gartenzwerg.tv und die Zukunft des Internetfernsehens

Das junge Start-Up gibt einen Einblick in die Möglichkeiten des Web-TV, erkennt Schwächen des klassischen Fernsehens – und schreibt es dennoch nicht ab.

Das Fernsehen. Bislang ein Fels in der zeitgeschichtlichen Brandung, droht der medialen Institution mit der Verbreitung des Internets als globale Videoplattform eine langsame Fahrt auf's Abstellgleis – wenn die notwendige Anpassung an die neuen Zeiten ausbleiben. Mit der fortwährenden Weiterentwicklung von Mediatheken, der Verknüpfung von Inhalten über Social-Media-Plattformen oder dem Versuch, Stars der Netzgemeinde auf die Mattscheibe zu locken, wollen die Verantwortlichen dem entgegenwirken. Die Bedürfnisse der gleichsam Internet- wie Fernsehaffinen möchten viele Projekte im Bereich des Web-TV befriedigen, die die Entwicklung erkannt haben. gartenzwerg.tv ist eines davon und ermöglicht einen Einblick in die mögliche Zukunft des Zuschauens.

Gegründet von Marika Liebsch, Yves Schurzmann und Marc Daum in der Nähe von Köln, widmet sich das Projekt seit Anfang dieses Jahres dem steigenden Interesse an Natur vor und in den eigenen vier Wänden. Auf der gleichnamigen Internetpräsenz zeigt gartenzwerg.tv kurzweilige Filme, deren inhaltliche Bandbreite vom Pilzesammeln bis zum Entwurzeln von Baumstümpfen reicht. Gerichtet sind die Beiträge vor allem an diejenigen, deren gewohntes Umfeld weniger Blumenwiesen als viel mehr Betonwüsten sind – und dabei Änderungsbedarf sehen. Die Erfahrung, was dabei besonderes Interesse weckt, machen die Autoren gewissermaßen nebenbei. Selbst eher Stadtmenschen, entschieden sie für sich, das Familienleben auf dem Land fortzuführen und standen damit vor Herausforderungen, die sie nun an ihre Zuschauer weitergeben wollen.

Dass dabei nicht alles perfekt erscheint und beispielsweise die „Wildnispizza“ keine Restaurantreife erreicht, ist ein Teil des Konzepts. In der Distanzierung vom makellos inszenierten Fernsehen sehen die Macher eine Chance, die Zielgruppe auf sich aufmerksam zu machen. Dabei gestehen sie ein, dass dieser Wunsch in der tatsächlichen Präsentation des gedrehten Materials oft noch zu kurz kommt. Kein Wunder: Die Gründer von gartenzwerg.tv kommen als Redakteure und Journalisten aus der Fernseh- und Medienbranche und betreiben die Plattform nebenberuflich. Dass dabei nicht nur das Wissen aus der Hauptbeschäftigung in das „Web-TV für alle, die gerne draußen sind“ (so die Selbstbeschreibung) einfließt, sondern sich auch die ersten Erfahrungen mit dem eigenen Internetfernsehen im tagtäglichen Broterwerb niederschlagen, bestätigen die drei.

Der Eindruck, traditionelles Fernsehen und Web-TV besäßen wesentliche Schnittpunkte, ist aber zurückzuweisen. Schon weit vor der Öffentlichmachung von gartenzwerg.tv übten sich die fernsehkundigen Medienmacher in zeit- und kostenintensiver Weiterbildung, um den Start ihres Projekts zu einem Erfolg zu machen. So wurde der geplante Name, „Landlounge“, als unpassend verworfen, die Wirkung verschiedener Gestaltungsideen ausführlich getestet und die Möglichkeiten, die Zielgruppe anzusprechen, ausgelotet. Dass die professionelle Vorbereitung alleine keine vollständige Akzeptanz der Idee nach sich ziehen sollte, zeigte sich den Gründern im Gespräch mit Kollegen, denn vielfach wurde die Idee nur belächelt.

Dabei scheint der Versuch, die Produkte des klassischen Fernsehens mit den von YouTube angeführten Videoplattformen zu kombinieren, nur folgerichtig. Einerseits bietet sich den Zuschauern die Möglichkeit, seriöse und qualitativ hochwertige Beiträge zu betrachten, andererseits herrscht dabei keine Bindung an die gewohnten Programmschienen. Der Verweis auf die mittlerweile etablierten Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist insofern unzulässig, als dass kleinere Web-TV-Projekte in der Lage sind, Nischenpositionen für sich zu beanspruchen. Zudem können die gezeigten Filmbeiträge besser auf die Aufmerksamkeitsspanne des Durchschnittsbetrachters eingehen, die bei nur zwei bis vier Minuten liegt. Diesem Konzept folgt auch gartenzwerg.tv. In Ansätzen praktiziert wird es auch von den Sendestationen, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Spartenkanälen, die ein junges Publikum ansprechen wollen und sich bemühen, als fernsehübergreifendes Medium wahrgenommen zu werden. Das zeigt auch die Präsenz bekannter YouTube-Persönlichkeiten: die Bremerin Kathrin Fricke zeigt auf Einsfestival unter ihrem Pseudonym „Coldmirror“ kurze Clips im Stile der Videoplattform, das Kölner Comedy-Trio „Y-Titty“ durfte sich erst kürzlich auf RTL II zeigen. Dass letztere quotentechnisch mit einem Best-of ihrer Produktionen scheiterten, zeigt, dass eine simple Übertragung dessen, was im Netz erfolgreich ist, im Fernsehen nicht ausreicht.

Die Notwendigkeit einer thematischen Spezialisierung bei gleichzeitigem Wunsch, eine möglichst große Zahl potentiell Interessierter zu erreichen, ist eine wesentliche Hürde bei der Umsetzung eines Web-TV-Projekts im Sinne von gartenzwerg.tv. So darf die notwendige Innovativität einer Web-TV-Neugründung nicht dazu führen, dass sich nur trendbewusste „Hipster“ den Inhalten widmen. Das würde die Rentabilität einer Idee fraglich machen. Den Machern von gartenzwerg.tv bietet sich mit einer existenzsichernden Hauptbeschäftigung und einem Stipendium des AV Gründerzentrums NRW über 10.000 Euro indes die Möglichkeit, inhaltliche vor finanzielle Fragen zu stellen. Der langfristige Finanzierungsplan des Projekts weicht so auch von werbefinanzierten Fernsehprogrammen oder YouTube-Videos ab und zielt nicht darauf, gewöhnliche Werbung auf der Projektseite zu schalten oder die inhaltliche Unabhängigkeit vollständig an Unternehmen zu verkaufen. Stattdessen ist geplant, innerhalb von zwei bis drei Jahren eine Finanzierung sicherzustellen, die auf Aufträgen von Betrieben basieren soll, welche sich eine filmische Präsenz auf der gartenzwerg.tv wünschen.

gartenzwerg.tv sieht sich dabei selbst als beispielhaft für das Potential von Web-TV. Die Macher haben sich auf die Fahne geschrieben, die grundsätzliche Machbarkeit einer solchen Idee beweisen zu wollen und verstehen sich nicht als auf ein Nischenthema festgenagelt. Dass sie in den Redaktionen des „guten, alten Fernsehens“ bereits als Fachpersonen für Internetfernsehen wahrgenommen werden und den Eindruck bestätigen können, dass die großen Senderfamilien die Entwicklung aufmerksam verfolgen, zeigt das zukünftige Potential von Web-TV. Den Gedanken eines nahenden Endes des gewohnten Bildes der Wohnzimmer-Flimmerkisten winken sie daher mit einem Schmunzeln ab.
26.09.2012 08:55 Uhr  •  Kevin Kyburz Kurz-URL: qmde.de/59372