Konnte die Casting-Show wenigstens die Presse überzeugen? Und wie beurteilte sie den Sieger Roman Lob und dessen Siegersong?
Mit nur 2,19 Millionen Zuschauern fiel auch das Finale der Show
«Unser Star für Baku» komplett beim Publikum durch, noch nie interessierten sich so wenige Menschen für den deutschen Beitrag zum Eurovision Song Contest, sogar Lenas Suche nach ihrem Song für Düsseldorf war mit 3,25 Millionen im Finale deutlich erfolgreicher. Auch die Presse zog ein überwiegend negatives Fazit von der Sendung, während der Sieger Roman Lob und dessen Siegertitel "Standing Still" gar nicht so schlecht wegkamen – wie übrigens auch bei den Plattenkäufern, denn der Song stand zumindest für eine kurze Zeit an der Spitze der größten deutschen Downloadportale. Wir geben eine Übersicht über die Meinungen der Presse.
Isabel Christian (Der Tagesspiegel) schreibt:
Der Zuschauer, der sich nach der ersten Sendung ausgeklinkt hatte und später wieder einschaltete, konnte sich nicht vorstellen, dass dazwischen fünf Sendungen lagen. Alles schien unverändert. Links die durchgängig eingeblendete und nervtötende Blitztabelle mit der Kandidaten-Platzierung, der lässige Roman ganz oben, zwei Moderatoren, die alles sehr aufregend finden, und eine Jury, die unentwegt Nettigkeiten von sich gibt. Die Schmeicheleien wollten kein Ende nehmen. Das ist gewiss angenehmer als bei Dieter Bohlen, aber auch ein wenig fad. Besonders in der Finalshow, in der die Jury zusätzlich zu den Kandidaten auch die eigens produzierten Songs bewertete, nahm der Kuschelkurs überhand. Die größte Schwäche dieser Reihe aber war die unsägliche Länge. Jedes Mal zu Beginn gab es einen Einspielfilm, der noch einmal in epischer Breite die Erfolgsgeschichte von Lena erzählt, das „Sommermärchen“ von 2010. Weil aber beim Finale zwei andere Talente im Mittelpunkt standen, wurden auch sie noch einmal mit ausführlichen Rückblenden bedacht. So war die erste halbe Stunde bereits um, als Roman als erster Sänger endlich zum Mikrofon griff. Noch zäher geriet die Show jedoch, nachdem die Finalisten ihre drei zur Wahl stehenden Lieder gesungen hatten.
Um für das Publikumvoting Zeit zu schinden, wurde der Songdurchlauf gleich zweimal wiederholt und noch ein ausführlicher Blick ins Tonstudio geworfen. Im Vergleich mit 2010 wird der Unterschied schmerzlich deutlich: Als damals Lena entdeckt wurde, schaffte es die Show, nach und nach ein größeres Publikum zu erobern. Dieses Mal war das nicht so. Bleibt zu hoffen, dass Roman Lob in Aserbaidschan einen respektablen Platz erreicht.
Felix Bayer (Spiegel) schreibt:
Der Jurypräsident leistete einen Offenbarungseid. Denn die vier Songs, die Thomas D für die beiden Finalisten beim deutschen Vorentscheid zum Eurovision Song Contest ausgewählt hatte, waren allenfalls mittelmäßig. Immerhin wählten die anrufenden Zuschauer mit "Standing Still" den am wenigsten schwachen Titel aus. [...] Die von "echt guten, internationalen Songwritern" (Roman Lob) den Finalisten "auf den Leib geschriebenen" Lieder (Thomas D) waren für den 21-jährigen Lob drei Powerballaden, von denen zwei äußerst unsubtil in den herauszuschmetternden Refrain übergingen. Die dritte, der spätere Siegertitel "Standing Still", war etwas intelligenter aufgebaut, brachte das Saalpublikum zum Mitklatschen und hatte ein cleveres "falsches Ende", eine Unterbrechung, nach der der Song noch einmal einsetzte.
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An dem "Kompetenzteam", wie die Jury penetrant witzelnd genannt wurde, lässt sich festmachen, warum "Unser Star Für Baku" im derzeitigen Musik-Castingshow-Overkill unterging. Als vor zwei Jahren Lena Meyer-Landrut als Kandidatin für den Song Contest in Oslo ausgewählt wurde, war es noch eine Sensation, dass die Juroren um Stefan Raab ganz ernsthaft über Musik sprachen und die Kandidaten nicht niedermachten. Inzwischen geben sich auch "X Factor" und besonders "The Voice Of Germany" den Anstrich des Seriösen. Im Vergleich wirkte der beständig "bezauberte" Jurypräsident Thomas D albern in seiner angestrengten Euphorie, und Alina Süggeler äußerte ihre gelegentliche Kritik zu zurückhaltend und blieb blass.
Jens Maier (Stern): schreibt
Die Sendung beginnt wie immer schleppend: Die Moderatoren, hübsch angezogen zwar - aber ansonsten blass, die Vorstellung der Juroren - wie immer viel zu lang und ja, die ARD scheut nicht mal davor zurück, den gleichen Baku-Einspieler zu zeigen, der bereits im Viertelfinale zu sehen war. "Unser Star für Baku" ist eine Show nach dem Baukastenprinzip. Ohne Rücksicht auf das ermattende Zuschauerinteresse werden die immer gleichen Klötzchen aneinandergereiht. Die Minuten vergehen, doch einen Song, den hat das Publikum nach einer halben Stunde Sendezeit noch immer nicht zu hören bekommen. Dabei soll es heute doch nicht nur über den Star, sondern auch über das Lied für Baku entscheiden.
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Für Lob beginnt eine riesige Vermarktungsmaschinerie. Sein Album ist bereits in Planung, seine Single steht seit Donnerstagabend zum Download bereit. Ob er will oder nicht, er wird in die großen Fußstapfen von Lena Meyer-Landrut treten müssen. Und wären die nicht selbst für einen gestandenen Künstler eine Nummer zu groß? Roman ist ein Sympathieträger, keine Frage. Der nette Junge von nebenan, der den Fans in Baku sicherlich viel Freude machen wird. Keiner, bei dem man sich sorgen müsste, das traurige Kapitel Grand-Prix-Geschichte mit den letzten Plätzen der Gracias und No Angels könnte fortgeschrieben werden. Doch wird nicht er der Sündenbock sein, wenn die "nationale Aufgabe", die er von seiner Vorgängerin geerbt hat, scheitert?
Fabian Hartmann: (Welt) schreibt:
Auch das Finale am Donnerstag begann wie die sieben Sendungen zuvor: Schleppend. Bis überhaupt gesungen wurde, vergingen 30 Minuten. Die ARD überbrückte die Zeit mit Baku-Einspielern, stellte die Juroren vor und erklärte den Abstimmungsmodus. Erst danach kam die Musik. Vier Songs, allesamt Balladen. Gehobenes Mittelmaß, mehr nicht. In der entscheidenden Runde sang Lob "Standing still". [...] Lenas Song "Satellite" war ein Gute-Laune-Garant. Das Stück passte perfekt zu ihr. "Standing still" ist solide, mehr nicht.
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Dagegen erschien "Unser Star für Baku" zwischen der Konkurrenz eingeklemmt. Die Sendung blieb in allen acht Folgen blass - was auch an den Moderatoren lag. Sandra Rieß und Steven Gätjen waren nicht in der Lage, der Sendung eine persönliche Note zu geben. Besonders Rieß wirkte deplaziert: Ihre Aufgabe bestand offenbar vor allem darin, die Kandidaten nach dem Auftritt hinter der Bühne zu umarmen.