Mit einem neuartigen Format, in dem die Zivilcourage der Deutschen getestet werden sollte, trumpfte am Dienstag RTL auf. Ob die Kölner damit auf Dauer Erfolg haben werden?
Der Vorabend an Sonn-und Feiertagen bei RTL: Das sind Kuppelsendungen soweit das Auge reicht. Neben «Schwiegertochter gesucht», von dem die Kölner erst Anfang des Jahres einen Ableger mit dem lieblosen Namen «Schwiegertochter gesucht: Jetzt sind die Frauen dran» ausstrahlten, gehört dazu auch die aktuell gezeigte «Großstadtliebe». In Anbetracht dieser Tatsache wirkte es fast schon beruhigend, als RTL ankündigte auf dem Slot um 19.05 Uhr ein neues Format ausprobieren zu wollen:
«Was würden Sie tun?». Und so funktioniert die in den USA bei ABC unter dem Titel „What would you do“ gezeigte Sendung: RTL stellt mithilfe von Schauspielern verschiedenste Situationen in der Öffentlichkeit nach, in denen die Probanten in mal kleinere, mal größere Not geraten. Mit einer versteckten Kamera werden währenddessen die vorbeigehenden Passanten beobachtet, die entweder in die Problematik eingreifen, sprich Courage zeigen, oder das Ganze ignorieren und teilnahmslos weitergehen.
Nach einer kurzen allgemeinen Einleitung ins neue Format, die wie für RTL-Verhältnisse typisch mit dramatischster Musik unterlegt ist, geht es relativ schnell mit der ersten von fünf gezeigten „Notsituationen“ los. Moderatorin Andrea Kiewel leitet kurz in die spezielle Thematik ein, bevor zügig die eigentliche nachgestellte Situation gezeigt wird. Im ersten Fall lässt RTL eine Schauspielerin auf dem Bürgersteig schlagartig kollabieren und beobachtet danach die Reaktionen der Passanten. Resultat: Der ersten Probantin wird bereits nach wenigen Sekunden geholfen, tatkräftige Unterstützer eilen zum Ort des Geschehens und wollen sich über den Zustand der vermeintlich Verunglückten informieren. Bevor die aufmerksamen Helfer einen Rettungswagen rufen wollen, kommt Moderatorin Kiewel aus dem Hintergrund hinzu und deckt die Situation auf. Kiewel führt ein kurzes Interview mit den zur Hilfe Geeilten, die während des Gesprächs betonen, dass das natürlich selbstverständlich sei.
Kurze Zeit später kann von Selbstverständlichkeit nicht mehr die Rede sein; in einem zweiten Versuch wiederholt RTL das zuvor mit einer Frau durchgeführte Experiment. Der Schauspieler diesmal: Ein als Obdachloser getarnter Passant, der genau wie die Schauspielerin zuvor zusammenbricht. Dauerte es bei der hübschen Frau wenige Sekunden bis jemand eingriff, wird bei dem Obdachlosen erst nach mehreren Minuten gehandelt. Ähnlich verhält es sich bei einem farbigen Jungen, mit dem das Experiment ein drittes Mal wiederholt wird: Auch an ihm gehen fünf Minuten lang zahlreiche Passanten teilnahmslos vorbei. Bevor dem Zuschauer vor lauter Kollapsen langweilig wird, bindet RTL schließlich einen „Experten“ in das Geschehen ein, der die Reaktionen der Passanten in den einzelnen Fällen analysiert und deutet. Zudem kommt er auf die juristische Aspekte zu sprechen, die mal mehr, mal weniger interessant ausfallen. Dass hochprozentiger Alkohol nicht an Minderjährige verkauft werden darf, bedarf beispielsweise keiner Erklärung, aber trotzdem: Insgesamt sind die Aussagen des Experten durchaus interessant und verleihen dem Format Abwechslung.
Positiv fällt auf jeden Fall auf, dass RTL nach Beendigung des jeweiligen Falls relativ zügig zum nächsten kommt. Nach einigen Sätzen der Moderatorin, die der Überleitung dienen, befindet sich der Zuschauer direkt in der nächsten Situation: Minderjährige versuchen Erwachsene zu überreden, für sie Alkohol an der Kasse zu bezahlen. Die meisten winken ab, eine Person zeigt sich schließlich doch gnädig, nimmt den Alkohol für die 13- und 15-jährigen Mädchen mit und begründete die begangene Straftat mit einem Verweis auf die eigene Jugend.
Bis zum Ende der Sendung werden noch drei weitere Situationen simuliert: Eine Mutter, die ihr Baby stillt und aus dem Restaurant geworfen werden soll, ein Mann, der seine Freundin verbal und körperlich in der Öffentlichkeit verhöhnt und einen Streitszene zwischen einer Braut und deren Mutter um das richtige Brautkleid. Macht unterm Strich fünf Fälle, die mit durchschnittlich rund zwölf Minuten ausführlich genug behandelt werden, ohne das es dem Zuschauer langweilig wird. Mit Hilfe der obengenannten Situationen spricht das Format teilweise wirklich wichtige gesellschaftliche Themen an, die auf jeden Fall zum Nachdenken anregen – ausgenommen letzterer Fall, der Streit um das Brautkleid, der in dieses Schema der ernsten Fälle nicht wirklich hineinpasst. Die schauspielerische Leistung der Versuchspersonen fällt indes nicht gerade hervorragend aus, was aufgrund des guten Sendungskonzepts aber zu entschuldigen ist. Schließlich kommt es in erster Linie nicht auf eine kinoreife Schauspielleistung der Versuchspersonen an
So gut das alles auf den ersten Blick vielleicht aussieht und auch ist, das Format birgt einen großen Haken in sich: Falls es RTL in Serie schicken sollte (was angesichts der Premieren-Quoten aber unwahrscheinlich ist), besteht die Gefahr, dass die Sendung relativ zeitnah Abnutzungserscheinungen aufweisen könnte. Das, was beim ersten und vielleicht zweiten Schauen ganz nett ist und solide unterhält, langweilt auf Dauer. Der Grund: Das Muster ist immer sehr ähnlich: Ein Mensch gerät in eine schwierige Situation, seine Mitmenschen ignorieren ihn oder greifen ein. Gerade das könnte auf Dauer eintönig werden. In diesem Zusammenhang stellt sich des Weiteren die Frage, wie viele unterschiedliche Fälle man noch zeigen könnte. Kaum vorstellbar, dass sich nach einigen Folgen Situationen zumindest nicht anfangen würden zu ähneln.
Trotzdem: Der Gesamteindruck, den das Format von sich gibt, ist durchaus gut. Auch wenn RTL noch nicht ganz auf Zeitlupen und überzogene Dramatik verzichtet, hat die Sendung seine Zuschauer am Dienstagabend solide unterhalten. Die wenigen betrachteten Fälle können zwar keine Statistik über die Courage der Deutschen ersetzten, interessant zu beobachten sind die Reaktionen der Passanten aber allemal. Anbei regt die Sendung seine Interessenten zum Nachdenken an und macht Mut selbst couragiert im Alltag zu handeln. Das macht Andrea Kiewel in einem kurzen, aber auf den Punkt gebrachten Statement ganz am Ende der Sendung auch noch einmal deutlich. Und allein schon deswegen hat sich die Ausstrahlung gelohnt.