Die Kritiker: «Tatort: Der tiefe Schlaf»

Die Münchner Kommissare bekommen wieder einmal einen neuen Kollegen; diesmal von der Bundeswehr kommend. Klamauk wird auch in dieser Episode also groß geschrieben.

Inhalt:
Carla ist ein sehr junges Mädchen und auf dem Heimweg von der Schule nach Hause, als sie den Bus verpasst. Zuhause kann sie niemand abholen. Es passt grad nicht. „Nein, macht nichts. Ich geh zu Fuß. Da bin ich schneller." Unterwegs begegnet sie ihrem Mörder und steigt in sein Auto.

Den Münchner Hauptkommissaren Ivo Batic und Franz Leitmayr wird bei den Ermittlungen ein Kollege zur Seite gestellt. Gisbert Engelhardt hat bei der Bundeswehr gedient und ist ein Technikfreak. Er erstellt ein Täterprofil und behauptet, er kann aus dem letzten Handygespräch von Carla charakteristische Atmer von Carlas Mörder herausfiltern. Vor Ort wirkt der Mann linkisch. Bei der Leichenbesichtigung fällt er in Ohnmacht. Engelhardt ist überzeugt, dass es sich bei Carlas Mörder um einen potenziellen Serientäter handelt.

Batic und Leitmayr ermitteln in alle Richtungen. Ins Visier gerät auch Carlas Lehrer, Herr Seifert. Mit dem Kollegen Engelhardt liegen die Kommissare von Anfang an über Kreuz, er hat einfach zu viele „Marotten". Sie können nicht anders und arbeiten daran, ihn „wegzuloben". Eine fatale Zuspitzung, denn Engelhardt muss nun „den Besten" beweisen, dass er gut für sie ist. Er macht sich allein auf die Jagd nach dem Phantom - eine Katastrophe nimmt ihren Lauf.

Darsteller
Miroslav Nemec («Zur Sache, Lena!») als Kriminalhauptkommissar Ivo Batic
Udo Wachtveitl («Richterin ohne Robe») als Kriminalhauptkommissar Franz Leitmayr
Fabian Hinrichs («Sophie Scholl – Die letzten Tage») als Gisbert
Anna Willecke («Die Schäferin») als Carla
Hans-Jochen Wagner («Alle anderen») als Kollege Lochbigl
Christian Springer («Die Komiker») als Wellisch
Stefan Murr («Die Samenhändlerin») als Lehrer Seifert

Kritik
Ohne Pausenclown scheint es in der bayerischen Landeshauptstadt nicht mehr zu gehen: Bereits in der vorherigen Folge schrieb man eine maßlos überdrehte, zu gewollt und klischeehaft auf exzentrisch getrimmte Nebenfigur als Kollege für Batic und Leitmayr in den Plot. In „Der tiefe Schlaf“ geht der Verschleiß des fünften Rads am Wagen munter weiter. Gisbert heißt diesmal der Neue, kommt von der Bundeswehr, ist engagiert, will von Batic und Leitmayr lernen und lehnt gleichzeitig ihre sehr behäbige Arbeitsweise ab. Er will frischen Wind in die Sache bringen, schießt konstant über das Ziel hinaus – und es nimmt schließlich kein gutes Ende mit dem übereifrigen Jungspund. Klischees und Überzeichnungen so weit das Auge reicht.

Man erkennt in dieser Figur ein wenig die Bemühung, die gängigen Krimistrukturen durch all die „Hypothesen“ des engagierten Neuen im Team zu parodieren. Gisbert tritt auf all die üblichen falschen Fährten, durch die sich ein «Tatort» normalerweise ackert, und argumentiert sie den Kollegen vor, die sie nach einer kurzen Ermittlung dann als die falsche Vermutung erkennen. Das augenzwinkernde Abklappern dieser Klischees mag eine ganz nette Idee sein, im Detail wurde sie vom Drehbuch jedoch zu plump ausgeführt und mangelhaft in die ohnehin schon überzeichnete Figur eingebettet.

Letztendlich zieht sich die Plumpheit durch die ganze Folge – insbesondere in der Überreizung all der Motive, mit denen „Der tiefe Schlaf“ arbeitet: Wenn sich nach der tragischen Wende um den neuen Kollegen etwa das Fenster im Büro nicht mehr richtig schließen lässt, bei dem Leitmayr gegenüber Gisbert immer darauf bestanden hatte, dass es geschlossen bleibt, wirkt dieses Element zu konstruiert und zu suggestiv eingesetzt. Gleiches gilt für den dubiosen Sportlehrer des ermordeten Mädchens, der immer „stark transpiriert“ und sich dadurch bei den Ermittlern verdächtig macht.

Leider ist auch der Stoff an sich etwas zu dünn geraten, um eine eineinhalbstündige Laufzeit zu tragen. Autor und Regisseur Alexander Adolph wollte sich auf die Sicht der Angehörigen konzentrieren, die wirklichen Leidtragenden nach dem Verlust, den ein Mordfall verursacht. Geglückt ist diese Verschiebung der Betrachtungsweise weg vom Täter, der in „Der tiefe Schlaf“ bis zum Schluss gesichtslos bleibt, allenfalls in Teilen, da man aus diesem an sich ja sehr spannenden Gedankengang zu wenig macht, die Dramaturgie nicht ausreichend variiert und die zweite Ebene durch allerhand Klamauk und viel zu viel unnötigen und stumpfsinnigen Lokalkolorit verwässert – hauptsächlich natürlich durch die hoffnungslose Klamaukrolle des neuen Ermittlers, auch wenn Fabian Hinrichs sie wenigstens recht würdevoll spielt.

Aber Klamauk, Überzeichnung und dann der Versuch von einem kleinen bisschen narrativer Ambition – das kann nicht gut gehen. Und wenn man zwar den Versuch unternimmt, in diesem abgetragenen Konzept ein klein bisschen Innovation unterzubringen, gleichzeitig aber bei den festgefahrenen narrativen Strukturen bleiben und auch auf all die Melodramatik nicht verzichten will, kann das Ergebnis allein schon wegen einer fehlenden Kongruenz dieser beiden konträren Ansprüche nicht überzeugen.

Das Erste zeigte «Tatort: Der tiefe Schlaf» am Sonntag, 30. Dezember 2012, um 20.15 Uhr.
29.12.2012 10:30 Uhr  •  Julian Miller  •  Quelle: Inhalt: ARD Kurz-URL: qmde.de/61201