Sylvester Stallone will ein «Rocky»-Musical produzieren. Es wäre nicht die erste kuriose Bühnenadaption eines Kinofilms. Unser Filmkolumnist wagt den Blick zurück.
Das Musical ist, entgegen der Vorurteile mancher Verächter dieser Kunstform, als erzählerisches Medium nahezu unbegrenzt. Es existieren erfolgreiche Musicals über an AIDS erkrankte Rebellen («Rent»), mordende Barbiere («Sweeney Todd») und über konkurrierende Schachspieler, deren Wettstreit symbolisch für den Kalten Krieg steht («Chess»). Ist es erstmal geglückt, ein strategisches Brettspiel bühnentauglich sowie musikalisch umzusetzen, erscheint ein Musical über einen sich nach oben kämpfenden Boxer nicht gerade absurd. Absurd wird der Gedanke an ein Boxsport-Musical jedoch in der Sekunde, in der man es mit Actionstar Sylvester Stallone in Verbindung bringt, der vergangenes Jahr mit «The Expendables» eindrucksvoll daran erinnerte, dass ihm die feinsinnigen Künste nicht das wichtigste auf der Welt sind.
Und dennoch schlägt ausgerechnet der Testosteronbursche Stallone eine Musical-Adaption von «Rocky» vor, die in Deutschlands Musicalhauptstadt Hamburg Weltpremiere feiern soll. Wie bereits erwähnt, können Musicals eigentlich nahezu jede Geschichte erzählen. Doch sobald sie dies nicht eigenständig tun, sondern sich an einer Vorlage entlang hangeln müssen, fangen die Probleme an. Musical- und Tanzfilme, Märchen, tragische Liebesgeschichten, dies sind Stoffe, die sich das Publikum oft problemlos auch auf den Theaterbühnen dieser Welt vorstellen kann.
Ein Film wie «Rocky» hingegen ist schon rein konzeptionell eine exzentrische Wahl für eine Musical-Adaption. Hat man im Hinterkopf den Vergleich zum Original, in denen ein verschwitzter Stallone um Ruhm und Ehre boxt, sind Gesangseinlagen urplötzlich eine völlig befremdliche Sache. Soll der Titelheld etwa den Namen seiner Gefährtin singen, statt brüllen? Tanzt Rocky die Treppen zum Museum of Art in Philadelphia hoch? Das kennt man anders, das ist schwer zu schlucken.
Dass Stallone die Klitschko-Brüder als Co-Produzenten gewonnen hat und ausgerechnet den legendären künstlerischen Totalausfall «Spider-Man: Turn Off the Dark» als Inspirationsquelle heranzieht, lässt das «Rocky»-Musical endgültig mehr nach einem verspäteten Aprilscherz, als nach einem ernstzunehmenden Vorhaben klingen.
Aber Stallone ist nicht der erste, der einen Musical-untauglichen Kinofilm auf die Bühne bringen möchte. Zum Amüsement von uns allen folgen deswegen auf der nächsten Seite einige der katastrophalsten Bühnenadaptionen, die die Filmgeschichte über sich ergehen lassen musste. Möge sie den am «Rocky»-Musical beteiligten Künstlern als Wegweiser gelten, wie man es nicht machen sollte.
Auf der nächsten Seite: Eine Auswahl an gescheiterten Bühnenadaptionen von Kinofilmen.
Sylvester Stallone will ein «Rocky»-Musical produzieren. Es wäre nicht die erste kuriose Bühnenadaption eines Kinofilms. Unser Filmkolumnist wagt den Blick zurück.
«Shrek»
Einige der Elemente, mit denen «Shrek» zu Beginn des Jahrtausends die Zuschauer für sich gewann, waren folgende: Der Film war frech. Er verzichtete auf Kitsch. Und er veralberte die typische Disney-Formel zu einer Zeit, als viele Kinogänger genug von animierten Märchenmusicals hatten. Was liegt da also näher, als «Shrek» ganz disneytypisch auf die Bühne zu bringen und dem grünen Oger einen rührseligen Subplot über die Beziehung zu seinen Eltern zu geben? Auch wenn das «Shrek»-Musical dank großen Budgets technisch einwandfrei war, konnte es am Broadway keinen Gewinn abwerfen. Das Anti-Märchenmusical nun als Bühnenmusical umzusetzen hatte schlicht etwas Unauthentisches an sich. Das konnten ein paar hineingezwungene, spöttische Lieder zwischen einigem üblichen Theaterkitsch auch nicht ändern.
«Barbarella»
Dieses Musical ist eine Adaption des gleichnamigen französisch-italienischen Science-Fiction-Exploitationfilms, welcher wiederum auf den freizügigen Erwachsenencomics des Franzosen Jean-Claude Forest basierte. Der Film machte sich durch sein Intro einen Namen, in welchem ein Schwerelosigkeits-Striptease gezeigt wurde. Der Rest des Streifens mit Jane Fonda zeigte ein Minimum an Handlung und lebte allein von Sex und überzogener Gewalt. Ausgerechnet die Vereinigten Bühnen von Wien schenkten diesem Männerfilm eine Bühnenfassung. Statt einer zweiten «Rocky Horror Show» erwarteten den Zuschauer eine unentschlossene Mischung aus „Rock und Schnulzenpoesie“ sowie eine Hauptdarstellerin mit dem „verruchten Charme der Pippi Langstrumpf“ (so die Kritik in der Welt). Das Branchenblatt Variety merkte an, dass das Musical viel zu bemüht sei, „over the top“ zu wirken, so dass es diesen Kultfaktor letztlich nie erreicht. Nach nicht einmal einem Jahr entschwand das Musical in die Versenkung. Vom Soundtrack existieren gerade 100 Kopien.
«Eine Hochzeit zum Verlieben»
Die 1998 gestartete Komödie mit Adam Sandler und Drew Barrymore fand sich im April 2006 auf dem Broadway wieder. Im gleichen Jahr endete dieser Ausflug auf die Musicalmeile New Yorks nach lediglich 284 Aufführungen. Es erhielt zwar einige Nominierungen für den Tony Award, darunter auch als Bestes Musical, dennoch waren die Kritiken weniger erfreulich. Sie sprachen von einem 80er-Retro-Overkill, Figuren ohne Persönlichkeit und einem Nichts an Story. Die Filmvorlage enthielt zwar bereits einige Lieder, welche jedoch durch ihre sehr filmische Inszenierung an Witz gewannen und so erst wirklich interessant wurden. Der Humor des Films ließ sich nicht auf die Bühne übertragen und die eh sehr flachen Figuren wurden für die Bühnenadaption in ihren Ticks weiter gedrosselt. Wohl, weil man dachte, dass man im Theater etwas gediegener wirken müsse. Wie auf Slate.com zudem kritisiert wurde, fanden zu viele emotionale und inhaltliche Wendepunkte der Theaterfassung weiterhin in Dialogform statt, obwohl sich in einem Musical an diesen Stellen Lieder angeboten hätten. Verständlich, dass sich dieses Stück nicht durchsetzen konnte.
Bonus: «Tron on Ice»
Der Disney-Konzern bemüht sich bekanntlich redlich, aus seinen Titeln den größtmöglichen Profit zu schlagen. Dies kann den Fans entgegenkommen, etwa wenn auf allgemeine Begierde hin ein Kurzfilm zu «Rapunzel» entworfen wird. Es kann aber auch vollkommen daneben gehen. Dies gilt zum Beispiel für nahezu alle DVD-Fortsetzungen aus dem Disney-Studio. Für Disneys Realfilmkatalog gilt dies, aufgrund der teils vollkommen anderen Publikums-Zusammensetzung, umso mehr. So ist die Filmmusik aus «Fluch der Karibik» immens populär. Disney tätigte hier den richtigen Schritt und lizenzierte Symphonie-Konzerte zum Film. «Tron» hingegen wurde vor allem durch seinen Neonlook und exzentrische Kostüme zum Kultfilm. Dies in eine Familien-Eisrevue zu packen ist wiederum dämlich. Der obige Clip sagt wohl alles.
Natürlich sei der Musicalproduktion «Rocky» alles Gute gewünscht. Und immerhin weiß Stallone, dass Fans der Boxer-Filme die denkwürdigsten Songs der Reihe auch auf der Bühne erwarten. Das bereits nach wenigen Previews gecancelte «Frühstück bei Tiffany»-Musical war damals nicht so weise. Dennoch: Berechtigte Zweifel bleiben. Rocky ist also, mal wieder, der Underdog. Ob er sich auch dieses Mal zum Sieg kämpfen kann?