Erklingt «The Voice» besser als 2011?

Die Battle-Phase von «The Voice of Germany» wird in dieser Woche abgeschlossen. Wie gut ist die zweite Staffel des Casting-Hits mittlerweile und übertrifft sie die Qualität der ersten Runde aus dem vergangenen Jahr?

Tituliert wird sie von ProSieben und Sat.1 als „beste Musikshow Deutschlands“. Zumindest die beste Castingshow-Deutschlands ist «The Voice of Germany» mit Sicherheit – dazu bedarf es aber auch keiner allzu großen Anstrengung. Schlagen kann sich das Format daher nur selbst: Wie hoch ist die Qualität der zweiten Staffel im Vergleich zu 2011? Hat man noch bessere Gesangstalente gefunden?

In der derzeit ausgestrahlten Battle-Phase, die jeweils zwei Kandidaten eines Jury-Teams gegeneinander antreten lässt, zeigt sich generell die wahre Qualität der Teilnehmer von «The Voice»: Die Vorauswahl der Blind Auditions ist getroffen, die schwächeren Stimmen damit ausgesiebt. Aber die Kandidatenzahl ist bis zu den Live-Shows auch noch nicht so weit zusammengeschrumpft, dass man nur noch überragende Talente hat. Die Battles zeigen, wo «The Voice» steht – und dies ist in Staffel zwei verdammt hoch: Fast alle derzeit ausscheidenden Kandidaten hätten es verdient, ebenfalls in die Live-Shows einzuziehen. Nur Nuancen entscheiden im direkten Gesangsduett diesmal über Sieg und Niederlage; kaum gibt es eindeutige Gewinner. In anderen Castingshows, vor allem aus früheren Jahren, wären viele oft ganz vorn gelandet.

Ja, «The Voice of Germany» hat es geschafft, seine eigene Qualität in Staffel zwei noch einmal zu toppen: Großartig das Duell zwischen Isabell Schmidt und Kevin Staudt, die beide mit Instrumenten – Klaiver und Gitarre – auftraten; überwältigend der Auftritt von Laura Buschhagen und Neo, zwei so unscheinbaren Menschen mit solch gewaltigen Stimmen. Alle vier Kandidaten stammen übrigens aus dem Team Nena.

Von den anderen Mannschaften stachen in den Battles beispielsweise Jonas Hein und Brandon Stone hervor, oder Michael Heinemann aus der dritten Show. Unfair mag es erscheinen, dass Top-Musiker wie Sascha Lien oder der angesprochene Jonas Hein nicht weiterkommen, weil sie vielleicht nicht mehr formbar und gesanglich ausgereift scheinen – im Sinne des prozessualen Charakters einer Castingshow sind solche harten Entscheidungen aber legitim. Manchmal kommen eben nicht die vermeintlich Besseren in die finalen Live-Shows, sondern die besseren Rohdiamanten.

Angesichts der generellen Gesangsqualität ist es verschmerzbar, dass es diesmal an richtig herausragenden Charakterköpfen fehlt. Andererseits: Freaks wie Percival Duke aus Staffel eins sind absolute Ausnahme und Glücksfall zugleich. Sympathisch sind die diesjährigen Kandidaten allesamt – und es tut der Show gut, dass auch ältere Semester wie Rob Fowler (40 Jahre alt) oder „Ruhrpott-Röhre“ Brigitte Lorenz (42) eine Chance bekommen und das generell etwas weniger abwechslungsreiche Teilnehmerfeld bereichern. Positiv auch, dass die Tradition von Zweier-Teams, die gegen einzelne Kandidaten antreten, beibehalten wird oder die der Dreifach-Battles.

Warum «The Voice» gegenüber 2011/12 gesanglich nochmals leicht zugelegt hat? Vielleicht ist die Erklärung ganz einfach: Die erste Staffel musste sich erst den Ruf erwerben, eine wirklich ernstzunehmende Castingshow zu sein, die ihre Talente nicht verschleißt, sondern deren Karriere fördern kann – wie bei Mic Donet, der trotz seiner Halbfinalniederlage mit Xavier Naidoo weiterarbeiten konnte und ein erfolgreiches Album veröffentlicht hat. Auch das Projekt „Sing um dein Leben“, das sogar eine Fernsehshow spendiert bekam, dürfte den Anspruch, den «The Voice of Germany» an seine Coaches und an seine Künstler stellt, untermauert haben. Vor der ersten Staffel – also zur Bewerbungsphase dazu – konnte man die Qualität noch nicht erahnen, das Format selbst noch nicht einschätzen. Mittlerweile kennt man es.

Und deswegen haben vielleicht mehr Talente die Chance ergriffen, sich für die zweite Staffel zu bewerben: Weil sie wissen, dass sie nicht vorgeführt werden; weil sie wissen, dass erst einmal nur ihre Stimme zählt; weil sie wissen, dass sie nicht instrumentalisiert und in Charakter-Schubladen gesteckt werden. Und vor allem: Weil sie wissen, dass sie sich durch die Teilnahme nicht als ernstzunehmende Musiker disqualifizieren. Die vier Coaches können in dieser Staffel aus dem Vollen schöpfen – die gestiegene Qualität der Battles bei gleichbleibender Qualität der vorherigen Blind Auditions ist der beste Beweis dafür.
16.11.2012 09:06 Uhr  •  Jan Schlüter Kurz-URL: qmde.de/60387