesucht. Also: Da sind wir heute, da wollen wir hin. Ich mag große Aufgaben! Deshalb bin ich bei AIDA .Die haben ein super Produkt und ganz klare, große Ziele – so wie damals ProSieben oder Endemol. Und auch hier…was für mich zählt sind die Menschen. Hier ist eine Stimmung, wie früher beim Fernsehen: optimistisch, hochkreativ, spannende Aufgaben, gemeinsame Ziele ein phantastisches Produkt. Das ist heute leider weder auf Sender- noch auf Produzentenseite noch so. Heute hat alles sehr viel mit Politik zu tun,. Es ist nicht mehr ein von Erfolg getriebener kreativer Prozess, der belohnt wird, was heute zählt ist eben bloß keine Fehler zu machen.
Zum Abschluss: Was werden die kommenden TV-Trends sein?
Ich glaube Formate, die nahe an der Wirklichkeit sind und emotionale Geschichten erzählen, haben Zukunft. Und ich bin mir ganz sicher, dass der Daytime-Talk wieder kommt – ich bewerbe mich schon mal… (lacht) Ich denke, dass ARD und ZDF in Zukunft meine Sendung «Brandt 20/20» live übertragen. Kann ja nicht so schwer sein…
Werden wir weiterleiten… Alles Gute und vielen Dank für das angenehme Gespräch, Borris Brandt.