Popcorn und Rollenwechsel: Die Musik bewahrt den Ton
Was «Indiana Jones» und «Fluch der Karibik» gelingt, «Snow White and the Huntsman» dagegen nicht.
Wie unerlässlich Filmmusik ist, dürfte wohl kaum zur Debatte stehen. Das Beispiel eines Horrorfilms ohne nervenaufreibende Hintergrundmusik und einen urplötzlichen Tusch bei jeder unerwarteten Schrecksequenz ist nicht bloß altbekannt, sondern auch wohlverdient. Filmmusik erfüllt aber weitere Zwecke, als bloß Schrecken schrecklicher, Romantik romantischer und Actionszenen, ähm ... aufregender zu machen. Eine durchdachte Instrumentaluntermalung verleiht Kinofilmen auch eine stimmige Grundatmosphäre, die das geschaffene Filmuniversum in seinen Bahnen hält.
Ein gelungenes Beispiel für Filmmusik, die auf den exakt richtigen Graden wandert, ist John Williams ikonischer Score zur «Indiana Jones»-Reihe. George Lucas und Steven Spielberg wurden durch die rückblickend gerne belächelten Filmserials der 30er und 40er zu Indiana Jones' Abenteuern inspiriert, weshalb sie diese Blockbuster mit abstrusen Situationen, kernigen Figuren und sehr humoriger Action füllten. John Williams hätte es diesen Vorbildern gleichtun und Indys Erlebnisse mit überdramatischer, unentwegt nach einem Klimax geifernder Musik unterlegen können. Oder er hätte wie Spielberg und Lucas durch die nostalgisch-amüsierte Brille zurückblicken können, was leicht zu einem bewusst albernen Score geführt hätte. Doch stattdessen komponierte er strikte, engagierende Abenteuermusik, die für sich selbst steht. Zusammen mit Harrison Fords direktem, nicht aber eindimensionalem Spiel des unverwechselbaren Archäologen hält dies die «Indiana Jones»-Filme in einem plausiblen Kinouniversum, so dass das Publikum die Gefahrensituationen weiterhin als spannend empfinden kann, statt über sie hinwegzugrinsen. Gelegentlich werden die an Serials angelehnten Übertreibungen auch als spaßige Einlage goutiert, doch niemals lassen Regie, Ford und Musik zu, dass die Filme dadurch zu reinen Abenteuerkomödien werden.
Eine Ausnahme stellt, je nach Betrachter, bloß «Indiana Jones und das Königreich der Kristallschädel» dar, dessen abstrusesten Momente plötzlich von vielen Zuschauern als unglaubwürdig aufgenommen wurden, obwohl eben dieses Publikum zuvor noch andere Stunts und Verrücktheiten (wie das Rausreißen von Herzen bei lebendigem Leibe und ohne sichtbare Wunden) akzeptierte. Die Ursache für diese Wirkungsänderung lässt sich womöglich aber weniger in der Musik verorten, als in den cartoonartigeren Effekten, die unterschwellig mehr humoristisches ausstrahlen, als die sehr handwerklich orientierten Effekte der Original-Trilogie.
Recht ähnlich, und dennoch gewissermaßen das Gegenteil: «Fluch der Karibik» und seine Fortsetzungen vermengen klassisches Piratenabenteuer mit moderner Ironie, schneller Action im Stile eines Jerry-Bruckheimer-Krachers und schrillen Kunstfiguren, wie sie nur zu heutigen Zeiten entworfen werden können. Das Tempo, Käpt'n Jack Sparrow und die spaßig-verrückten Actioneinlagen vermischen sich zu einem Hauch Postmodernität, die von der Filmmusik unterstrichen wird. Es kommen zwar auch piratenmäßige, abenteuerhafte Melodien vor, doch das Orchester spielt sie mit der Klanggewalt und dem Vorwärtsdrang eines «The Rock» oder «Con Air». Elektronische Elemente dienen jedoch bloß als das Salz in der Suppe, nicht als die Grundzutat, weshalb auf ellenlange E-Gitarren-Soli verzichtet wird. So ergibt sich zusammen mit Depps entrücktem Spiel zwischen all den klassischen Kostümen und historisch akkuraten Requisiten ein augenzwinkerndes, sich aber dennoch von einer parodistischen Ausstrahlung fernhaltendes Piratenabenteuer. Eine atmosphärische Gratwanderung, die allerdings mit Bravour gelingt.
Als Gegengewicht für diese zwei positiven Abenteuerfilm-Exempel ist es wohl angebracht, Filme zu nennen, denen diese musikalisch-atmosphärische Balance misslang. Debattierbar ist zum Beispiel, wie stimmig Musik und inhaltlicher Tonfall von «Prince of Persia – Der Sand der Zeit» sind. Diese Bruckheimer-Produktion misst der Liebesgeschichte mehr Bedeutung zu als «Fluch der Karibik», weshalb ein klassischer Score voller schwelgerischer Abenteuerromantik zunächst nicht so unpassend scheint. Aber es ist noch immer eine Videospieladaption mit zeitgemäßer Action und einem sehr modernen Dialogwitz. Vor allem das Geplänkel zwischen Jake Gyllenhaal und Gemma Arterton wirkt zwar nicht gleich dem «Fluch der Karibik»-Universum entliehen, erscheint aber als dessen Bruder im Geiste. Die weitestgehend an romantisierte Abenteuerklassiker angelehnte Hintergrundmusik gibt dem einen nicht ganz so feschen Rahmen – meiner Ansicht nach ist der Score dennoch äußerst gelungen, doch es ist schon nachvollziehbar, dass manche Zuschauer unschlüssig aus dem Film gingen. Wie viel war bewusst altmodisch gedacht, was sollte modern sein?
Ein aktuelles Negativbeispiel stellt letztlich «Snow White and the Huntsman» dar. Dieses epochale Fantasyabenteuer möchte einerseits das Märchen von Schneewittchen in die moderne Reihe der düsteren und bombastischen Neuninterpretationen (à la Tim Burtons «Alice im Wunderland») einordnen, was auch die Versatzstücke dieses Films beeinflusste. Referenzen auf «Prinzessin Mononoke», locker eingewobene Anspielungen auf die Vorlage und schnell geschnittene Actionsequenzen. Gleichwohl will Regisseur Rupert Sanders das zeitlosere Gefühl eines «Der Herr der Ringe»-Epos erwecken, mit einer vergleichbaren Farbpalette, Panorama-Landschaftsaufnahmen, langen Wandersequenzen und gänzlich ironiefreien Dialogen. Generell legt sich «Snow White and the Huntsman» die schwere Bürde auf, nicht so humoristisch wie ein «Indiana Jones»- oder «Fluch der Karibik»-Teil zu sein, sondern bei allem Bombast des 21. Jahrhunderts noch immer bierernst zu wirken. Diese tonale Unebenheit wird begleitet von einer Filmmusik ohne konsistente Klangfarbe: Der meist so brillante Komponist James Newton Howard entwickelt keinen durchgängigen «Snow White and the Huntsman»-Sound, sondern wandelt von Sequenz zu Sequenz abhängig auf den Pfaden von in heutigen Tagen spielenden (mit massenhaft Synthesizern gerüsteten) Hans-Zimmer-Actionern, den andersweltlichen Arien eines «Der Herr der Ringe» und grimm umgedeuteten Disney-Märchen.
Das Ergebnis ist zu modern für den klassischen, trotzdem zu zeitlos für den an heutige Kinogänger orientierten Ansatz des Films. Eine ebenmäßigere Filmmusik hätte die narrativen Dürreperioden in «Snow White and the Huntsman» nicht überwunden, aber ihr wäre es möglich, die Produktion einheitlicher auftreten zu lassen. Die zuvor genannten, langlebigen Kinoerfolge sind ja auch nicht gerade Wunderwerke der konsistenten Stimmungslage. Aber sie klingen durchweg wie aus einem Guss und die Heldentaten von Indiana Jones oder Jack Sparrow gehören genauso zu ihnen, wie ihre Albernheiten. Denn die Musik bewahrt den Ton.