Was passiert eigentlich nach einem Amoklauf an einer Schule in einem kleinen Ort?
Inhalt:
In der Schule einer mittleren Kleinstadt ist das Unfassbare passiert: Die 16-jährige Luca Reich hat zwei Menschen erschossen. Ein Jahr danach beginnt der Prozess gegen die Schülerin. Doch sie schweigt. Während ihrem Vater Jürgen eine Anklage wegen fahrlässiger Tötung droht - die Schüsse feuerte Luca aus seinem Jagdgewehr -, ringt Lucas Mutter Katharina um Zugang zu den feindseligen Nachbarn, dem hilflosen Ehemann und vor allem zu ihrer Tochter. Der Anwalt der Familie legt ihr nahe, dass sie mit einer Falschaussage vor Gericht für ihren Mann einen Freispruch erreichen kann. Auch Jürgen selbst bedrängt sie. Katharina droht immer mehr, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Auch für Klaus Nagel muss es irgendwie weitergehen. Seine Frau, die Lehrerin Anna Nagel, gehörte zu Lucas Opfern. Seit ihrem Tod ist ihm der Alltag entglitten. Nichts vermag den Schmerz zu lindern oder gar eine erlösende Antwort auf die quälende Frage nach dem "Warum" zu liefern. Seine Tochter Nadine versucht derweil, sich so gut es geht um ihren Bruder Andreas zu kümmern, den Jüngsten der Familie. Er kann nicht begreifen, dass seine Mutter nie mehr wiederkommen wird.
Auch Julius, Lucas bester Freund, sucht verzweifelt nach Antworten. Er macht sich Vorwürfe, dass er nicht rechtzeitig geahnt hat, was in Luca vorging. Nun fühlt er sich schuldig, zieht sich zurück, kämpft gegen innere und äußere Dämonen. Denn wie Katharina hat auch Julius seinen Platz in der Gemeinschaft verloren. Die Fronten zwischen ihm und den anderen verhärten sich. Bis Katharina und Julius aufeinandertreffen und sich in ihrer Suche nach Antworten nahe kommen.
Darsteller
Margarita Broich («Der Vorleser») als Katharina Reich
Rainer Bock («Gefährten») als Jürgen Reich
Gloria Endres de Oliveira («Melancholie & Calypso») als Luca Reich
Jannis Niewöhner («Freche Mädchen 2») als Julius Hofer
Felix Voertler («Das Wunder von Bern») als Robert Hofer
Isolda Dychauk («Borgia») als Nadine Nagel
Matthias Bundschuh («Unsere Farm in Irland») als Klaus Nagel
Kritik
Es ist natürlich ein außerordentlich schwieriges Thema, dessen sich Autorin und Regisseurin Aerlun Goette hier angenommen hat: Die 16-jährige Luca hat zwei Menschen erschossen. Nun wird ihr der Prozess gemacht, an dessen Ende ihr zehn Jahre Haft drohen.
Das Einzige, das ihr gesamtes Umfeld, von ihren Eltern über ihre Lehrer und Mitschüler bis hin zu ihren Freunden vereint, ist die Frage nach dem „Warum“, die niemand von ihnen beantworten kann. Und hier beginnen die dramaturgischen Probleme, mit denen schon «Vater Mutter Mörder» in diesem Jahr zu kämpfen hatte. Denn obwohl diese Frage von den Figuren in «Ein Jahr nach morgen» immer wieder aufgeworfen wird, findet auf dramaturgischer Ebene nicht einmal der Versuch statt, sie zu beantworten, geschweige denn, sie überhaupt von so vielen Blickwinkeln zu betrachten wie möglich. „Einfach so“, antwortet Luca in einem der diversen Handyvideos, die sie vor ihrer Bluttat gedreht hat. Dabei belässt es das Drehbuch, nimmt diese Aussage letzten Endes so hin, ohne ausgehend von ihr eine weitere, tiefer gehende Betrachtung anzustellen. Doch Handlungen haben nicht nur Konsequenzen, sondern auch Gründe. Der Fokus des Films liegt jedoch leider nur auf ersterem Aspekt, da er die Ursachenforschung recht früh und ebenso unbefriedigend abbricht.
Damit einher geht auch die Beobachtung, dass Goette mit «Ein Jahr nach morgen» zwar einen Touch Avantgarde durchaus vortäuschen wollte, letztlich aber wenig anders erzählt als in einem Melodram. Viele Figuren sind überzeichnet, viele Situationen wirken stark konstruiert und überdramatisiert, die Dialoge (insbesondere die der Teenager) entsprechen wenig mehr als den üblichen Klischeevorstellungen, da sie sehr suggestiv und unnatürlich geschrieben sind und sich ihr Subtextgehalt im eher trivialen Bereich einpendelt. Leider gibt man damit gleichsam die Möglichkeit einer differenzierten Betrachtungsweise auf das sehr schwere Thema auf.
Hinzu kommt, dass Hauptdarstellerin Margarethe Broich zu eintönig spielt, zu wenige Facetten ihrer Figur fassbar macht, häufig viel zu bemüht wirkt, die Zerrissenheit ihrer Figur auf der einen Seite und die Aufrechterhaltung der Fassade auf der anderen Seite glaubhaft zu machen. Ein Unterfangen, das unter den konkreten dramaturgischen Umständen allenfalls schwer hätte gelingen können. Isolde Dychauk kann da zwar mehr überzeugen, doch angesichts der zu trivialisierten Vorlage hat auch ihr Spiel Grenzen.
«Ein Jahr nach morgen» hätte wegen seiner spannenden Prämisse ein sehr interessanter Film werden können. Nicht zuletzt, weil Goette auch schon in anderen Projekten eine außerordentliche narrative Vielseitigkeit gezeigt hat. Da man letztlich aber den Weg des Melodrams statt den der Avantgarde oder des ernstzunehmenden Dramas gewählt hat, hat das Unterfangen wegen der erdrückenden Suggestivität und der starken Vereinfachung nicht gelingen können. Schade.
Das Erste zeigt «Ein Jahr nach morgen» am Mittwoch, 26. September 2012, um 20.15 Uhr.