Popcorn und Rollenwechsel: Gleichwertige Medien
Dass manche Medien aus Prinzip wertvoller sein sollen als andere, kann unser Kolumnist nicht nachvollziehen.
Eigentlich sollte man denken, dass sich das Medium Film schon längst durchgesetzt hat. Trotzdem steht die Filmkunst für viele Menschen noch immer hinter der Literatur. Bücher, die gelten als Kulturgut. Doch Filme, die gelten zunächst als reine Unterhaltung. Als würde niemand zum Spaß lesen, und niemand ernste Filme begrüßen. Diese Klassifizierung der Literatur als hochwertig und von Filmen als zweitrangig zieht sich sogar sehr weit durch unsere Gesellschaft. Während meines Studiums der Medienwissenschaften hörte ich immer wieder von Kommilitonen, die abfällig über dieses minderwertige Kino herzogen. Im Vergleich zu Büchern sei Film doch niemals Kunst!
Ich kann diese vermeintlich objektive Qualitätsrangliste unterschiedlicher Medien nicht nachvollziehen. Weder prinzipiell, noch habe ich Verständnis für die Argumente, die angebracht werden. Insbesondere die Behauptung, Literatur sei von Natur aus anspruchsvoller, da man sich voll auf sie konzentrieren muss, kann mich mitunter zur Weißglut bringen. Dieser Punkt hinkt an allen Ecken und Enden. Zunächst werden dabei Inhalt und Medium wild durcheinander geworfen. Natürlich gibt es Filme, während denen man Zeitung lesen und Bügeln kann, ohne den Faden zu verlieren. Und natürlich gibt es komplexe Romane, die erfordern, dass man sich auch aufs Lesen konzentriert, wenn man der Handlung folgen möchte. Musik hören, Kochen und nebenher noch im Internet chatten, das hat man dann zu unterlassen.
Allerdings ist es naiv zu behaupten, dass Filme deshalb leichter zu konsumieren sind, nur weil der Ton weiterläuft, während man wegsieht. Sobald man einen auch nur ansatzweise anspruchsvolleren Film sieht, wird es durch ständige Ablenkung schwer, der Handlung zu folgen. Und ein guter Film, ganz gleich wie komplex die Handlung denn nun ist, erfordert sowieso die vollste Konzentration: Wenn man sich wirklich auf Bild und Musik konzentriert, ist es ein viel reichhaltiger Medienkonsum. Sobald man dem Medium Film mit dem gleichen Respekt entgegnet, wie Büchern, dann beansprucht das „richtige“ Gucken von Filmen genauso viel Konzentration, wie das Lesen. Schließlich kann man sich nicht nur berieseln lassen, sondern auch das Handwerk und die Gedanken hinter den bunten Bildern achten.
Man muss ja bloß nur einmal den Spieß umdrehen. Manche Leute machen ja nichts anderes, wenn sie einmal ein Buch anfassen. Doch es ist genauso möglich, „nebenher“ zu lesen. Immer, wenn ich in meiner Studienzeit mit Pflichtlektüre überhäuft wurde, kam es vor, dass ich mit einem Buch in der Hand in einer langweiligen, aber wichtigen Vorlesung saß. Während ich das Buch las, unterhielt ich mich mit einem Kommilitonen und hörte dem Dozenten zu. Drei Dinge auf einmal erledigen – das war problemlos möglich. Ich bekam den Unterrichtsstoff mit, unterhielt mich angeregt und verstand die Handlung des mir aufgedrückten Romans. Aber das Leseerlebnis war ein schwächeres, als bei konzentrierter Lektüre, ich tauchte weniger intensiv in die Handlung ein und übersah auch gelegentlich einige der subtileren stilistischen Kunstgriffe. Es war genauso, wie beim unaufmerksamen Filmegucken. Da zünden Gags nicht, werden subtilere Charakterentwicklungen versäumt und, und, und …
Meines Erachtens nach sind die Medien gleichwertig. Das Buch als solches ist nicht anspruchsvoller als der Film an sich. Natürlich unterscheiden sich die Literatur und Filmkunst, doch ihre Unterschiede beeinflussen eher, wofür man sich ganz subjektiv mehr begeistern kann. Da ist es ganz natürlich, dass manche das gedruckte Wort über das bewegte Bild stellen. So wie sich manche im Museum auch mehr für Bildhauerei, als für Gemälde interessieren. Jede Kunstform hat halt ihre Vorzüge. Aber, bitte, kann dieses Vorurteil, ältere Medien seien aus Prinzip wertvoller, nicht endlich aussterben?