In Hollywood wird nach denen gesucht, die den US-Flop von «John Carter» zu verantworten haben. Vier Hauptverdächtige wurden gefunden ...
Nachdem in dieser Kolumne bereits
die Debatte um die Nachdreharbeiten von «John Carter» und
die nie verwirklichten Kinoadaptionen der Romanvorlage abgehandelt wurden, kommen wir zum dritten und voraussichtlich abschließenden Teil der hiesigen «John Carter»-Saga. Wie schon in den vergangenen zwei Ausgaben von „Popcorn und Rollenwechsel“ angeschnitten, herrscht bei Hollywoodanalysten großer Unmut über die Marketingkampagne zu diesem Sci-Fi-Fantasy-Epos, welches daraufhin ein sehr schwaches US-Startergebnis hinlegte.
Seither beschäftigen sich Branchenbeobachter mit der Analyse dieses Scheiterns. Filmjournalisten und die nach den Ursachen forschenden Mitglieder der Hollywoodindustrie machen dabei vier Kernfiguren im finanziellen Debakel aus. Es folgt ein Blick in ihre Akten ...
Die Person: Regisseur und Co-Autor Andrew Stanton
Ihre Schuld: Der zweifache Oscar-Preisträger riss laut Informationen von
Vulture das frühe Marketing komplett an sich. Er bestand demnach darauf, dass der erste Teaser-Trailer einen melancholischen Ton anschlägt, kaum Sci-Fi-Szenen zeigt und mit Peter Gabriels nachdenklicher Coverversion von „My Body is a Cage“ unterlegt wird. Er bestimmte auch, dass frühes Promomaterial nur unwesentlich mehr als die stilisierten Initialen „JCM“ zeigen sollte. Er konnte es mit seinem Gewicht als gefeierter Pixar-Regisseur durchsetzen, indem er damit drohte, bei Widerworten dem Konzern den Rücken zu drehen. Dass er sehr minimalistische Poster wünschte und einen so speziellen, ersten Trailer orderte, hing mit seiner Passion für Burroughs Romane rund um John Carter zusammen, die Stanton nicht ins Verhältnis mit anderen Leuten gesetzt haben soll.
Stanton soll davon ausgegangen sein, dass Kinogänger noch immer eine Bindung zu der Literaturvorlage hätten und dass nur sehr vage erste Bilder bereits großes Feedback erhalten. Der zweite Trailer, mit dem die Marketingexpertin Marie Carney die Handlung erläutern und sowohl die Abenteuerromantik, als auch die Action des Films ansprechen und somit ein breites Publikum wollte, wurde von Stanton klein geredet. Nur Pixars Perfektionsstreben gewöhnt, weigerte er sich, die Wunschszenen des Marketingteams freizugeben, da sie alle noch nicht komplett fertig waren. Dass sie noch nicht fertig waren, lag wiederum daran, dass Andrew Stanton als Realfilmdebütant nicht wusste, dass das Marketing gewisse „Trailer Shots“, also visuell impressive, effekt- und actionlastige Kernmomente, schon sehr früh braucht, um Actionspektakel an den Mann bringen zu können. Stanton soll auch auf das Cover von Led Zeppelins „Kashmir“ bestanden haben, das während des Trailers zu hören ist. Mit dem Material, das Stanton freigab, entstand letztlich ein rein actionbasierter Trailer, der zudem (nahezu ungewollt) die Elemente der «John Carter»-Vorlage herausstellte, die schon von «Avatar» und «Star Wars» geklaut wurden. Sich gegen Stanton durchzusetzen soll unmöglich gewesen sein, angeblich kam es zu hitzigen Debatten, die Carney teilweise in Tränen aufgelöst zurückließen.
Ihre Verteidigung: Zumindest die Anschuldigungen, Stanton habe darüber hinaus das Budget explodieren lassen, kann er
von sich weisen. Und auf die „Trailer Shot“-Problematik hätte man ihn vorab hinweisen können.
Die Nachwirkungen: Die von Stanton ersehnten, und in grober Form bereits skizzierten, Fortsetzungen von «John Carter» stehen auf Kipp. Es ist fraglich, ob Stanton auch in Zukunft bei Disney seinen Willen durchboxen kann, ebenso, ob er bei weiteren Realfilmen ein hohes Budget genehmigt bekommt.
Die Person: Marie Therese Carney, Marketingexpertin
Ihre Schuld: Zu den ersten Aufgaben, die die im April 2010 aus der Lebensmittelvermarktung übergewechselte Marketingexpertin bei Disney übernehmen musste, zählte die Übernahme der «Duell der Magier»-Marktplatzierung in aller letzter Minute. Der Film drohte an den Kassen unterzugehen – und so kam es auch. Seither mutmaßte man laut der
NY Times in der Filmindustrie, sie sei nicht für das Vermarkten von Filmen geschaffen und werde auch keinen Fuß mehr in diesem Business fassen. Für das Marketing der nächsten Jerry-Bruckheimer-Produktion, «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten», zog sie erfahrene Kollegen zu Rate und verlagerte einen Großteil der Verantwortung. Carney trug die Entscheidung mit, «John Carter» nicht auf der San Diego Comic Con zu präsentieren, der wohl wichtigsten Messe für Popkultur der Sci-Fi-, Fantasy- und Superheldengenres. Darüber hinaus scheiterte sie daran, sich bei der Gestaltung der ersten Trailer gegen Andrew Stantons Wünsche durchzusetzen und ist mitverantwortlich an der Entscheidung, aus dem klaren Titel «John Carter of Mars» das generische «John Carter» zu machen.
Ihre Verteidigung: Das von ihr mitgestaltete Marketing zu «Die Muppets» erfreute Fanherzen, das Marketingteam hinter «The Help» erhielt sogar eine Branchen-Ehrenauszeichnung und der erste «The Avengers»-Trailer brach seinerzeit den Rekord für die meisten Downloads innerhalb eines Tages bei iTunes.
Die Nachwirkungen: Im Januar 2012 verließ Carney ihre Position bei Disney. Sie blieb nur achtzehn Monate in Disneys Marketing-Abteilung, obwohl sie einen Vier-Jahres-Vertrag hatte.
Die Person: Rich Ross, Vorstandsvorsitzender der Walt Disney Studios
Ihre Schuld: Der 50-Jährige arbeitet seit er die Leitung der Disney-Studios im Oktober 2009 übernahm an einer Neupositionierung. Er versucht, Disneys Stärke im Bilden und Bewahren seiner Kernmarken stärker auszuspielen und konzentriert Disneys Geschäftsbemühungen seither auf potentielle Franchises. Ross möchte abseits weniger, sehr kostengünstiger Realfilme, nur noch Spielfilme in Disneys Lineup aufnehmen, die zu einer Auswertung in anderen Bereichen des Konzerns taugen. Sein Modell sieht nach dem Vorbild der «Pirates of the Caribbean»-Filme größere Budgets für diese Hoffnungsträger vor, um Disney in den Köpfen der Kinogänger als Marke für riesige, international ansprechende Spektakel festzusetzen. Dies klingt in der Theorie bestechend („Wir machen nur Hits!“), ist jedoch waghalsig. Wie ein Mitbewerber in Analogie zum Baseballfilm «Moneyball» gegenüber
THR sagt: „Du kannst nicht nur Homeruns schlagen. Du brauchst auch ein paar Filme, mit denen du einfach nur eine Base besetzt.“
Außerdem schwört Ross auf besonders aufwändiges Marketing, das dafür sorgen soll, dass die Marke, für die der betroffene Realfilm steht, in jedermanns Mund ist. Zudem verpasste Ross der Geschäfts-, Marketing- und Produktionsleitung eine Frischzellenkur, indem er viele Vertraute seines Vorgängers Dick Cook entließ und deren Positionen mit Novizen besetzte. Da Ross und sein Kompetenzteam wenig Erfahrung in ihren jeweiligen Aufgabenbereichen mitbrachten, wird Ross zudem unter anderem vorgeworfen, er trage Mitschuld, dass Andrew Stanton nicht mitgeteilt wurde, er müsse typische „Trailer Shots“ sehr früh fertig stellen und für das Marketing freigeben.
Ihre Verteidigung: Ross' Herangehensweise ging zuvor für die Milliardenerfolge «Alice im Wunderland» und «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» auf und «Die Muppets» wurde zum erfolgreichsten Film der Puppenbande. Sofern man Ross auch die Trickerfolge anrechnen will, so hat er auch sehr erfolgreich «Toy Story 3» und «Rapunzel» auf den Markt gebracht, selbst wenn sein Einfluss auf die Filme selbst quasi nicht vorhanden ist. «John Carter» hatte also nur Pech.
Die Nachwirkungen: Unklar. Manche Stimmen flüstern, dass Ross' sich bald von seinem bisherigen Kurs und/oder einigen seiner neuen Vertrauten trennen muss, andere behaupten, im Konzern würde man das nächste Kinojahr abwarten, in dem mit «The Lone Ranger» und «Oz: The Great and Powerful» zwei weitere Megaproduktionen anstehen.
Die Person: Dick Cook, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Walt Disney Studios
Ihre Schuld: Cook gab dem Film, ohne ein fertiges Drehbuch gesehen zu haben, grünes Licht und gestattete ihm ein Budget von knapp unter 200 Millionen Dollar. Manche sprechen von blindem Vertrauen in Andrew Stanton.
Ihre Verteidigung: Weshalb sollte man dem von Kritikern, Branchenkollegen und dem Publikum gefeierten Regisseur von «WALL•E» und «Findet Nemo»
nicht vertrauen?
Die Nachwirkungen: Gar keine. Cook deutete vergangenes Jahr an, er wolle vielleicht wieder ins Filmgeschäft einsteigen, doch vom «John Carter»-Flop dürfte diese Rückkehr kaum beeinflusst werden. Cook pflegt engen, freundschaftlichen Kontakt zu einigen Größen im Filmgeschäft und zu wichtigen Mitgliedern der Vertriebsbranche und genießt unter den Leitern von Kinoketten Respekt. Wenn Cook zurückwill, so kann er sich auf ein dicht geknüpftes Netzwerk verlassen.
Letzten Endes bleiben die Theorien über das Scheitern von «John Carter» aber nichts weiteres als Spekulationen, wenngleich sehr überzeugende. Ich selbst war mit dem Marketing für diesen Film unzufrieden und kenne Leute, bei denen ich nach dem ersten Trailer massive Schadensbegrenzung betreiben musste, um sie für einen Kinobesuch zu begeistern. Sie genossen «John Carter». Doch ob andere Trailer oder an anderer Filmtitel besser funktioniert hätten, lässt sich schwer beweisen.
Um die Marketingfrage zu beantworten und im Subkosmos kostspieliger, nicht an die finanziellen Erwartungen heranreichender Disney-Realfilme zu bleiben: «Prince of Persia: Der Sand der Zeit» hatte gute wie auch schlechte Poster, viele gute und ein paar hinnehmbare Trailer. Er hat, wie «John Carter», eine bessere IMDb-Wertung als «Transformers 3», gefiel dem Publikum also besser als Michael Bays erster Milliardenerfolg. Beide Filme sind visuelle Spektakel, doch nur einer hat an den Kinokassen ausreichend eingespielt, um die Produzenten zufrieden zu stellen. Die Videospieladaption mit Jake Gyllenhaal scheiterte in den Staaten an der 100-Millionen-Dollar-Marke, nahm im Rest der Welt jedoch 244 Millionen ein. Hätte er, wie manch andere Bruckheimer-Abenteuer, in den USA mindestens 200 Millionen eingespielt, würde man ihn mit über 440 Millionen Dollar Gesamteinspiel nur noch bedingt als Flop bezeichnen. Weshalb «Prince of Persia» daran scheiterte, bleibt eine offene Frage.
«John Carter» findet ebenfalls international gewissen Zuspruch. Selbstredend ist er noch immer ausbaufähig. Doch er ist in Russland auf Rang 5 der stärksten Startwochenenden (und auf Platz 1 der besten Starttage) und ein Renner in vielen asiatischen Märkten und Australien, sowie ein mittelmäßiger bis respektabler Hit in Europa. Die Kritiker sind bezüglich «John Carter» regelrecht in der Mitte gespalten, die eine Hälfte findet ihn öde, die andere Hälfte gelungen, die Zuschauerreaktionen sind bislang gut, wenngleich nicht sensationell. Vielleicht sollte es einfach nicht sein, und der Filmstoff spricht kein derart großes Publikum an, wie zuvor erhofft. Eventuell geschieht mit «John Carter» ähnliches wie mit dem Original-«Tron», der seinerzeit an der Masse scheiterte, bei Genrefans einen schwachen Punkt traf und langsam zum Kult wurde. Vielleicht wird «John Carter» auch viel schneller zum Hit und verkauft Massen an Blu-rays.
Um also ein Fazit zu ziehen: Kurzfristig beeinflusste er, allein auf Basis von Prognosen, die Karriere einer Marketingchefin und wird sicherlich auch, allein auf Basis des US-Einspielergebnisses, Andrew Stantons Ausflug ins Realfilmsegment an eine kürzere Kette legen. Der Rest, insbesondere die langfristige Nachwirkung des Films, steht in den Sternen. John Carter würde sich dort wohl heimisch fühlen ...