«Schlüter sieht's»: Hauptberuf Casting-Juror

Auch Thomas Gottschalk verdient sein Geld nun als Juror. Ein Kommentar über diesen lukrativen Berufsmarkt.

Hauptberuf: Castingshow-Juror. Diesen Titel beansprucht Dieter Bohlen längst nicht mehr für sich allein, sondern seit dem vergangenen Samstag auch Ex-Showtitan Thomas Gottschalk – und mit ihnen viele weitere zahlreiche Prominente, die mittlerweile gefühlt mehr Zeit in TV-Studios verbringen als mit ihrem eigentlichen künstlerischen Schaffen. Dieter Bohlen und Musik? Macht er nebenbei als Projekt für «DSDS»-Sternchen, die er sympathisch findet. Thomas Gottschalk und die Moderation? Gibt es vielleicht nie mehr, weil die «Supertalent»-Gage hoch genug sein dürfte. Sarah Connor und ein neues Album? Ist seit Herbst 2010, wo sie ihre Juryarbeit bei «X Factor» begann, nicht mehr auf den Markt gekommen. Nena von «The Voice of Germany» hat seit drei Jahren keine neue Platte mehr veröffentlicht.

Was ist es, das die Künstler zu den Castingshows, zu ihren eigentlichen Nebenprojekten zieht? Sind es die hohen Summen, die Sender für große Namen ausgeben, um damit Quote machen zu können? Oder wollen die Künstler einfach Abwechslung in ihren (Musiker)-Alltag bringen? Die Antwort wäre wohl eine Mischung aus beidem. Castingshow-Juroren werden mittlerweile sehr gut bezahlt, in den meisten Fällen vermutlich sogar besser als für jeden anderen Job, mit dem die Künstler sonst ihre Zeit verbringen würden. Dieter Bohlen soll laut Medienberichten mit einer Staffelgage von mehr als einer Million Euro der bestbezahlte Star dieser Branche sein – die starken Einschaltquoten rechtfertigen solche Zahlen offensichtlich.

Diese sind aber nichts gegen die Summen, die in den USA ausgegeben werden: Nachdem dort 2010 die Gage von Jennifer Lopez bei «American Idol» auf 12 Millionen Dollar festgesetzt worden war, zogen andere Shows schnell nach und engagierten ähnlich prominente Gesichter zu horrenden Löhnen. Die Castingshows waren keine Bühne mehr für angehende Talente, sondern für Hollywood-Superstars und Pop-Millionäre. Christina Aguilera und Howard Stern – jeweils 10 und 15 Millionen Dollar pro Staffel verdienend – sind nur zwei von ihnen in diesem Geschäft. Für Stern, einen Juror der zu Ende gegangenen Castingshow «America’s Got Talent», verlagerte NBC das Studio sogar von der West- an die Ostküste der USA – was den Sender laut „Hollywood Reporter“ zusätzliche 18 Millionen Dollar gekostet haben soll, nur um Stern zu bekommen.

Im Kampf um Zuschauer und Einschaltquote müssen die Castingshows mit immer größeren Namen, mit immer schwereren Summen locken. Bestes Beispiel dafür ist Thomas Gottschalk, der solche Formate einst verurteilte und heute selbst in einem sitzt. Wie erfolgreich die Strategie der großen Promi-Jury ist, kann nicht beurteilt werden: Zwar sinken die Zuschauerzahlen der traditionellen Casting-Formate allgemein sowohl in den USA als auch in Deutschland, allerdings könnte es dem Genre ohne die Stars vielleicht noch schlechter ergehen.

Beängstigend ist nur, dass bei all diesem Hype um die großen Namen, um die Bohlens und die Naidoos, der Blick auf das Wesentliche verloren geht: Castingshow-Juroren verlagern ihren Fokus von der eigentlichen Arbeit – beispielsweise dem Musikmachen – auf ihre Sendung. Und weil kaum mehr abseits dieser Showbiz-Stars gesucht wird, geht dem Genre auch ein Stück Diversität verloren: Ein Thomas M. Stein bewertete Kandidaten in den Anfangsjahren von «DSDS» aus einer ganz anderen, aus einer wirtschaftlichen Sicht als andere Juroren. Letztlich geht es so immer weniger um die eigentlichen Protagonisten von Castingshows: die Talente, die aus dem Schatten ihrer Mentoren kaum herauskommen. Vielleicht ist es aber nur konsequent, sie als Grundelement aus der Erfolgsformel so strikt zu entfernen. Schließlich war dies früher auch nicht anders, nur nicht so offensichtlich wie heute.

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19.09.2012 00:00 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/59233