Die Kritiker: «Das Herz ist ein dunkler Wald»

Inhalt
Marie glaubt, eine funktionierende, wenngleich auch durch den drögen Alltag der spießigen deutschen Mittelschicht etwas eingefahrene, Ehe zu führen. Sie und ihr Mann Thomas leben in einem mit IKEA-Möbeln eingerichteten Backstein-Bungalow aus den 60er-Jahren, haben zwei junge Kinder und können gut von Thomas' Einkünften als Violinist an der Philharmonie leben. Als Thomas am Samstagmorgen zur Arbeit aufbricht und Marie erfährt, dass ihre ältere Tochter ungesehen die Violine ihres Vaters gegen eine Puppe austauschte, wirft sich die fürsorgliche Ehefrau auf den Fahrradsattel, um ihm hinterherzufahren und die wertvolle Violine zu bringen. Eine Entscheidung, die sich Marie von da an vorwurfsvoll vorhalten wird. Denn Thomas fährt nicht zur Philharmonie, sondern steuert einen anderen Stadtteil an, wo er in der Auffahrt eines weiteren Backsteinbungalows der bürgerlichen Mittelklasse anhält. Marie folgt ihm und muss erkennen, dass ihr Mann eine Doppelexistenz führt, mit einer Geliebten und außerehelichem Kind.

Erst ist die Betrogene wie gelähmt, weiß nicht, wie sie fühlen oder reagieren soll. Klar ist ihr nur, dass es nie wieder so wie früher sein kann. Vor ihrem inneren Auge lässt sie die Ehe mit Thomas vorbeiziehen, macht in ihren Erinnerungen frühe Risse in der vermeintlich makellosen Oberfläche der gemeinsamen Zeit aus und philosophiert über mögliche Ursachen. Sie versucht auch, sich an die strahlenden Momente der zerbrochenen Ehe festzuklammern, doch dies mag ihr aufgrund der Demütigungen durch ihren Mann, der sich vehement einer vernünftigen Aussprache verweigert, nicht gelingen. Schließlich entscheidet sie, einen Maskenball aufzusuchen, auf dem ihr Mann zur musikalischen Begleitung beiträgt, und in die Offensive zu gehen ...

Darsteller
Nina Hoss («Wir sind die Nacht») ist Marie
Devid Striesow («Der Untergang») ist Thomas
Franziska Petri («Max und Moritz reloaded») ist Anna
Marc Hosemann («Reine Formsache») ist Jonathan
Monica Bleibtreu («Soul Kitchen») ist Mietzi
Otto Sander («Rosa Luxemburg») ist Helmut
Angelika Taschen ist Angelika

Kritik
Das 2007 zwischen Weihnachten und Silvester ins Kino entlassene Psycho-Drama «Das Herz ist ein dunkler Wald» ist die zweite Regiearbeit der Schauspielerin Nicolette Krebitz («Bandids») und sollte zu diesem üblicherweise eher schmal besiedelten Starttermin das intellektuelle Publikum erreichen, welches laut dem Verleih X Filme zu diesem Zeitpunkt am ehesten Gelegenheit fände, ins Lichtspielhaus zu gehen. Ob dieses Experiment geglückt ist, lässt sich schwer einschätzen: Die Tom-Tykwer-Produktion erreichte am Startwochenende rund 7.000 Kinogänger, was bei lediglich 25 Kopien durchaus respektabel ist, allerdings genügte es bis zum Ende der Kinoauswertung nicht einmal für 100.000 Besucher.

Der kompromisslose Autorenfilm dürfte also erst Jahre später mit seiner Ausstrahlung im Ersten einem größeren Publikum bekannt werden, und mit seiner eigenwilligen wie kunstvollen Vereinigung von sprödem Realismus nach Vorbild der Berliner Schule und dem Surrealismus von Stanley Kubricks «Eyes Wide Shut» wird er gewiss auch im Nachtprogramm noch so manchen unvorbereiteten Fernsehzuschauer verprellen. Doch die vom NDR mitgetragene Kinoproduktion hat sich mit ihrer radikalen Entzauberung der kleinbürgerlichen Familie eine Vergrößerung ihres Publikums verdient. Beziehungskitsch findet sich in der gehaltvollen Tristesse dieses Dramas ebenso wenig wie melodramatische Erklärungs- oder Rettungsversuche des Beziehungsunglücks.

Hierin zeigt sich insbesondere der Einfluss der Berliner Schule auf «Das Herz ist ein dunkler Wald», deren Filme sich selten um die Hintergründe ihrer Figuren scheren. Diese Reduzierung rührt öfters aus einer selbstverliebten Einschränkung der Filmhandlung, aus dem sperrigen Kunstwillen beziehungsweise dem avantgardistischen Versuch, sich einfach vom Mainstream abzuheben. Krebitz jedoch blendet den realen Vorlauf des weit reichenden Ehebruchs berechtigterweise aus. Wie der von Devid Striesow mit einer subtilen Schleimigkeit trefflich gespielte Gatte Marie jahrelang Hintergehen konnte, könnte in diesem Film nicht zufrieden stellend aufgeklärt werden – und sollte es auch nicht. Der thematische Fokus liegt darauf, wie Marie von ihrer schockierenden Entdeckung aus der Bahn geworfen wird, weshalb die Rückblicke auf die Zeit davor subjektiv verzerrt bleiben und somit keine klare Antwort zulassen. Eine definite Antwort würde die emotional unterkühlte, in ihrer Distanziertheit dank der raffinierten Inszenierung allerdings auch umso betreffender machende, Abwärtsspirale von «Das Herz ist ein dunkler Wald» nur abschwächen, da sie den Zuschauer aus Maries Gedankenwelt zerrte.

Nicht, dass Krebitz' Entschluss, bloß minimale Erläuterungen zu geben, gänzlich ohne Nachteile verliefe. Welchen Weg Marie schlussendlich einschlägt, um dem Betrug ihres Manns zu reagieren, wird zwar in kurzen Dialogfetzen vorbereitet, genauso werden aber auch andere Möglichkeiten aufgebaut, und keine Entscheidung Maries wäre ausreichend etabliert, um am Ende als charakterbestimmt zu gelten. Möglich wäre dies dennoch, ein paar zusätzliche, emotional aufgeladene Gedankengänge Maries hätten schon ihren Dienst getan, um ihre vielschichtige, von Nina Hoss hypnotisierend intensiv gespielte, Persönlichkeit für den Zuschauer greifbarer zu machen. Die kunstvolle Form von «Das Herz ist ein dunkler Wald» wirkt auch an anderer Stelle überspannt: Verbale Auseinandersetzungen, die Marie in kurzen Gedankenblitzen durchspielt, finden vor minimalistischer Bühne statt. Dieser Regieeinfall ist nachvollziehbar, heben sich so Maries Gedankenspiele auffällig von der (zunehmend subjektiver eingefärbten) Wirklichkeit ab. Dass Hoss und Striesow auf der kargen Theaterbühne in Maries Vorstellung allerdings mit großer Theatralik spielen, sich in das Gesagte überbetonende Posen werfen, mag eine interessante Überlegung gewesen sein, schließlich agieren Menschen in ihrer Vorstellung auch selten wie ihre realen Gegenstücke. Im Film erweist sich dies im sonst so realistisch-unterkühlt gespielten Fluss aber als mitunter unfreiwillig komisch. Dies gilt ebenso für einige der Dialogzeilen während realer Konfrontationen. Wenn etwa Thomas chauvinistisch über das vermeintlich wimmernde Naturell des weiblichen Geschlechts laviert und Marie nur ein pubertäres „Du ... Penis!“ entgegnet, bricht dieses cineastische Psychogramm für kurze Augenblicke auf das Niveau von TV-Ehekrachkomödien.

Davon abgesehen, dass Krebitz kein gutes Händchen beim Schreiben oder Inszenieren von Streitereien beweist, ist die Regieführung neben Hoss' Darbietung einer der größten Pluspunkte von «Das Herz ist ein dunkler Wald». Nie verwendet Krebitz Symbolik bloß um der Symbolik willen, kontrolliert balanciert sie zwischen karger Realität und ambitionierter Traumästhetik, um dem Publikum verständlich die emotionale Odyssee ihrer Protagonistin nachzuzeichnen. Trotz der erwähnten, kleinen Schnitzer macht dies «Das Herz ist ein dunkler Wald» zu einem durchdachten, teilweise auch erschreckenden Psychodrama, das einem in Erinnerung bleibt.

«Das Herz ist ein dunkler Wald» ist in der Nacht von Sonntag, dem 6. auf Montag, den 7. Mai, um 0.00 Uhr im Ersten zu sehen.
04.05.2012 12:15 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/56506