Popcorn und Rollenwechsel: Die Quadratur des Filmes
Die Formel für großen Kinoerfolg passt in ein Quadrat. Das zeigte erst «Avatar» und nun auch «The Avengers».
Was haben «Avatar», «Harry Potter und die Heiligtümer des Todes – Teil 2» und «Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten» gemeinsam? Richtig: Sie spielten weltweit mehr als eine Milliarde Dollar an den Kinokassen ein. Es ist aber nicht ihre einzige Gemeinsamkeit. Sie haben zudem etwas mit «Der König der Löwen» und «Die Tribute von Panem – The Hunger Games» gemein. Auch «Der weiße Hai» lässt sich zu dieser Gruppe von Filmen zählen, ebenso wie die französische Produktion «Ziemlich beste Freunde», die hierzulande um die acht Millionen Kinogänger anzog.
Ja, all diese Filme sind große Erfolge. Jedoch ist das nicht die gesuchte Gemeinsamkeit, da sie sich zum Beispiel von «Casino Royal» oder den «Twilight»-Filmen abheben. Die von «Avatar» angeführte Reihe an Kinoproduktionen besteht aus so genannten „Four Quadrant Movies“ – soll heißen, dass diese Filme männliche und weibliche Kinogänger, Menschen über und unter 25 Jahren sehr stark anziehen. Diese Filme verfügen über das größtmögliche Publikum, während etwa der Erfolg von «Twilight» enorm auf jüngeren Frauen fußt, während die seit Jahrzehnten populäre «James Bond»-Reihe zwar nicht allein Männer interessiert, sich dennoch eher an diesem Publikum orientiert. Nicht alle Ecken des Publikumsquadrats voll auszuschöpfen ist in der Filmindustrie also kein klares Todesurteil. Sonst hätte Hollywood geschlechtspezifische Filme wie «Sex and the City» und «Fast & Furious Five» längst aufgegeben. Allerdings vergrößert sich der Erfolg drastisch, sobald die Ansprüche eines „Four Quadrant Movies“ erfüllt werden. Sei es durch Kalkulation oder eher zufällig.
«Avatar» ist nicht bloß der, an reellen Kinoeinnahmen bemessen, erfolgreichste Film aller Zeiten, sondern auch ein Paradebeispiel für „Four Quadrant Movies“: Er bietet Action und Romantik, wahnsinnige Spezialeffekte sowie eine durchaus liebevoll durchgeführte Weltenbildung. Das zieht Jungs und Mädels, Männer und Frauen an, und das so offensichtlich, dass sich James Cameron wohl für den Rest seiner Karriere anhören muss, dass «Avatar» ein eiskalt berechnetes Kommerzprodukt ist. Generell rümpfen einige Liebhaber der Filmkunst beim Gedanken an das von Hollywood ersehnte Publikumsquadrat die Nase, weil es mit künstlerisch unmotiviertem Zuschauerfang assoziiert wird. Allerdings muss dem nicht so sein – dass «Ziemlich beste Freunde» in Deutschland jeden Alters und jeden Geschlechts begeistern und auf diesem Markt ein „Four Quadrant Movie“ werden könnte, hat wohl niemand geahnt. Geschweige denn vorab berechnet.
Mit dem komplett ausgefüllten Zuschauerquadrat kommt zwar größerer Erfolg, dennoch muss das längst nicht bedeuten, dass es nur zu überdimensionalen Kinokrachern führt. Das Rassendrama «The Help» erwies sich an den US-Kinokassen als ein „Four Quadrant Movie“, was vorab niemand vermutete. Hauptdarstellerin Viola Davis erklärte, «The Help» sei für „das Publikum der über 35-Jährigen, die mit 3D nichts anfangen können“ gedacht. Aber auch junge Frauen und Männer waren von der Geschichte fasziniert. Weltweit nahm «The Help» 206 Millionen Dollar ein – nicht gerade das, was man neben «Avatar» vermuten würde, doch für ein in den 60ern angesiedeltes Drama darüber, wie schlecht afro-amerikanische Haushälterinnen von ihren weißen Arbeitgebern behandelt wurden, ist es überraschend viel. Und diese Menge kam zustande, weil alle vier demographischen Eckpfeiler des Kinogeschäfts abgedeckt werden konnten. Zumindest in einigen Filmmärkten.
„Four Quadrant Movies“ müssen nämlich nicht zwingend vom weltweiten Kinopublikum universell als solche verstanden werden. Erfüllte «The Help» in den USA oder auch im Vereinigten Königreich die Kriterien, vermarktete ihn der Verleih in Deutschland betont frauenaffin, was sich auch in den niedrigen Besucherzahlen niederschlug. Und auch «Marvel's The Avengers» könnte sich zu einem Film entwickeln, der sich auf dem weltweiten Parkett unterschiedlich verhält. In den meisten Ländern, in denen er seinen Start schon hinter sich hatte, verhielt er sich laut den ersten Marktanalysen wie ein „Four Quadrant Movie“. Vor diesem Hintergrund überrascht es sogleich viel weniger, dass die Heldenzusammenkunft aus dem Hause Marvel im Vereinigten Königreich den drittbesten, in Australien den zweitbesten und in Neuseeland, Taiwan und auf den Philippinen den besten Starttag aller Zeiten hinlegte. In den USA wiederum müssen Fans noch auf den Kinostart warten, bisherige Marktforschungsergebnisse schätzen, dass die Superheldenaction drei oder alle vier Publikumseckpunkte ansprechen könnte. Wie sich das ältere Publikum verhält, wird erst das Startwochenende zeigen.
So berechnend man Hollywood also auch einschätzen mag, auch die Filmindustrie lässt sich also weiterhin überraschen. Dass Marvels Helden beim Publikum gut ankommen, war zu erwarten, damit, dass sie beim gesamten Publikum Anklang finden hingegen nicht. «The Avengers» haben es in vielen Ländern dennoch geschafft, und das ohne eine sich anbiedernde Liebesgeschichte oder irgendwelche anderen der üblichen Hollywood-Tricks, mit denen das Zielpublikum erweitert wird.