Der Fernsehfriedhof: Deutsche Schwachköpfe

Quotenmeter.de erinnert an all die Fernsehformate, die längst im Schleier der Vergessenheit untergegangen sind. Folge 217: Die deutsche Version von «Jackass», deren mäßige Qualität sogar gerichtlich festgestellt wurde.

Liebe Fernsehgemeinde, heute gedenken wir einer Produktion, die nicht nur juristisch umstritten war.

«MTV Freak Show» wurde am 16. Juni 2002 bei MTV Germany geboren und entstand zu einer Zeit, als sich die Sendung «Jackass» des amerikanischen Mutterkanals an einer weltweiten Beliebtheit erfreute und auch bei seinem deutschen Ableger sogar bei Wiederholungen hohe Zuschauerzahlen erreichte. Und dies, obwohl (oder gerade weil) sie aus Jugendschutzgründen erst ab 23.00 Uhr ausgestrahlt wurde, denn in ihr malträtierte sich eine Gruppe junger Männer mit meist geschmacklich grenzwertigen Stunts, Mutproben und Streichen vor laufenden Kameras selbst. Dieses simple Konzept genoss schnell Kultstatus und machte ihre Protagonisten Johnny Knoxville, Bam Margera, Steve-O, Chris Pontius, Wee Man und Ryan Dunn derart bekannt, dass sie alle auch Angebote für andere Engagements und Nachfolgeprojekte erhielten. Was lag daher näher, als das Format einfach zu kopieren?

So hub die deutsche MTV-Tochter selbst eine Adaption der amerikanischen Vorlage aus der Taufe. Inhaltlich und ästhetisch wurden dabei kaum Änderungen vorgenommen. Wieder filmte sich eine Bande einfach gestrickter Freunde mit gewöhnlichen Videokameras, wie sie sich gegenseitig ärgerten. Diesmal geschah dies aber nicht mit Untertiteln, sondern in deutscher Sprache. Als Pendant zum US-Star Johnny Knoxville wurde Ben Tewaag das prominente Aushängeschild der deutschen Freaks. Der Sohn der Schauspielerin Uschi Glas («Anna Maria – Eine Frau geht ihren Weg»), der zuvor bereits mehrfach in negative Schlagzeilen geraten war, übernahm für die MTV-Show teilweise auch die Produktion und Regie.

Zusammen mit seinem Kumpel Matze und einer Handvoll weiterer Freunde kiffte er dann fürs Fernsehen vor einer Polizeiwache, zertrümmerte ein Auto, brachte ein Schwein dazu, auf einem Polizeiwagen abzukoten, fällte einen Baum, auf dem ein Mann saß und schmiss einen weiteren in eine Grube voll Brennnesseln. Zudem stopfte er Metall, Feuerwerkskörper und Haarspray in eine Mikrowelle und veranstaltete im Backstage-Bereich der Musikpreisverleihung «Echo» einen Kotz-Wettbewerb namens „Brecho“.

Der Großteil ihrer Aktionen, war zwar sinnfrei, aber auch harmlos. Es gab jedoch auch einige Vorfälle, bei denen es zu ernsthaften Verletzungen kam. So ließen sich die Freunde absichtlich von einer giftigen Spinne beißen und verpflanzten unter Verwendung eines Skalpells ein Gesäß-Haar auf eine Stirn. Als sie ferngesteuerte Autos mit Dartpfeilen ausstatteten und sich damit gegenseitig in die Füße fuhren, zog sich Hauptfreak Ben eine Nervenverletzung und eine Blutvergiftung zu, weswegen er für sieben Wochen einen Gipsverband tragen musste.

Angesichts derartiger Grenzüberschreitungen und offensichtlicher Provokationen war es nicht verwunderlich, dass die Show schnell auf öffentliche Kritik stieß und sogar ein juristisches Verfahren nach sich zog. Nachdem der Kanal nämlich die ersten Ausgaben gezeigt hatte und plante, die Folgen noch einmal zu wiederholen, untersagte die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien Ende Juni 2002 eine erneute Ausstrahlung aufgrund einer schweren Jugendgefährdung. Gegen diese „Totalzensur einer Sendung“ (Zitat von der damaligen MTV-Chefin Catherine Mühlemann) ging wiederum MTV vor und erwirkte rund zwei Monate später die Aufhebung des Verbots.

Im November 2004 entschied dann das Bayerische Verwaltungsgericht München endgültig, dass bei der Produktion nicht grundsätzlich eine schwere Jugendgefährdung vorliegen würde. Lediglich in einer der beanstandeten Episoden hätte es kritische Szenen gegeben. Bei diesen ist einerseits ein Mann von einem anderen mit laufender Kettensäge verfolgt worden und andererseits haben sich die Jungs mit verbundenen Augen gegenseitig verprügelt. Hier wies das Gericht daraufhin, dass eine Verletzungsgefahr für einen unbeteiligten Dritten bestanden habe und sich die Darsteller durch ihre unkontrollierten Tritte und Schläge unbeabsichtigt schwer verletzen hätten können. Bei den restlichen Sequenzen wurde die Nachahmungsgefahr als gering eingeschätzt, weil die Aktionen schlicht zu abstrus waren und gewöhnliche Jugendliche auf die notwendigen Materialen keinen Zugriff haben. Interessanterweise erklärte das Gericht zudem, dass die Einflussmöglichkeit der Sendung deswegen beschränkt sei, weil sie technisch und gestalterisch von mäßiger Qualität ist. Die juristische Klärung hatte aber keine praktischen Auswirkungen mehr. Weil die deutsche Version inhaltlich als auch quotenmäßig nicht mit ihrer Vorlage mithalten konnte, hatte sie MTV nämlich längst wieder aus dem Programm genommen und keine weiteren Ausgaben mehr in Auftrag gegeben.

«MTV Freak Show» wurde im August 2002 beerdigt und erreichte ein Alter von sechs Folgen. Die Show hinterließ den Hauptprotagonisten Ben Tewaag, der dann noch in der braveren Sendung «MTV Mission» vor und hinter der Kamera mitwirken durfte, bevor er im Jahr 2005 in der ebenso minderwertigen wie erfolglosen Serie «Das geheime Leben der Spielerfrauen» sein letztes größeres Engagement hatte. Das US-Original «Jackass» erfreut sich übrigens trotz seiner geringen Episodenanzahl noch immer einer großen Beliebtheit und wird weiter regelmäßig wiederholt.

Möge die Show in Frieden ruhen!

Die nächste Ausgabe des Fernsehfriedhofs erscheint am kommenden Donnerstag und widmet sich dann der Mallorca-Serie mit Show-Legende Werner Schulze-Erdel.
06.12.2012 09:00 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/60784