Olympia im Netz: 'Von Ausweichen kann keine Rede sein'

Die öffentlich-rechtlichen Sender setzen dieses Jahr bei der Berichterstattung zu den Olympischen Spielen auf Unterstützung durch Livestreams. ZDF-Sprecher Thomas Stange spricht mit Quotenmeter.de über die Hintergründe dieser Entscheidung und bezieht Stellung zu kritischen Stimmen seitens der Privaten und Sportfans.

Die BBC setzt dieses Jahr neben einer Übertragung der Olympischen Wettkämpfe im Hauptprogramm von BBC One, BBC Two und BBC Three auf 24 Optionskanäle. Wieso haben Sie beschlossen, unterdessen auf Livestreams im Internet zu setzen?
Medienlandschaft und Sehgewohnheiten haben sich in den vergangenen vier Jahren grundlegend geändert. 2008 war die Nutzung von Livestreams auf Smartphones oder Tablet-PC vielleicht schon denkbar, aber kaum für ein breites Publikum reali­sierbar. Das hat sich geändert, und durch einen umsichtigen Aufbau der Strea­mingarchitektur können nun alle Plattformen, auch die mobilen, versorgt werden. Weiterer Vorteil: Die Nutzung von Computern neben dem Fernsehen wird mehr und mehr zum Normalfall. Die Nutzer können im Stream Ihren Lieblingssport in ganzer Länge betrachten und gleichzeitig im Hauptprogramm das Wichtigste vom Olympi­schen Tag verfolgen. Ein weiterer Vorteil des Livestreams gegenüber den Digitalka­nälen ist die Vielfalt, die damit ermöglicht wird. Statt vier sind bis zu sechs zusätzli­che Übertragungen von Wettkämpfen nun möglich. Darüber hinaus sind zahlreiche Zusatzinformationen abrufbar. Kurzum: Der Nutzer kann in einem völlig neuen Aus­maß sein individuelles Olympiaprogramm selber zusammenstellen.

Der Privatsenderverband VPRT ging in der Vergangenheit dagegen vor, dass Sie Ihre Digitalsender temporär zu "reinen Sportsendern" verwandelten, auch das Angebot mehrerer paralleler Livestreams erachtet er als "pure Provokation". Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?
Diese Vorwürfe sind ja nicht neu – und entbehren jeder Grundlage. Ihre Frage spielt auf eine Stellungnahme des VPRT vom Mai dieses Jahres an. Wegen wettbewerbsrechtlicher Vorgaben aus Brüssel sind ARD und ZDF gehalten, die Online-Rechte, die Teil des EBU-Rechtepakets sind, für die Übertragungen der Olympischen Spiele aus London im Interesse der Zuschauer zu nutzen. Das zeitlich begrenzte Angebot entspricht dem genehmigten Telemedienkonzept des ZDF, so dass es rundfunkrechtlich in Ordnung ist. Die Erstellung eines Online-Angebotes für London ist im Übrigen günstiger als der finanzielle Aufwand für Digitalkanäle und zudem weniger personalintensiv.

In Sport-Foren wird das Ausweichen auf Livestreams zuweilen als Form der "kastrierten" Übertragung bezeichnet. Was entgegnen Sie?
Eine eigenwillige Bewertung eines außergewöhnlichen Service-Angebots von ZDF und ARD. Von Ausweichen kann keine Rede sein. Bei rund 300 Entscheidungen in 26 Sportarten im Verlauf von zwei Wochen lassen sich nun einmal nicht alle Wettbewerbe im Hauptprogramm übertragen – selbst bei 15 Stunden Live-Programm täglich.

Sie haben die Anzahl Ihrer Mitarbeiter von 700 im Jahr 2008 auf nun rund 480 reduziert. An welcher Stelle konnten Sie erfolgreich einsparen?
Das ZDF war 2008 in Peking mit rund 320 Mitarbeitern vor Ort. In London werden es 240 Kollegen aus Redaktion, Technik und Produktion sein. Bedingt durch die erhebliche Zeitverschiebung mussten in Peking tägliche Highlightsendungen produziert werden, die entsprechenden personellen Einsatz bedingten. Das entfällt in London. Außerdem haben ARD und ZDF auf Schnittplätze an den Sportstätten verzichtet und weniger Außenmoderatoren im Einsatz.

Sie versprechen, dass während der Olympischen Spiele Sportarten, die sonst wenig mediale Beachtung finden, ins Rampenlicht rücken. Sie auf die Streams abzuschieben, sollte demnach also keine Option sein - wie darf man sich vor diesem Hintergrund den Entscheidungsprozess vorstellen, welche Begegnungen im Fernsehen übertragen werden?
Von Abschieben kann keine Rede sein – im Gegenteil. Den genauen Ablaufplan des ZDF-Olympiaprogramms diktieren die Ereignisse in den Stadien und Wettkampfstätten und richtet sich auch nach den Interessen der deutschen Zuschauer und den zeitlichen Möglichkeiten. Ein langer Segelwettbewerb, ein mehrstündiges Tennismatch oder das Teakwondo-Turnier, um nur einige Beispiele zu nennen, können verständlicherweise bei bis zu zwölf parallel laufenden Wettbewerben im Hauptprogramm nicht komplett live übertragen werden, im Online-Angebot sehr wohl.

Vielen Dank für Ihre Antworten
27.07.2012 21:15 Uhr  •  Sidney Schering Kurz-URL: qmde.de/58172