Manuel Koch: 'Die Börse ist eine Männerwelt'
An der Wall Street in New York schlägt das Finanzherz der Welt. Seit genau einem Jahr berichtet Manuel Koch beim DAF und N24 vom Puls der Märkte. Der 30-jährige arbeitete zuvor für N24 und Euronews. Seit September 2011 ist er Börsenreporter und Moderator an der berühmten Börse im Big Apple.
Es ist gerade eine spannende Zeit: Die US-Wahlen stehen im November an, die Welt schaut auf die Euro-Schuldenkrise, die Anschläge vom 11. September jährten sich und Sie feiern Jubiläum. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Ich bin jetzt genau ein Jahr in New York. Wahnsinn! Die Anfangszeit war natürlich besonders aufregend. Als ich im September 2011 hier ankam, wurde gerade das 9/11-Memorial zehn Jahre nach den Anschlägen durch die Präsidenten Obama und Bush eingeweiht. Da spürte ich sofort diesen Zusammenhalt und diese besondere Stimmung in New York. Dann ist Apple-Chef Steve Jobs gestorben, wir hatten die Proteste von "Occupy Wall Street" - da hatte ich eine Menge zu berichten. Die Finanzkrise in Europa und die langsame Erholung der US-Wirtschaft sind jeden Tag im Fokus. Jetzt stehen wir zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen. Wieder eine tolle Zeit für einen Journalisten.
Wie ist die Stimmung in den USA? Wird es Obama noch mal schaffen?
Gerade fanden die Parteitage der Demokraten und Republikaner statt. Eine Milliarden-Wahlkampfschlacht, in der es sehr auf eine gute Show ankommt und weniger auf Inhalte. Noch nie wurde ein US-Präsident bei einer Arbeitslosigkeit von über acht Prozent wiedergewählt. Der Nobelpreisträger Obama hat viele enttäuscht, die Wirtschaft schwächelt weiterhin. Unter seiner Führung stieg die Staatsverschuldung um 60 Prozent auf sagenhafte 16 Billionen Dollar. Politisch gesehen hat er aber auch einiges erreicht: Den Krieg beendet, Erzfeind Osama bin Laden töten lassen, eine Gesundheitsreform durchgesetzt und sich als erster Präsident offen für die Homo-Ehe eingesetzt. Eine Umbruchsstimmung ist bisher nicht in den USA zu spüren. Mitt Romney will zwölf Millionen neue Jobs schaffen, bleibt aber Erklärungen schuldig wie er das anstellen mag. Er will die Unternehmenssteuer senken, weniger Regulierung und die Gesundheitsreform von Obama wieder abschaffen. Sein Programm hat aber noch viele weiße Seiten. Obama muss wieder die Minderheiten und die Frauen für sich mobilisieren. Es wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen und momentan sehe ich Obama vorne.
Und Wirtschaft wird ein wichtiges Wahlkampfthema?
Wirtschaft wird DAS bestimmende Wahlkampfthema! Das Hauptproblem ist die hohe Arbeitslosigkeit von über acht Prozent. Das Thema überschattet alles. Pro Monat werden nur gut 100.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das ist viel zu wenig für eine gesunde Erholung der Wirtschaft. Noch nie hat sich die US-Wirtschaft nach einer Krise so langsam wieder aufgerappelt. Und wir sehen da einen Teufelskreis: Die Amerikaner sind arbeitslos oder haben Angst davor, konsumieren weniger und schwächen damit die Wirtschaft. Denn das amerikanische Bruttoinlandsprodukt setzt sich zu gut Zweidritteln aus dem privaten Konsum zusammen. Die US-Notenbank stand vor der Frage: Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft durchführen oder den Markt sich selbst überlassen? Vor der Wahl haben Maßnahmen auch noch eine politische Komponente und könnten Obama helfen. Ich persönlich denke, dass die US-Notenbank nicht hätte eingreifen sollen. Ein "Mehr" ist nicht immer hilfreich.
Das Deutsche Anleger Fernsehen hat gerade einen neuen Vorstandsvorsitzenden bekommen. Wird es Veränderungen geben und wofür steht der Sender genau?
Dr. Conrad Heberling wird das DAF in die Zukunft führen. Ohne zu viel zu verraten, kann ich sagen, dass es neue spannende Sendungen geben wird und wir wollen natürlich unsere Reichweite ausbauen. Das DAF ist der einzige Sender in Deutschland, der nur über Wirtschaft und Finanzmärkte berichtet. Wenn wir auf die Euro-Krise schauen, sieht man auch wie wichtig die Einordnung von Experten ist. Die Zuschauer sind verunsichert, wollen sich informieren.
Bisher kann nicht jeder das Deutsche Anleger Fernsehen schauen.
Das DAF empfängt man momentan über Satellit, im Kabelnetz in Hessen und NRW, über Telekom Entertain und über den Internet-Live-Stream auf daf.fm. Ansonsten ist das DAF Dienstleister für den Nachrichtensender N24. Die Kollegen Franziska Schimke und Mick Knauff berichten von der Deutschen Börse in Frankfurt. Unsere Kollegen im Studio sind am Hauptsitz in Kulmbach.
Wurden Sie gleich von den alten Hasen auf dem Börsenparkett akzeptiert?
Die Börse ist zu 99,9 Prozent eine Männerwelt. Jeder will zeigen, dass er ein toller Hengst ist. Da braucht man als Neuling schon etwas Zeit. Als Frau hätte man es definitiv einfacher. Die Händler haben am Anfang meiner Praktikantin immer mehr erzählt als mir. Mittlerweile habe ich aber zu vielen ein sehr gutes Verhältnis. Die Jungs tauen schnell auf und sind dann ganz locker drauf.
Der Zusammenhalt wird auch großgeschrieben?
Vor einigen Wochen ist ein 32-jähriger Händler beim Sport tot umgefallen. Am nächsten Morgen flossen dann in dieser harten Männerwelt die Tränen wie Bäche. Das war sehr berührend. Also während der Arbeit konkurrieren viele zwar miteinander, aber nach Feierabend geht man ein Bier trinken.
Wie sieht Ihr normaler Tagesablauf aus?
Ich fange jeden Tag kurz nach 6:00 Uhr US-Zeit an zu arbeiten. Zuerst schreibe ich E-Mails und pflege Soziale Netzwerke wie Facebook. Das sehe ich als wichtigen Bestandteil meiner Arbeit. Wegen der Zeitverschiebung von sechs Stunden läutet dann um 15:30 Uhr deutscher Zeit in der New York Stock Exchange die Eröffnungsglocke. Dann stehe ich direkt auf dem Parkett und habe meine erste Live-Schalte fürs Deutsche Anleger Fernsehen, um 16 Uhr die zweite. Um 18:15 Uhr kommt die N24-Schalte in der «Börse am Abend». Ich schreibe auch täglich für die Internetseite des Börsenmagazins "Der Aktionär" einen Marktbericht. Dreimal die Woche moderiere ich die Talksendungen «Inside Wall Street» und «Nasdaq Report». Letztere Sendung ist mein Baby, ich habe sie gleich nach meinem Start eingeführt und habe immer wieder spannende Gäste.
Sie hatten auch schon einige große Namen zu Gast!
Große Namen aus der Wirtschaft: Ich hatte hier schon VW-Boss Martin Winterkorn, Daimler-CEO Dieter Zetsche, adidas-Chef Herbert Hainer, Hedgefonds-Legende Jim Rogers, Siemens-CFO Joe Kaeser oder den Bayerischen Finanzminister Markus Söder vor dem Mikro. Auf den vielen Veranstaltungen trifft man auch Stars wie Multi-Milliardär Warren Buffett, die ehemalige First Lady Laura Bush, Twilight-Schauspieler Robert Pattinson, der Cast der Serie «Mad Men», Olympia-Sieger, Ex-Notenbank-Chef Alan Greenspan, Designer Michael Kors, Reichstagsverhüller Christo oder deutsche Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg. In New York ist immer etwas los. Die deutsche Community ist sehr groß und viele Stars wohnen hier.
Wie sind denn die amerikanischen Wirtschaftsnachrichten im Vergleich zu unseren?
«Squawk Box» heißt das Frühstücksfernsehen bei CNBC, das sich nur um Wirtschaft dreht. Wenn Sie jetzt denken, dass das langweilig ist, kann ich nur widersprechen. Die Amerikaner haben es wahnsinnig gut drauf, die für viele so trockenen Wirtschaftsnachrichten interessant und mit ganz viel Charme und Humor zu präsentieren. Das fehlt uns leider oft im deutschen Fernsehen. Wir haben einfach eine andere Mentalität und Sehgewohnheit. Noch dazu kommt, dass Wirtschaftsbosse bei uns nicht so oft vor die Kamera gehen. In den USA ist das anders. Da sehen Sie jeden Tag interessante Interviews.
Ist die US-Berichterstattung also leichtere Kost?
Die harte Kost wird zumindest leichter präsentiert. Das versuche ich auch jeden Tag. Komplizierte wirtschaftliche Zusammenhänge in einfachen Worten eingeordnet rüberzubringen. Das ist ganz wichtig. Die Kurse kann jeder in Echtzeit auf seinem Computer zu Hause sehen, die Analyse aber nicht. Manchmal ist es auch verrückt: Apple macht einen Milliardengewinn, aber die Aktie geht ins Minus. Warum? Weil Experten bei einem Unternehmen wie Apple einen noch höheren Milliardengewinn erwartet hatten. Das ist manchmal kaum nachvollziehbar und den Zuschauern schwer zu vermitteln.
Sie waren der Erste mit einem iPad auf dem Parkett, richtig?
Ich bin aber der erste, der immer und ausschließlich damit arbeitet. Es ist einfach wie mein Gehirn, Notizzettel und ich kann noch dazu alle Börsenkurse mit einem Klick anschauen.
Sie haben sicherlich Kollegen aus der ganzen Welt um sich rum. Wie ist die Zusammenarbeit?
Die Zusammenarbeit ist ganz hervorragend. Links neben mir sitzen Franzosen, rechts eine Japanerin. Dann sind da noch Kollegen aus Spanien, Italien, Großbritannien, Russland, Brasilien, China, USA und natürlich einige deutsche Kollegen. Jeder hat seine eigene Sicht - ein spannender Austausch!
Gibt es da auch Konkurrenzkampf?
Überhaupt nicht! Gleich fünf Meter weiter sitzt Lars Halter, der Kollege von n-tv. Wir haben uns von Anfang an super verstanden, helfen uns gegenseitig und sind enge Freunde. Das entspricht auch meinem Selbstverständnis! Ansonsten trifft man überall auf Veranstaltungen Kollegen von der FAZ, SZ, Welt, dpa, ARD und ZDF. Das ist sehr nett.
Wie informieren Sie sich denn über die Nachrichten aus Deutschland?
Natürlich lese ich die ganzen Agenturmeldungen und die Standard-Leitmedien wie Spiegel Online und Bild. Ich schaue jeden Tag in der ZDF-Mediathek das «heute-journal». Außerdem nutze ich einige Apps für mein iPad. Wenn Freunde mir aufgeregt schreiben, ob ich schon davon oder hiervon gehört hätte, weiß ich das schon immer. Aber das ist auch mein Job als Journalist. Also ich bin sehr nah an Deutschland dran, auch wenn ich über 4.000 Kilometer entfernt wohne.
Trotzdem sind Sie in manchen Momenten weit weg?
Ja, als mein Großvater Anfang des Jahres gestorben ist. Es war schlimm für mich, den Sterbeprozess nur über Skype mitzubekommen und mich auch so verabschieden zu müssen. Meine Mutter hat aber immer den Fernseher bei einem Opa in Berlin angemacht, während ich in New York zu sehen war. Das war mir wichtig, irgendwie doch anwesend zu sein und zur Beerdigung war ich dann in Berlin. Ich bin sehr froh, dass er meinen Karrieresprung nach New York noch erlebt hat. Er hat mich da auch sehr unterstützt und war ganz Stolz.
Sie sind jetzt mit 30 Korrespondent in New York. Da kann doch kaum noch eine Steigerung kommen!?
Die Stadt mit dem Job ist schon unschlagbar. Ich arbeite so viel wie nie zuvor in meinem Leben, aber ich bin so dankbar für jede Sekunde hier. Für mich ist ein Traum wahr geworden und der wird hoffentlich noch einige Jahre andauern. Ich kann immer nur sagen, dass jeder an seinen Träumen hart arbeiten sollte! Auch wenn es ein steiniger Weg ist, lohnt es sich. Das Deutsche Anleger Fernsehen lässt mir viele Freiheiten. Ich kann immer wieder etwas Neues in meinen Talksendungen ausprobieren. Im Bereich Moderation möchte ich noch einiges machen, das macht mir sehr viel Spaß. Mit Menschen zu reden und vor allem ihnen zuzuhören, ist immer wieder spannend.
Vielen Dank für das Interview – und wer sich weiter informieren möchte, der ist unter www.manuel-koch.tv richtig.