Delling: „EM bedeutet Öffnung – ob die ukrainischen Machthaber wollen oder nicht“

Nächste Woche beginnt die Fußball-Europameisterschaft – mit dabei ist auch Gerhard Delling. Der ARD-Moderator sprach mit dem Medienmagazin Quotenmeter.de über die Titelchancen von Jogis Elf, den umstrittenen EM-Austragungsort sowie Dellings „kleinen Teufel“ beim privaten Fußballschauen...

Gerhard Delling, was erwarten Sie von dieser EM und der Nationalmannschaft?
Ich hoffe, dass wir ein tolles Endspiel mit deutscher Beteiligung sehen. Ich glaube schon, dass die Chance seit vielen Jahren nicht mehr so groß gewesen ist. Denn das hat Löw bei den letzten Turnieren bewiesen: Die Mannschaft so auf den Punkt einzustellen, dass das System, aber auch die Stimmung passt, um mit großem Selbstbewusstsein da reinzugehen. Also Halbfinale müsste es eigentlich schon werden – wenn nicht sogar der Titel. Ich bin selten so euphorisch gewesen, wie bei diesem Turnier. Es würde mich natürlich freuen, wenn sie dann gegen Spanien spielen würden - nachdem das zweimal schief gegangen ist. Die Spanier liefern weiterhin auf einem sehr hohen Niveau. Man muss wahrscheinlich selber nur ein bisschen reagieren. Ich bin ziemlich sicher, dass sich Löw im stillen Kämmerlein schon Gedanken gemacht hat, wie er im Fall X vorgehen würde.

Aber bevor Deutschland Europameister werden kann, wartet eine starke Vorrunde…
Ja, aber das ist ein Vorteil – zumindest für eine so starke Mannschaft wie die der Deutschen im Moment. Da ist auch dieses berühmte „wir sind eine Turniermannschaft“ jetzt gar nicht mehr wichtig, sondern dass wir eine starke Mannschaft sind. Turniermannschaft zählt in dem Moment, wo wir nicht so stark waren und uns immer wieder von Spiel zu Spiel entwickeln mussten. Das haben wir jetzt nicht nötig. Jetzt haben wir den Vorteil, dass es gleich voll zur Sache geht. Das darf natürlich nicht schief gehen. Ausgeschlossen ist nichts, aber das wäre schon eine Überraschung, womit ich nicht rechne – auch, wenn es schwierig wird.“

Kaum ein anderes Event im Fernsehen erreicht so hohe Zuschauerzahlen. Wie erklären Sie sich das und rechnen Sie mit einem neuen Quotenrekord?
Wenn die deutsche Mannschaft das Endspiel tatsächlich erreichen sollte, glaube ich schon, dass wir den Quotenrekord vielleicht nochmal knapp knacken könnten. Viel Potenzial nach oben ist nicht mehr, denn wir hatten in den letzten etwa zehn Jahren einen unglaublichen Zuspruch, was die Zuschauerresonanz anbelangt - das ist schon relativ gut ausgereizt. Das hat wirklich mit der guten Qualität zu tun: Allein, wenn man sich heutzutage die Fußballspiele anschaut, was die Bilder angeht und auch alles darum herum. An allen Fronten finde ich das sehr professionell. Da gibt es auch kaum Potenzial, groß etwas Neues zu machen. Es ist vielleicht ganz gut, ein paar Kleinigkeiten neu auszuprobieren, aber man darf es auch nicht überspannen. Denn das ist die Grundvoraussetzung für den Erfolg: Das Spiel ist gut zu verstehen und man hat eine klare Linie. Es kommt nur darauf an, dass man sich in den Bann zieht.“

Wie unterscheidet sich Ihre Berichterstattung über die Bundesliga im Vergleich zu der über die Nationalmannschaft?
Von der ganzen Professionalität, die dahinter steckt - auch mit den Kollegen und mit der Redaktion – gibt es keinen Unterschied, das ist zum Teil dieselbe Crew. Aber ansonsten ist es schon etwas anders: So ein großes Turnier oder auch die Olympischen Spiele sind immer noch ganz besondere Treffpunkte mit einer ganz anderen Stimmung: Da geht man schon in einer ganz besondere Atmosphäre hinein… Letztlich berichten wir zunächst über das, was auf diesem Rasenviereck stattfindet – das könnte rein theoretisch aber auch jedes Jahr an demselben Ort sein. Das ist zum Glück nicht so und deswegen nehmen wir auch ganz viel Eindrücke auf, die sich abseits des Rasens abspielen. Ich bin schon sehr gespannt, was sich da während der EM in der Ukraine tut. Ich glaube, dass es dort garantiert Proteste geben wird und bin gespannt, wie die ukrainische Führung damit umgehen wird. So sehr wir uns bei den Spielen mit Fußball beschäftigen, halte ich es auch wichtig, dass wir das dazwischen auch aufsaugen und das abbilden. Ich freue mich immer auf solche Turniere.

Sie sprechen es an: Die EM steht dank der Austragungsorte stark in der Kritik…
Ja, aber für uns ist das Gute, dass wir dadurch auch einen Zugang haben: Wir können jetzt sowohl über das Fußballspiel berichten als auch die andere Facetten bedienen, wie die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hintergründe. Ich bin mir auch nicht sicher, ob die ukrainischen Machthaber am Ende so glücklich sind. Wenn alles gut gegangen ist, werden die sich natürlich versuchen zu loben. Aber so etwas bedeutet auch immer eine gewisse Öffnung. Ich könnte mir auch vorstellen, dass man mit so einer Großveranstaltung etwas auslösen kann. Ob ich die EM ursprünglich dahin gegeben hätte, da bin ich doch sehr gespalten: Ich glaube, dass es manchmal doch zu flott geht.

Ihre Arbeitsbedingungen werden im Vergleich zur WM 2006 in Deutschland während dieser EM in Polen und der Ukraine sicherlich anders sein…
Ja, im Vergleich zu Deutschland auf jeden Fall, das war perfekt – nicht nur logistisch. Ansonsten wird es wieder seine Besonderheiten haben. Aber das war auch so in Südafrika: Das kam hoffentlich nach außen immer locker lässig und leicht rüber, aber das war natürlich nicht immer so. Da muss man immer genau schauen, was man veröffentlicht und was nicht. Manchmal kann man mit einer schnellen Veröffentlichung auch dafür sorgen, dass das Fürchterliche tatsächlich eintritt. Da muss man schon abwägen. Aber letztlich ist man da nicht als Journalist alleine - da entsteht schon eine Gruppendynamik. Es gibt immer eine Abstimmung mit den Experten und Korrespondenten vor Ort.

Sehen Sie da die Pressefreiheit gefährdet?
Nein, wir haben schon immer das berichten können, was wir wollen, da die nicht an uns herantreten konnten. Aber bei der Sicherheit kann man keinen europäischen Standard erwarten. Da müssen wir uns nichts vormachen. Wenn man da durch den Detektor bei der Sicherheitskontrolle gelaufen ist und der gepiept hat, hat es keinen interessiert. Wenn man das gleich am ersten Tag öffentlich gesagt hätte, hätte man natürlich dafür gesorgt, dass jemand, der etwas im Schilde führt, aktiv werden könnte.

Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit Mehmet Scholl?
Sehr kommunikativ und zum Teil sehr lustig. Er ist wirklich so, wie er vor der Kamera rüberkommt: Spricht gerne viel und ist sehr engagiert und dynamisch dabei. Sehr belebend! (lacht)

Und wie ist Ihr Kontakt zu Herrn Netzer nach seiner TV-Zeit?
Mit Günter Netzer habe ich regelmäßig Kontakt. Das mochte ich auch weiter beibehalten und pflegen. Es ist jetzt halt nicht mehr im Fernsehen zu sehen, aber wir sprechen regelmäßig und es ist nach wie vor bereichernd.

Wie viel Fan steckt in Ihnen als Journalist?
Ich bin natürlich richtig Fan, weil die deutsche Mannschaft auch so guten Fußball spielt... Aber das entlässt mich ja nicht aus meiner Arbeiterolle der kritischen Berichterstattung – es kann ja auch positiv kritisch sein. Aber manchmal ist es sogar so – ob man will oder nicht - dass man sogar noch kritischer ist, wenn man etwas positiv zugeneigt ist. Dazu gehöre ich vielleicht sogar eher. Ich bin da schon in meiner Funktion gefangen… (lacht)

Wie muss man sich das also bei Ihnen privat vor dem Fernseher vorstellen?
Normalerweise sitzen da immer zwei Dellings vor der Glotze… (lacht) Das ist wirklich so! Ich sitze dann da und bin immer noch fasziniert. Ich habe schon so viele Spiele in meinem Leben gesehen - ob live oder im Fernsehen. Aber irgendwie ist das immer wieder anders und neu. Da sitze ich immer als begeisterter Fußballer. Aber daneben sitzt dann nicht immer nur der Journalist, sondern auch der Fernsehmann: Wie wird das berichtet? Welche Kameras nutzen die? Da sitzt dann auch ein aufmerksamer kleiner Teufel daneben… (lacht)

Kennen Sie eigentlich Ihre Parodie bei „Switch“?
Ja, ich habe das gesehen – wenn auch selten. Meine Kinder haben mich mal darauf aufmerksam gemacht. Ich fand es deswegen schon irgendwie ganz gut, weil es von der Tonalität her durchaus getroffen war. Man muss sich da zwar mal schon selber anschauen, was zu Anfang nicht immer ganz leicht ist. Aber ich kann schon sagen, dass ich auch über mich selbst lachen kann - was ich da kann.

Schauen Sie sich denn Ihre eigenen Sendungen an?
Früher habe ich das immer gemacht, vor allem damals, als ich beim Radio angefangen habe. Heute gucke ich aber nicht mehr so viel. Mittlerweile ist die Sendung vorbei und ich weiß eigentlich haargenau, was nicht so gut gelungen ist oder was ich das nächste Mal anders machen wollte – auch, wenn man es hoffentlich nach außen nicht gemerkt hat.

Wie stehen Sie zu der Verleger-Debatte der umstrittenen Apps im öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
So bitter das vielleicht für die Verleger sein kann: In dem Geschäft besteht Konkurrenz… Ich habe selber bei der Zeitung angefangen und bei der ARD im Radio. Ich kann es gar nicht verstehen, dass man etwas, dass man selbst erschafft und weiß, da nicht rein geben darf. Ich kann verstehen, dass es dafür zum Beispiel Bildrechte gibt, die man erwerben muss – aber nicht bei politischen oder sportlichen Kommentaren. Ich denke da als Journalist und berichte darüber - das ist meine Profession. Ich glaube daher, dass das möglich sein muss. Man müsste sich mal den Extremfall konstruieren: Ich bin bei der Fußball-EM und es würde im letzten Winkel in der Ukraine irgendwas passieren, was nur ich mitbekäme und das Ereignis wäre wirklich wichtig. Ich hätte dann vielleicht nur die Möglichkeit über eine solche App zu kommunizieren - dann muss ich doch darüber berichten können! Ich stelle mir da zum Beispiel Tschernobyl vor. Damals war ich beim Radio. Ich bin dann Journalist und mache das - auch wenn es irgendwie ein Problem für den Verleger sein könnte.

Vielen Dank für das sympathische Gespräch, Gerhard Delling.
03.06.2012 09:55 Uhr  •  Benjamin Horbelt Kurz-URL: qmde.de/57059