HBO vs. Showtime – eine Bestandsaufnahme

Jahrelang war das Pay-TV-Unternehmen HBO der Inbegriff für Qualitätsfernsehen in den USA. Doch längst haben sich Konkurrenten etabliert: Der Größte unter ihnen ist Showtime mit Serien wie «Dexter» und «Californication» – ist HBO bald nur noch die Nummer zwei im Bezahlfernsehen?

David Nevins möchte der erfolgreichste Entertainment-Chef im amerikanischen Pay-TV-Fernsehen werden. Seine Mission: den ewigen Pay-TV-Spitzenreiter HBO zu überholen. Lange Zeit schien dieses Ziel utopisch, doch in den vergangenen Jahren hat sich viel getan im amerikanischen TV-Markt – besonders beim bezahlten Abonnentenfernsehen. Im Januar sagte Nevins, Entertainment-Präsident von Showtime, gegenüber der New York Times zum Abonnentengeschäft: „Wir sind extrem profitabel. HBO ist extrem profitabel. Die Zahlen trudeln weiter ein – aber heutzutage ist dies viel mehr ein Wettkampf als früher.“

Was Nevins mit dem Wettkampf meint, kann er auch in Zahlen ausdrücken: „Wir glauben nicht, dass es ein Zufall ist, nun annähernd 22 Millionen Abonnenten zu haben gegenüber 13 Millionen im Jahr 2005.“ HBO hat im gleichen Zeitraum kaum Kunden gewinnen können und hält seit Jahren seine Zuschauerschaft von ungefähr 28 bis 29 Millionen.

Blickt man auf die Inhalte, ist diese Entwicklung kaum verwunderlich: Denn bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts war HBO bereits weit über die US-Grenzen hinaus zu einer Marke geworden für Qualitätsfernsehen und gute Seriengeschichten. Mit den beiden Programmen «The Sopranos» und «Sex and the City» hat man das Storytelling und die Konzeption von TV-Serien revolutioniert – und zwar nahezu parallel sowohl im Drama- («The Sopranos») als auch im Comedy-Genre («Sex and the City»). Die bekanntesten Serien, die Showtime bis zu dieser Zeit ausstrahlte, waren solche wie «Stargate», «The L Word» oder «Dead Like Me». Und diese konnten nicht ansatzweise mit dem Hype mithalten, den HBO gleichzeitig entfachte, auch außerhalb der eingefleischten Serienfan-Gemeinde.

2004 endeten die Geschichten um die New Yorker Ladies, 2007 jene um Mafiaboss Tony Soprano. Und stellten HBO vor die Herausforderung, seinen zahlenden Kunden die nächsten Hit-Serien zu liefern. Doch das Ende der «Sopraonos» markierte den Zeitpunkt, an dem andere Unternehmen die kurze Schwäche des Pay-TV-Spitzenreiters ausnutzten: Bereits Ende 2006 schickte Showtime seinen dauermordenden Sonnyboy «Dexter» (Foto) auf die Bildschirme, der sexgestörte Schriftsteller Hank Moody folgte im August 2007 mit «Californication» – zwei Formate, die heute noch ausgestrahlt werden und den Aufstieg von Showtime maßgeblich mitprägten, auch weil sie international viel Anklang finden. Abseits des Pay-TV startete der Kabelsender AMC im Juli 2007 zudem mit «Mad Men» eine Serie, die zum Kritikerliebling der kommenden Jahre avancierte – ein offenes Geheimnis ist heute, dass HBO und Showtime dieses Format seinerzeit abgelehnt hatten.

Mitte der 2000er setzte also eine Diversifikation des amerikanischen Fernsehmarktes abseits der Networks und eben auch abseits von HBO ein. Diese Entwicklung wäre ohne die hohe Qualität von Serien wie «Dexter» und «Mad Men» nicht möglich gewesen – aber genauso wichtig war, dass viele Zuschauer die neuen Angebote zunehmend registrierten: Einige wollten die Serienleere füllen, welche die «Sopranos» bei ihnen hinterlassen hatte. Andere hatten erst einmal genug von der ausufernden und gemächlichen Erzählweise vieler HBO-Formate. Die meisten freuten sich aber darüber, dass sich nun endlich auch andere das trauten, was HBO vorgemacht hatte: mit eigenproduzierten Serien und ambivalenten Charakteren zu begeistern.

Heute sind diese Veränderungen mehr denn je sichtbar und die Entwicklungen ungebrochen: Showtime selbst hat 2011 mit «Shameless», «The Borgias» und dem Kritikerliebling «Homeland» die nächsten großen Hits gestartet; Pay-TV-Filmsender Starz begann 2005 eine Offensive mit eigenproduzierten Programmen, die unter anderem zum internationalen Serienerfolg «Spartacus» geführt hat. Und im klassischen US-Kabelfernsehen landete FX zuletzt mit «Sons of Anarchy» und «American Horror Story» seine Hits, während AMC die Serienlandschaft durch «Breaking Bad» und «The Walking Dead» in diesen Jahren entscheidend prägt.

Wankt also der Status von HBO? Kaum, denn geschadet haben die neuen Alternativen dem Branchenprimus wahrlich nicht: Die Abonnentenzahl blieb auf hohem Niveau konstant, dank neuer Formate wie «Boardwalk Empire» und «True Blood» (Foto), welches das erfolgreichste seit den «Sopranos» ist. Richtig unter Beweis gestellt hat HBO seinen Führungsanspruch im Pay-TV aber zuletzt mit «Game of Thrones» – einer sogenannten Watercooler-Serie, also einer, über die man spricht: im Büro, im Café und vor allem im Netz. Der große Hype ist wieder da – und erneut setzt HBO hier Maßstäbe, ungeachtet der gestiegenen Serienalternativen, ungeachtet des Erfolgs von Showtime. Man hat mit «Game of Thrones» wieder ein ganz großes Ausrufezeichnen gesetzt und untermauert, dass man wohl auch in den nächsten Jahren die Nummer eins im Pay-TV bleiben wird. Und nebenbei noch bewiesen, dass die eigenen Qualitätsserien auch abseits der bekannten Genrepfade funktionieren können: Denn Fantasy war im Bezahlfernsehen bis dato kaum gesehen. Und: HBO produziert auch Filme und Dokumentationen selbst, ein Feld, wo Showtime kaum aktiv ist. Im Sportbereich holt der Mitbewerber dagegen auf, zeigt Kickbox-Events und ein NASCAR-Magazin. «Inside the NFL», ein Hintergrundprogramm zur beliebtesten US-Sportart American Football, wanderte 2008 von HBO zu Showtime.

Im Wesentlichen lässt sich der fortwährende Kampf zwischen den Pay-TV-Angeboten um zahlende Abonnenten derzeit knapp auf einen Nenner bringen: Konkurrenz belebt das Geschäft. Denn des einen Gewinn (Showtime) ist eben nicht des anderen Verlust (HBO) – beide Unternehmen und weitere Pay-TV-Anbieter werden im Gleichschritt erfolgreicher: Im Gesamtjahr 2011 haben die Bezahlfernsehsender insgesamt 5,6 Millionen Kunden hinzugewinnen können, und der Markt wächst weiter. Jüngst hat HBO – auch ohne größere Kundenzuwächse – ein neues Rekordergebnis von mehr als einer Milliarde US-Dollar Gewinn im Geschäftsjahr 2011 vermeldet.

Für uns qualitätsbewusste Zuschauer ist all das paradiesisch: Dank HBO, Showtime und Co. gibt es heute so viele tolle Serien wie nie zuvor, für jeden Geschmack. Und es deutet nichts darauf hin, als würde sich dies in Zukunft ändern.
31.05.2012 09:20 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/57016