«Kirschs Blüten»: Wir müssen reden
Was steckt hinter dem Wirbel um die Kandidatenauswahl bei der ZDFneo-Comedy «iss oder quizz»? Unser Kolumnist analysiert.
„Schummeln gilt nicht“, lautete der Titel dieser Kolumne vor einigen Wochen. Darin ging es um den Umgang mit Wahrheiten und Halbwahrheiten im deutschen Fernsehen. Oft trügt der Schein. Ob Häuser, die in Wirklichkeit doch nicht verkauft wurden, bei Tine Wittlers «Unterm Hammer» oder die filmische Wandlung des „Nein“ zu einem „Ja“ bei Vera Int-Veens «Mietprellern auf der Spur», um nur die gewichtigsten Fälle zu nennen – der tatsächlichen Story wird gerne mal auf die Sprünge geholfen. Dass da hinter den Kulissen getrickst wird, ist bereits ein offenes Geheimnis. Fernsehen ist eben auch Illusion für die Menschen vor dem Bildschirm. Doch nicht immer muss es gleich ein Skandal oder Schummelei sein, wenn etwas nachgeholfen wird. Klar, im Fernsehen wird nicht zu knapp an der Wahrheit gedreht. Das ist vor allem bei Formaten, die vorgeben die Realität abzubilden, so. Aber mittlerweile eben auch bei Unterhaltungsformaten. Gerade bei seriellen Formaten ist es so, dass der Druck, bis zu einem gewissen Zeitpunkt eine neue Folge liefern zu müssen, nun einmal gegeben. Da kann nicht alles dem Zufall überlassen werden – auch bei der Kandidatenauswahl. So geschehen bei der ZDFneo-Sendung «iss oder quizz». Neue Folgen konnten nicht rechtzeitig geliefert werden, der Digitalsender musste zunächst Wiederholungen zeigen.
Doch das war alles noch gar nicht so dramatisch. Zum Skandal aufgespielt wurden erst Hinweise, dass die Auswahl der Kandidaten nicht ganz so stattgefunden haben soll, wie man dies vereinbart hatte. Nämlich nicht grundsätzlich per Zufall in einem Restaurant. Sondern eben auch schon mal im Vorfeld oder unmittelbar vor dem Restaurant. Eingeweiht wurden aber nur die jeweiligen Lockvögel des Versteckte-Kamera-Formats bei ZDFneo. Das ist nicht ungewöhnlich, denn schließlich muss der Lockvogel ja wissen, was er zu tun hat, und kann nur durch entsprechende Instruktionen des Produktionsteams richtig mitmachen. Eine Praxis also, die bei der «Comedy-Falle» oder «Verstehen Sie Spaß?» nicht anders ist. Schließlich steht hinter dem Konzept der Versteckten Kamera, dass das so genannte „Opfer“ von dem Lockvogel in eine für ihn peinliche und für den Zuschauer amüsant-komische Situation gebracht wird. So war es auch bei «iss oder quizz»: Unter einem falschen Vorwand wurde der Kandidat, der zum Beispiel mit Freund oder Freundin ein Restaurant besuchte, hinter die Kulissen gelockt und verkabelt. Danach musste er den Anweisungen von Senna Guemmour und Lutz van der Horst folgen oder Quizfragen in das Gespräch mit seinem ahnungslosen Gegenüber einbauen. Bis zu 1000 Euro konnte der Kandidat bei «iss oder quizz» gewinnen; das „Spiel“ ist aber vorbei, wenn seine Begleitung merkt, dass etwas nicht stimmt und die „versteckte Kamera“ auffliegt.
Doch das von Shine Germany produzierte Format «iss oder quizz» wollte mehr sein, als nur ein weiteres Versteckte-Kamera-Format. Spontaneität, Zufall und Überraschung wurden in der Sendung groß geschrieben. Und genau hier liegt für ZDFneo die „Schummelei“, weil die Kandidaten eben teilweise nicht spontan und zufällig ausgewählt wurden. Der Sender reagierte hart auf entsprechende Hinweise und setzte die tägliche Comedy-Sendung ab. Das Produktionsunternehmen hat bereits sein Versäumnis eingeräumt und sich entschuldigt. Man hätte den Sender und die Zuschauer über die Art und Weise der Kandidatenauswahl besser informieren sollen. In der Tat lag hier wohl ein Kommunikationsproblem zwischen Sender und Produktionsfirma vor, das durch einen besseren und vor allem offeneren Dialog hätte vermieden werden können. Doch genauso schnell lässt sich diese Unstimmigkeit, resultierend aus mangelnder Kommunikation, eben auch ausräumen. Miteinander reden hilft manchmal. Wie hinlänglich bekannt ist und gerne mal verulkt wird, ist der häufigste Satz der Deutschen doch: Wir müssen reden! Auch der Digitalsender muss einsehen: Innovative Ideen lassen sich nicht auf Anhieb reibungslos umsetzen. Dabei ist es eigentlich doch viel Wind um nichts.
Denn wirkliche „Schummelei“ ist es nicht, wenn das „Opfer“ bei dem Versteckte-Kamera-Format ahnungslos bleibt. Es ist doch für das Format unerheblich, ob der Lockvogel schon vorher ausgewählt wurde oder erst am Drehtag. Nichts wurde gescriptet oder inszeniert. Dennoch wurde «iss oder quizz» nach den Vorwürfen gleich mit Scripted Reality in Verbindung gebracht, der Vorfall zu einem Skandal aufgebauscht. Genau das war ZDFneo peinlich. Mit der Absetzung wollte man sich von den Scritped-Reality-Vorwürfen klar distanzieren. Doch dass dahinter so viel Wahrheitsgehalt steckt wie in Sendungen wie «Unterm Hammer» & Co., war zunächst unwichtig. Der Wirbel um das ZDFneo-Format «iss oder quizz» löste Diskussionen aus, „Opfer“ meldeten sich über soziale Netzwerke zu Wort, bestätigten, dass hier nichts vorgeschrieben oder inszeniert, sondern alles spontan ist. Angesichts diverser schwerwiegenderer Lügen im Fernsehen, bei denen die Wahrheiten verdreht und Schein-Realitäten geschaffen werden, ist der Vorfall bei «iss oder quizz» nur eine Nichtigkeit, die durch bessere Absprache hätte verhindert werden können. Der Digitalsender hat hier nicht zuletzt ein wenig überreagiert, auch wenn das beauftragte Produktionsunternehmen sein Versäumnis zu spät bemerkte. ZDFneo, das gereizt auf die Tatsache regierte, dass Kandidaten von «iss oder quizz» schon vorher ausgewählt wurden, muss das Kommunikationsproblem mit der Produktionsfirma Shine Germany, die sich nun einsichtig zeigt, lösen. Dann kann «iss oder quizz» auch sein Gesicht wahren und auf den Bildschirm zurückkehren.
«Kirschs Blüten» gehen auch in der nächste Woche wieder auf – jeden Dienstag! Nur bei Quotenmeter.de!