360 Grad: Vom «Landarzt» zum «Knastarzt»
Die Sat.1-Serienoffensive ist bisher gescheitert, RTL lässt neue Formate herstellen und beim ZDF wird fleißig abgesetzt. Julian Miller mit einem Überblick über die anstehenden Fiction-Änderungen.
Nach wenigen Wochen ist das Fazit eindeutig: Sat.1 ist mit seiner Serienoffensive, einer Art letzter Rettung aus der Quotenmisere, zumindest in der ersten Welle gescheitert. «Auf Herz und Nieren» war von Anfang an ein Fehlstart, «Es kommt noch dicker» hat die Zuschauer trotz einer passablen Premiere letztlich ebenso wenig überzeugt. Zwei Formate stehen noch aus: «Der Cop und der Snob» darf nach einer Planänderung am 22. Oktober bereits mit den ersten zwei Folgen sein Debüt feiern, während die Ausstrahlung von «Familie Undercover», das am selben Tag hätte prämieren sollen, auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Optimistische Programmplanungen sehen anders aus.
Ganz unerwartet kommt das Scheitern der bisher ausgestrahlten Serien jedoch nicht: «Auf Herz und Nieren» und Hegenbarths Fat-Suit-Comedy waren qualitativ zwar nicht der «Landarzt»-Supergau. Doch innovativ war man ebenso wenig. Der dramaturgische Kern bestand in überdrehten Geschichten um überdrehte Figuren in überdrehten Situationen mit einer eher suggestiven als subtilen Umsetzung. Das ist deutsche Serienware in Reinform – von einer amerikanischen Leichtfüßigkeit in der Erzählweise und vielschichtigen, mit sich und der Umwelt in nennenswerter und glaubwürdiger Weise hadernden Figuren war nichts zu spüren.
Geschichten, wie sie «Auf Herz und Nieren» und «Es kommt noch dicker» präsentieren, kennt man in Deutschland schon. Dutzendfach. Seit Jahrzehnten. Die zugrunde liegenden Konzepte: eine Mischung aus Ideenlosigkeit und Innovationsphobie. Die Drehbücher: nach Schema F mit wenig glaubwürdigen und zu sehr auf das allgemeine Bild der Massenkonformität getrimmten Figuren mit wenig Charme und Esprit. Die Storys: uralt. Die Erzählweise: ohne jegliche Neuerung. Der Production-Value: hoch. Doch die dramaturgische Grundlage war im besten Fall solide, abgestanden, anspruchslos und ging vom kleinsten gemeinsamen Zuschauernenner aus. Letztlich war für jeden etwas dabei, aber für niemanden viel genug, um einzuschalten. Das alte Problem.
Die Gegenbeispiele im eigenen Haus zeigen, wie man es besser macht. «Danni Lowinski» und «Der letzte Bulle» sind, im internationalen Vergleich gesehen, zwar auch nicht der Gipfel der narrativen Möglichkeiten. Beide Produktionen gewinnen dadurch, dass sie sehr interessante und gut durchdachte Hauptprotagonisten im Zentrum haben, aber sehr an Charme und damit letztlich auch an Qualität. «Auf Herz und Nieren» hat es sich mit dem ungleichen Kollegenpaar jedoch zu einfach gemacht, was die Figurenkonstellation angeht, während «Es kommt noch dicker» jeden Konflikt bis ins Letzte überzeichnet und zu forciert auf Komik getrimmt hat – ein Schuss, der oft dazu verdammt ist, nach hinten loszugehen. So wie auch hier.
Anderswo, nämlich beim ZDF, geht bereits das große Absetzen los: Der «Landarzt» schließt nach Jahrzehnten endlich seine Praxis, während «Forsthaus Falkenau» und «Rosa Roth» ebenso bald Geschichte sein werden.
Bei den Einschaltquoten von «Forsthaus Falkenau» und dem «Landarzt» lässt sich verglichen mit früheren Jahren ein Abwärtstrend durchaus erkennen, während «Rosa Roth» auch bei den Werberelevanten im letzten Jahr immer noch auf Senderschnitt lag und in der einzigen 2012 gesendeten Folge sogar noch zulegen konnte. Qualitativ lassen sich noch klarere Unterschiede feststellen: «Der Landarzt» und der ZDF-Forstbetrieb bieten puren Eskapismus ohne jedwede narrative Ambition, während «Rosa Roth» mit guten Plots, starken Figuren und hervorragenden Darstellern meist überzeugen konnte.
Bei RTL sieht die Seriensituation derweil ganz anders aus: Im Moment läuft mit «Alarm für Cobra 11» lediglich eine deutsche Produktion mit neuen Folgen; das Portfolio wurde erst am Donnerstagabend um das neue Projekt «The Transporter» ergänzt. Das Budget von 30 Millionen Euro für zehn Folgen verspricht ein Hochglanz-Format – ob der Zuschauer es annehmen wird, ist damit jedoch noch nicht gesagt.
Doch RTL plant ohnehin, in die Vollen zu gehen. Die zweite Staffel der eigentlich bereits abgesetzten Sitcom «Der Lehrer» steht an, ebenso wird es eine Adaption der US-Sitcom «The New Adventures of Old Christine» (im Original mit Julia Louis-Dreyfus, in Deutschland mit Diana Amft) geben, sowie eine Krimiserie mit dem Titel «IK1» und eine «Sekretärinnen»-Sitcom. Ohnehin werde bei RTL derzeit einiges pilotiert, heißt es in Stellungnahmen des Senders. Unter den Piloten vermutet: Ein Projekt mit dem Titel «Der Knastarzt».
Die deutsche Fiction in Serienform ist also auch nach dem bisherigen Scheitern bei Sat.1 und der Absetzungswelle beim ZDF, die zu einem Großteil ohnehin nur Formate mit niedriger Qualität betrifft, nicht tot. Sie wandert in nächster Zukunft nur etwas mehr zu RTL. «Knastarzt» statt «Landarzt», «Sekretärinnen» statt Forstbetriebe, Inez Björg David statt Wolke Hegenbarth. Ob das in Puncto Qualität und Quote ein Aufstieg ist, wird sich zeigen. Nur eines steht schon fest: Es kann nur besser als am RTL-Familien-Nachmittag mit so tollen Sendungen wie «Familien im Brennpunkt» und «Familien in Geldnot» werden. Außer, man wirft das Konzept der anstehenden Projekte noch einmal um und macht ein «Familien beim Knastarzt» daraus. Mit Thomas Gottschalk in der Hauptrolle. So undenkbar wie früher ist das traurigerweise gar nicht mehr.