Das düstere Drama mit Veronica Ferres überzeugt Dank toller Darsteller, unangenehm realistischen Szenarien und für deutsche Verhältnisse mutiger Stilmittel.
Inhalt:
Lena Fauch, eine evangelische Pastorin, hat sich nach dem Tod ihres Mannes, eines Münchner SEK-Beamten, zurückgezogen. Während sie auf Bitten ihres alten Freundes und Mentors, des Polizeiseelsorgers Bader, seine Vertretung bei einer Tiersegnung in München übernimmt, gibt es in der Nähe einen Amoklauf. Am Einsatzort trifft Lena Fauch nicht nur auf ehemalige Kollegen ihres verstorbenen Mannes, sondern auch auf die junge Tatjana. Ihr Vater ist der Amokläufer und hat ihre kleine Tochter bei sich. Lena kann Vertrauen zu Tatjana aufbauen und sie beruhigen. Der Amokläufer weigert sich, mit der Polizei zu kommunizieren und verlangt, nur mit seiner Tochter zu sprechen. Tatjana besteht darauf, dass Lena sie nicht mit den SEK-Beamten allein lässt. Die Polizeiseelsorgerin begleitet sie. Doch im Haus des Amoktäters eskaliert die Situation, Tatjana wird schwer verletzt und ihr Vater getötet. Ein junger SEK-Beamter, Max, den Lena von früher kennt, scheint mehr über den missglückten Einsatz zu wissen. Sie ist Hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, sich wieder zurückzuziehen und dem Gefühl, dass der junge Mann ihre Hilfe braucht. Lena versucht herauszufinden, was mit dem jungen SEK-Beamten los ist, doch die internen Ermittlungen führen dazu, dass die Staatsanwaltschaft keinen weiteren Ermittlungsansatz sieht. Als Lena dennoch nicht locker lässt und versucht, auf seelsorgerischem Weg einen Zugang zu Max zu finden, muss sie gegen starke Hindernisse angehen.
Darsteller:
Veronica Ferres («Tatort», «Die wilden Hühner») ist Lena Fauch
Markus Boysen(«Die Trixxer», «Ein Fall für zwei») ist Benedikt Kuda
Jörg Gudzuhn («Crazy», «Der letzte Zeuge») ist Bader
Werner Wölbern («Polizeiruf 110», «Der Dicke») ist Rüdiger Trautenwolf
Ludwig Blochberger («Das Leben der Anderen», «Tatort») ist Max Trautenwolf
Rosalie Thomass («Eine ganz heiße Nummer», «Das Leben ist nichts für Feiglinge») ist Tatjana Egers
Kritik:
Ohne dass ein Wort gefallen, ein Dialog entstanden ist, fällt ein kleines, aber nicht unbedeutendes Detail ins Auge. Und das obwohl
«Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers» zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal annähernd die Gelegenheit hatte, Fahrt aufzunehmen. Die Hauptdarstellerin des düsteren TV-Dramas, Veronica Ferres, präsentiert sich als ebenjene Protagonistin in einem völlig neuen und ungewohnten Gewand. Der extreme Kurzhaarschnitt, mit welchem sich die Schauspielerin präsentiert, wirkt zwar auf den ersten Blick befremdlich, unterstreicht jedoch gekonnt die Charakterzüge Ferres‘ Rolle, die für ihre eigentlichen Besetzungsverhältnisse befremdlich unnahbar ausfallen. Dennoch: Der Aufbau ihrer Rolle, von ihrem Äußeren, über die Art ihrer Interaktion mit Mit-Darstellern, bis hin zu Gestik- und Mimikspiel, ist erst der Beginn einer langen Liste, die «Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers» derart richtig macht, dass es sich bei diesem emotionalen TV-Drama, ausgestrahlt nur wenige Tage nach der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2012, ohne weiteres bereits um einen Anwärter auf dieselbe Auszeichnung des nächsten Jahres handeln könnte.
Die ernste Thematik um einen Amokläufer, der aus purer Verzweiflung handelt, hat zu Zeiten, in denen uns ähnliche Nachrichten wie diese nahezu tagtäglich erreichen, den fast schon sarkastischen Vorteil, dass sie den Zuschauer ohne großes Zutun ohnehin zum Dranbleiben bewegt. Doch die Macher ruhten sich auf dieser Tatsache nicht aus. Stattdessen nutzten sie die Szenerie, um sich möglichst realistischer Emotionen zu bedienen und mithilfe realitätsnaher Stilmittel eine durchgehend unangenehme, und damit spannende Atmosphäre aufzubauen. Dankenswerterweise jedoch nicht auf einer Ebene, auf der Spannung zu einem Selbstzweck wird, der von Schwächen im Drehbuch oder der Inszenierung ablenkt. Vielmehr entpuppt sich der dargebrachte Stoff als hochspannende und dramatische Grundlage, die auszunutzen Regisseur Kai Wessel wusste.
Besonders die Anfangsphase des Films, die nahezu in Echtzeit den Hergang des Amoklaufs zeigt, wirkt vor allem Dank der Leistungen von Olaf Krätke als Amokläufer Martin Egers und Rosalie Thomass als seine Tochter Tatjana derart realistisch, dass jeder Schrei, jeder Schuss und jede Träne dem Zuschauer in Mark und Bein übergehen. Regisseur Kai Wessel, der neben seiner Regietätigkeiten für das Fernsehen vor allem durch hervorragende Theaterinszenierungen auf sich aufmerksam machte, kostet die Szenerie bis zum letzten Tropfen aus und brachte einige spannende Ideen ein, die man in der Form seltener im deutschen TV, denn in internationalen Produktionen wiederfindet. Schnelle Schnitte und angedeutete Traumsequenzen sorgen für ein hohes Tempo, Aufnahmen aus der First-Person-Perspektive eines SEK-Beamten lassen den Zuschauer direkt am Geschehen teilhaben und teilweise ist das überdeutlich zu hörende Atmen des selbigen die einzige Soundkulisse. Das ist mutig – und funktioniert!
Doch leider kommt auch diese absolut sehenswerte Produktion nicht ohne kleine Schwächen aus. Besonders in den Dialogsequenzen zwischen Ferres und den Angehörigen derjenigen, die am Amoklauf direkt oder indirekt beteiligt sind, kommt es zwischenzeitlich zu Längen. Gründe hierfür findet man vor allem in der Ausrichtung ihrer Rolle. Als Pastorin und Seelsorgerin verkörpert sie einen sehr ruhigen, beizeiten fast einschläfernden Charakter. Damit schafft sie es zwar, ihrer Rolle Realismus zu verleihen, könnte Freunde von flotteren TV-Movies jedoch langweilen.
Trotz dieser kleinen Mängel ist „Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers“ äußerst realistische, spannende TV-Unterhaltung die top-besetzt ist, mit tollen Ideen auftrumpfen kann und besonders in den Sequenzen, in denen die Macher sich ausprobierten, toll aussieht. Eingestreute Krimi- und Thrillerelemente machen den Streifen äußerst abwechslungsreich und fürs deutsche Fernsehen ungewohnt. Spannend, sehenswert, emotional!
Das ZDF zeigt «Lena Fauch und die Tochter des Amokläufers» am Montag, 8. Oktober 2012 um 20.15 Uhr.