«Schlüter sieht's»: Das Talkshow-Karussell
Marina Weisband kritisiert Polit-Talkshows für fehlende Inhalte. Ein Kommentar.
„Es ist schwierig, in Talkshows politische Inhalte zu transportieren. Da geht es eher darum, dicke Eier zu haben.” Ein Zitat, das Bände spricht: Nicht, weil es von irgendeinem Talkshow-Zuschauer kommt oder von einem Branchenbeobacher, sondern von einer Politikerin selbst. Marina Weisband, Noch-Geschäftsführerin der Piratenpartei, hat diese Sätze in einem Interview mit Bild.de gesagt. Sie weiß, wovon sie spricht: Schließlich hat sie in den vergangenen Monaten Auftritte bei «Günther Jauch», «Beckmann», «Maybrit Illner» und vielen anderen Polit-Sendungen im deutschen Fernsehen absolviert. Sie war drin im Zirkuskarussell der Talkshow-Gäste, für das nur schwer ein Ticket zu bekommen ist – aber wenn man einmal im Sattel sitzt und sich gut präsentieren kann, muss man das Karussell so schnell nicht mehr verlassen.
Wie schon oft beschrieben, stecken Polit-Talkshows in dem Dilemma, einerseits gute Inhalte für ihre Zuschauer zu transportieren, die zur politischen Willensbildung beitragen, andererseits aber gute Quoten für den Sender zu holen – und damit tendenziell zum Populismus neigen. Genau damit sind die „dicken Eier“ gemeint, die Weisband anspricht. Wer sich eloquent zu präsentieren weiß, hat die halbe Miete – nicht umsonst ist ein brillanter Rhetoriker wie Gregor Gysi ein gern gesehener Gast, obwohl er laut Umfragen einer der unbeliebtesten Politiker ist. Wer es also versteht, seine (vielleicht auch relativ inhaltslosen) Botschaften verständlich und klar zu vermitteln, erntet Applaus, weil er die Sprache des Publikums spricht – denn daran scheitern die meisten, oft besseren, Politiker, wenn sie mit wirren Zahlen oder Fremdwörtern argumentieren. Die Demagogen aber haben leichtes Spiel und sind gern gesehen, weil sie Diskussionen anheizen, folglich Unterhaltung in die Sendung bringen.
Die Eloquenz ist also die eine Sache, die Selbstdarstellerei die andere: Wer sich als Marke in einer Polit-Talkshow inszenieren kann, wer eine Art inoffiziellen Stempel als „Experte für X“ verliehen bekommt, der kann sein Girokonto mit diversen TV-Auftritten ein wenig aufbessern. Wir kennen sie alle: zum Beispiel „Mr. Dax“ Dirk Müller, der immer dann eingeladen wird, wenn die Börse abstürzt. Oder Sascha Lobo, der irgendwie weiß, wie das mit dem Internet so funktioniert. Michael Spreng darf regelmäßig dabei sein, wenn es um Medienkritik oder Politiker-Skandale geht, Karl Lauterbach bei medizinischen Diskussionen. Diese Liste könnte man ewig fortführen, aber generell zeigt sie, wie elitär das angesprochene Zirkuskarussell ist, auf dem diese Talkshow-Gäste um ihren festen Platz buhlen. Es sind zum großen Teil dieselben gewohnten Gesichter – aber wahrscheinlich ist es auch genau das, was die Zuschauer wollen, hinterfragt werden sie jedenfalls nicht. Schließlich besitzen diese Gäste die wichtigen genannten Eigenschaften; sie sind eloquent und können sich selbst inszenieren.
Marina Weisband war so eine, die sich einen festen Platz im Karussell erkämpft hatte – bis sie erkannte, dass mit den üblichen Talk-Verdächtigen politische Inhalte zweitrangig werden, die Personen aber im Mittelpunkt stehen. Manchmal hat man bei einer Polit-Talkshow das Gefühl, dass die Diskussion schon vor einer halben Stunde dort war, wo sie jetzt ist – und sich nur im Kreis gedreht hat. Freilich: Mit den Lobos, Gysis, Trittins und Prechts wird das Gespräch unterhaltsam – aber wenn man sich am nächsten Tag fragt, was man selbst mitgenommen, ob man neue Einsichten gewonnen, ob die investierte Zeit in das gesehene Programm gelohnt hat, dann steht oft ein ernüchterndes Fazit. Was könnte helfen? Viele neue Gäste, Politiker aus der zweiten Reihe, andere Experten – die rhetorisch vielleicht nicht die Masse ansprechen, aber fundierte Inhalte liefern, von den Demagogen nicht gleich klein geredet. Wichtig wäre vor allem, dass letztere bei einer Gesprächsrunde nicht mehr in der Überzahl sind.
Am Abend gibt’s die nächste Talkshow. Ob es diesmal besser wird?
Jan Schlüters Branchenkommentar gibt es jeden Mittwoch nur auf Quotenmeter.de.