«Tatort»-Autoren suchen Dialog mit Netzpolitikern

In einem offenen Brief an die Piratenpartei, die Grünen, die Linken und die Netzgemeinde bitten 51 «Tatort»-Autoren um Gehör zum Thema Urheberrecht.

Das Thema Urheberrecht steht mit zunehmender Häufigkeit zur Diskussion. Viele Netzpolitiker fordern eine komplette Umgestaltung oder sogar eine Abschaffung des bislang geltenden Urheberrechts, insbesondere die Piratenpartei stellt es als ein veraltetes, kommerzielles Modell dar, das den Internetnutzer in seiner Freiheit einschränkt. In den Augen der «Tatort»-Autoren stellt dies laut Pressemitteilung eine „durchaus bedrohliche Gemengelage“ dar, vor allem da andere Parteien ihre Bemühungen um ein die Urheber befürwortendes Gegenmodell eingestellt zu haben scheinen.

Geht es nach den Verfassern der erfolgreichen ARD-Krimis, so wird derzeit dem Denken der Netzgemeinde mehr Raum geboten, als der Gegenseite. Deshalb haben 51 der «Tatort»-Autoren einen offenen Brief verfasst, dessen Ziel es sei, so der Verband Deutscher Drehbuchautoren, „einen Dialog überhaupt erst zu beginnen.“ Die Netzpolitiker hätten sich nämlich bislang nicht ernsthaft „mit denen, deren professionelle Produkte die User so begehrenswert finden, mit den Autoren, Fotografen, Designern, Komponisten und Architekten und alle die anderen Urheber“ befasst.

Der offene Brief richtet sich gezielt an die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Linke, die Piratenpartei, die Mitglieder der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, den Rechtsausschuss des Bundestags sowie an dessen Ausschuss für Kultur und Medien. Im Brief betonen die Unterzeichner, dass sie anerkennen, dass sich die Kritiker des Urheberrechtes „eines veritablen Problems annehmen wollen“, weshalb sie die Netzpolitiker keineswegs angreifen wollten. Jedoch würden sie das Dilemma dieser Thematik nicht erkennen, weswegen sie auf „ein paar Lebenslügen“ hingewiesen werden und sich von diesen verabschieden müssten.

Einer der elementaren Fehlschlüsse in der fundamentalen Kritik am Urheberrecht sei die „demagogische Gleichsetzung von frei und kostenfrei“, welche lediglich „der Aufwertung der User-Interessen“ diene, den Urhebern dagegen schaden würde. Allgemein würden die Grundrechte und Interessen von Urhebern marginalisiert, während im „Diskurs über das Netz und seine User [...] die Banalität von Rechtsverstößen kaschiert oder gar zum Freiheitsakt hochjazzt“ würde. Darüber vergäßen die Digital Natives, dass die „Trennung in Urheber und 'böse' Verwerter überhaupt keinen Sinn“ mache, da „Filme, Musikproduktionen, web- und Werbekampagnen, Architektur- und Designprodukte“ nur durch eine Verbindung von künstlerischen Ideen und Kapital sowie Vermakrtung realisiert werden könnten. Deshalb schade die Netzpolitik letztlich auch dem User.

Den vollständigen offenen Brief können Sie auf der nächsten Seite nachlesen.


Offener Brief von 51 Tatort-Autoren

Liebe Grüne, liebe Pi­ra­ten, liebe Linke, liebe Netz­ge­mein­de!

Wir Un­ter­zeich­ner er­ken­nen an, dass Sie alle sich eines ve­ri­ta­blen Pro­blems an­neh­men wol­len, das die zwei gro­ßen, am In­ter­net hän­gen­den „Par­tei­en“ be­trifft: Die schlech­te Lage der Ur­he­ber, ihre un­an­ge­mes­se­ne Ver­gü­tung und die mil­lio­nen­fa­che il­le­ga­le Nut­zung von ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­ten In­hal­ten auf der einen Seite, 600.000 Ab­mah­nun­gen von Usern und die Mög­lich­keit von Netz­sper­ren und (an­lass­lo­ser) Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, die Sie gerne Zen­sur nen­nen, auf der an­de­ren Seite.

Wenn Sie die­ses tat­säch­li­che Di­lem­ma aber ernst­haft lösen (hel­fen) wol­len, ist es an der Zeit, sich von ein paar Le­bens­lü­gen zu ver­ab­schie­den.

Grüne Po­li­ti­ker un­ter­mau­ern das ak­tu­el­le Pro­blem üb­li­cher­wei­se durch die Ge­gen­über­s­tel-lung zwei­er Grund- und Men­schen­rech­te: Der Ar­ti­kel 27 der Men­schen­rech­te pos­tu­lie­re ei­ner­seits den Schutz des Ur­he­bers als Ei­gen­tü­mer sei­ner Schöp­fung, sei­ner Werke, an­de­rer­seits würde der freie Zu­gang zu Kunst und Kul­tur ga­ran­tiert. Diese dra­ma­ti­sche Ge­gen­über­stel­lung ent­hält aber gleich zwei Le­bens­lü­gen:

1. Die dem­ago­gi­sche Sug­ges­ti­on, es gäbe kei­nen frei­en Zu­gang zu Kunst und Kul­tur mehr – eine Be­haup­tung, die durch nichts be­wie­sen wird. Was auch schwer fal­len dürf­te: die Bun­des­re­pu­blik, die west­li­che Welt hat in über 100 Jah­ren ein de­fi­nier­tes, kla­res Sys­tem ver­schie­de­ner Nut­zungs­ar­ten und Zu­gän­ge her­aus­ge­bil­det.

2. Die dem­ago­gi­sche Gleich­set­zung von frei und kos­ten­frei. Die Men­schen­rech­te ga­ran­tie­ren in der Tat einen frei­en, aber doch kei­nen kos­ten­frei­en Zu­gang zu Kunst und Kul­tur. Diese po­li­ti­sche Ver­kür­zung von Grü­nen, Pi­ra­ten, Lin­ken und Netz­ge­mein­de dient le­dig­lich der Auf­wer­tung der User-In­ter­es­sen, deren Um­sonst­kul­tur so in den Rang eines Grund­rech­tes ge­hievt wer­den soll.

Wie über­haupt der ganze Dis­kurs über das Netz und seine User einen hohen Ton an­schlägt und damit die Ba­na­li­tät von Rechts­ver­stö­ßen ka­schiert oder gar zum Frei­heits­akt hoch­jazzt. Die Grund­rech­te der Ur­he­ber bzw. der von ihnen be­auf­trag­ten Rech­te­inha­ber aber wer­den da­ge­gen mar­gi­na­li­siert: Zum Bei­spiel das Grund­recht auf geis­ti­ges Ei­gen­tum. Die­ses Recht wird nicht nur fron­tal an­ge­grif­fen und in­fra­ge ge­stellt, neu­er­dings schi­cken ge­ra­de die Grü-nen gerne von Goog­le ali­men­tier­te In­itia­ti­ven wie col­la­bo­ra­to­ry, Alex­an­der-von-Hum­boldt-In­sti­tut oder auch das (vor­ma­li­ge) Max-Plank-In­sti­tut für geis­ti­ges Ei­gen­tum vor, die an­geb­lich völ­lig au­to­nom und un­ab­hän­gig eine neue Rechts­grund­la­ge su­chen wür­den – im so­ge­nann­ten Im­ma­te­ri­al­gü­ter-Recht.

Fakt ist, dass die Ur­he­ber­rech­te in der Bun­des­re­pu­blik nicht nur durch die Ver­fas­sung, son­dern auch durch zahl­lo­se, völ­ker­recht­lich ver­bind­li­che Ver­trä­ge auch in­ner­halb der EU ul­ti­ma­tiv ver­brieft sind. Dass die­ses Grund­recht ak­tu­ell zur po­li­ti­schen Dis­po­si­ti­on stün­de, ge­hört zu den lie­be­voll ge­heg­ten Le­bens­lü­gen der Netz­ge­mein­de.

Und noch eine Le­bens­lü­ge, die al­ler­dings ty­pisch ge­wor­den ist für die Ber­li­ner Re­pu­blik: der Aus­weg in die Sym­bol­po­li­tik. Das Bei­spiel hier­für sind hier die Schutz­fris­ten, mit denen die Ur­he­ber bzw. ihre Nach­fah­ren von dem ei­ge­nen Werk pro­fi­tie­ren kön­nen. Zur Zeit sind das 70 Jahre post mor­tem, die Netz­ge­mein­de for­dert ra­di­ka­le Ver­kür­zun­gen, gern auch mal „Mo­der­ni­sie­rung“ ge­nannt. Dabei rei­chen die For­de­run­gen von „gar keine Schutz­frist“, einer 5-Jah­res­frist nach Ver­öf­fent­li­chung des Wer­kes, die letz­te For­de­rung der Grü­nen lau­tet: „So­lan­ge der Ur­he­ber lebt“, an­de­re Netzin­itia­ti­ven nen­nen 20 Jahre post mor­tem.

Mal ganz ab­ge­se­hen von der Tat­sa­che, dass nir­gend­wo eine Ar­gu­men­ta­ti­on ver­sucht wird, warum ge­ra­de diese Ei­gen­tums­form über­haupt eine Ein­schrän­kung er­fah­ren darf, ist die­ser Vor­schlag zur Lö­sung des o.g. Di­lem­mas völ­lig un­ge­eig­net. Nicht nur, dass die Ur­he­ber durch diese Schutz­fris­ten-Ver­kür­zung ent­eig­net und damit dra­ma­tisch schlech­ter ge­stellt wür­den, nein, die­ser Vor­schlag än­dert auch kein biss­chen an den In­ter­es­sen der ver­meint­lich un­schul­di­gen User: Ihre il­le­ga­len Down­loads oder Strea­m­ings be­tref­fen in der Masse nur die al­ler­al­ler­neu­es­ten Filme, Mu­si­ken, Bü­cher, Fotos und De­signs – und nicht etwa Werke, die 20, 40 oder 60 Jahre alt sind. Eine Ver­kür­zung der Schutz­fris­ten würde an die­sem Pro­blem also nichts än­dern, wäre reine Sym­bol­po­li­tik: Schaut her, wir haben den Ur­he­bern auch was weg­ge­nom­men...

Die ver­mut­lich gra­vie­rends­te Le­bens­lü­ge der selbst­er­nann­ten Pro­blem­lö­ser zum Schluss: Wenn man Ur­he­ber und User bes­ser stel­len will, braucht es ja einen, der die­sen Al­le-ha­ben-al­le-wie­der-lieb-Kom­pro­miss, der den Kram be­zahlt – denn wie in allem, was her­ge­stellt wird, steckt auch im „Con­tent“ ver­dammt viel Ar­beit von Ur­he­bern und kos­tet des­halb auch Geld, das ir­gend je­mand be­zah­len muss. Die­sen om­ni­po­ten­ten Zah­ler kennt die Netz­ge-mein­de auch schon ganz genau: Nein, nicht Goog­le, youtube und die an­de­ren In­ter­net­ser­vice­pro­vi­der, die sich dumm und däm­lich daran ver­die­nen, il­le­ga­le Kon­tak­te zu ver­mit­teln, den kri­mi­nel­len Mo­del­len wie kino.​to, me­gau­pload, the Pi­ra­te Bay etc. über­haupt zum Er­folg zu ver­hel­fen. Nein, für die Grü­nen, Pi­ra­ten und Netz­po­li­ti­ker aller Par­tei­en ist der große Übel­tä­ter die Ver­wer­tungs­in­dus­trie: Sony, Uni­ver­sal, Ber­tels­mann und, ganz wich­tig, na­tür­lich die GEMA und die an­de­ren Ver­wer­tungs­ge­sell­schaf­ten. Das sind in ihren Augen die Blut­sau­ger, die sol­len die Zeche zah­len.

Mal davon ab­ge­se­hen, dass die selbst­er­nann­ten Di­gi­tal Na­ti­ves (auch) über die­sen Punkt nie di­rekt mit den be­trof­fe­nen Ur­he­bern ge­spro­chen haben, sie haben über­haupt nicht ver­ste­hen oder be­grei­fen wol­len, dass bis auf Maler und Bil­den­de Künst­ler diese Tren­nung in Ur-he­ber und „böse“ Ver­wer­ter über­haupt kei­nen Sinn macht, ja un­mög­lich ist: Filme, Mu­sik­pro­duk­tio­nen, web- und Wer­be­kam­pa­gnen, Ar­chi­tek­tur- und De­sign­pro­duk­te wer­den über­haupt erst rea­li­siert, wenn die künst­le­ri­schen Ideen der Ur­he­ber mit Ka­pi­tal und Ver­mark­tungs­know­how zu­sam­men­kom­men.

Wenn die Grü­nen, Pi­ra­ten, die Netz­po­li­ti­ker aller Par­tei­en es mit den Ur­he­bern also wirk­lich ernst mei­nen, dann soll­ten sie zu­nächst mal mit ihren ei­ge­nen Kul­tur­po­li­ti­kern spre­chen: Die kön­nen ihnen den Zu­sam­men­hang von Kunst/Kul­tur und ma­te­ri­el­ler Ab­si­che­rung si­cher er­läu­tern, ihnen klar ma­chen, dass die nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­on qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger Kunst und Kul­tur nicht ama­teur­haft, also wie Wi­ki­pe­dia or­ga­ni­siert wer­den kann. Im­mer­hin leben hun­dert­tau­sen­de Men­schen von krea­ti­ver Ar­beit und hel­fen mit ihren (kon­kur­renz­fä­hi­gen) Wer­ken, die ide­el­le und ma­te­ri­el­le Zu­kunft einer post­in­dus­tri­el­len Bun­des­re­pu­blik auch in­ter­na­tio­nal zu si­chern.

Wenn man die Lage der Ur­he­ber nach­hal­tig ver­bes­sern will, dann müss­ten also alle po­li­ti-schen Kräf­te den Ur­he­bern bzw. ihren Ver­bän­den hel­fen, das Ur­he­ber­ver­trags­recht zu ver­bes­sern, die Ver­hand­lungs­po­si­tio­nen der Ur­he­ber ge­gen­über den Ver­wer­tern zu stär­ken: Mit Hilfe ver­bind­li­cher Re­ge­lun­gen zu den Ge­mein­sa­men Ver­gü­tungs­re­geln (GVR) oder mit einem Ver­bands­kla­ge­recht, oder, oder...

Vor allen Din­gen soll­ten die Netz­po­li­ti­ker aller Par­tei­en die Fin­ger von den Schutz­fris­ten las­sen, und bitte nicht jede Miss­brauchs­kon­trol­le bei Pro­vi­dern und Usern gleich als den de­fi­ni­ti­ven Un­ter­gang des Abend­lan­des an­pran­gern: Bei der Suche nach Schwarz­fah­rern und Steu­er­hin­ter­zie­hern zum Bei­spiel, müs­sen sich die Bür­ger auch ei­ni­ge Ein­schrän­kun­gen ihrer Rech­te ge­fal­len las­sen.

Für kon­struk­ti­ve Ge­sprä­che über den an­ste­hen­den his­to­ri­schen Kom­pro­miss zwi­schen Ur­he­bern und Usern ste­hen wir je­der­zeit be­reit.

Mit freund­li­chen Grü­ßen

Urs Aeber­sold
Feo Ala­dag
Mi­guel Alex­and­re
Fried­rich Ani
Knut Boe­ser
Kat­rin Büh­lig
Fred Brei­ners­dor­fer
Leo­nie-Clai­re Brei­ners­dor­fer
Ste­fan Cantz + Jan Hin­ter
Orkun Er­te­ner
Chris­toph Fromm
Klaus Gie­tin­ger
Axel Götz
Dinah Marte Golch
Jo­chen Greve
Harry Gö­cke­ritz
Mi­cha­el Gut­mann
Peter Hem­mer
Peter Hen­ning
Felix Huby
Ste­fa­nie Krem­ser
Wolf­gang Lim­mer
Petra Lü­schow
Da­nie­la Mohr
Mar­ti­na Mouchot
Cle­mens Mu­rath
Ca­ro­lin Otto
Hen­ri­et­te Piper
Clau­dia Priet­zel
Peter Probst
Ger­hard J. Rekel
Pim G. Rich­ter
Jo­han­nes Rot­ter
Heike Rüb­bert
Peter Schei­bler
Hart­mann Schmi­ge
Hol­ger Kars­ten Schmidt
Si­mo­ne Schnei­der
Su­san­ne Schnei­der
Do­ro­thee Schön
Tho­mas Schwank
Xaõ Seff­che­que
Mar­kus Stromie­del
Uwe Wil­helm
Mi­cha­el Wogh
Da­ni­el Wolf
Ger­lin­de Wolf
Eva Zahn
Vol­ker A. Zahn
Peter Zing­ler
29.03.2012 15:50 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/55830