«Schlüter sieht's»: TV-Mythos Adlon
Selten wurde ein Fernsehspiel so überraschend zu so einem großen Zuschauerhit. Über den Erfolg der ZDF-Saga…
Eigentlich kann man die Uhr nach ihnen stellen: Die mehrteiligen Fernsehfilme im öffentlich-rechtlichen Fernsehen begeistern mindestens einmal pro Jahr viele Zuschauer. Ob die Manns, die Krupps oder «Der Mann mit dem Fagott», die Familiengeschichte um Udo Jürgens – große historische Familiensagen im Fernsehen haben auch heute noch ihren ganz besonderen Reiz. Vom 6. bis 9. Januar zeigte das ZDF seine neue Hochglanz-Produktion «Das Adlon» in drei Teilen und erreichte damit Einschaltquoten, die selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen haben. Und zudem auch spielend die Zahlen eben genannter Fernsehfilme: «Der Mann mit dem Fagott» hatte etwas mehr als vier Millionen Zuschauer, «Krupp» knapp sieben Millionen in der Erstausstrahlung.
«Das Adlon» begeisterte dagegen rund 8,5 Millionen Menschen – und schaffte sogar die Sensation, mit dem letzten Teil die höchste Reichweite aller drei Ausstrahlungen zu erzielen. Zurückzuführen ist dieses Phänomen vermutlich auch auf die starken Abrufzahlen in der Mediathek: Hunderttausende holten die ersten Teile in der Mediathek nach und schalteten Teil drei dann live im Fernsehen ein. Bis Sonntag – eine Woche nach der TV-Ausstrahlung – standen alle «Adlon»-Filme ganz oben bei den meistgesehenen Sendungen in der ZDF-Mediathek. Mittlerweile wurden sie wie geplant aus dem Angebot genommen.
Woran liegt es, dass diese Saga so viele Zuschauer in ihren Bann zog, dass sie zum vermutlich größten Phänomen des noch so jungen TV-Jahres wurde? Angesichts der schwächeren Quoten anderer Familiensagen liegt die Erklärung jedenfalls nicht im Genre selbst begründet. Nein, «Das Adlon» ist ein individueller Erfolg, der sich nicht nach Schema F reproduzieren lässt – wie es die Privatsender vor zehn Jahren noch nach dem Erfolg des «Wunders von Lengede» oder zuletzt mit der «Wanderhure» versucht hatten.
Zunächst einmal lag die produktionstechnische und inhaltliche Qualität des ZDF-Dreiteilers auf höherem Niveau als bei vergleichbaren Formaten – dies zeigen auch die positiveren Kritiken, die beispielsweise bei der «Krupp»-Saga durchweg schwach ausfielen. Blickt man auf die Zuschauerreaktionen, wird diese Diskrepanz noch deutlicher. Was «Das Adlon» grundsätzlich großartig machte, war die flüssige Narrative angesichts eines Drehbuchs, das keine Leerläufe auwies. Es meisterte die handwerkliche Herausforderung, die bekannten Aspekte großer Fernsehsagen homogen und nicht aufgestülpt wirken zu lassen: das Vermitteln von Zeitgeschichte angesichts der Familienhistorie, die Balance zwischen schicksalhaftem Drama und großer Liebesgeschichte sowie die Gewissheit, nicht zu trocken und zu anspruchsvoll zu werden. Das Motiv, anhand eines Gegenstands einen roten Faden durch die Geschichte zu spinnen, wurde hier mit dem Elefantenbrunnen ebenfalls gut ausgearbeitet.
Was «Das Adlon» unabhängig aller handwerklichen Finessen so erfolgreich machte, war vielleicht die einfache Tatsache, dass Zeitgeschichte hier auch abseits aller beim Publikum vorhandenen Vorurteile erzählt werden konnte: Jeder kennt das Hotel-Adlon vom Hörensagen, aber kaum jemand seine Geschichte dahinter. Große frühere Mehrteiler wie «Krupp» oder «Die Buddenbrooks» sind durch die Schwere ihres – vielleicht schon mehrfach erzählten – Stoffs von vornherein belastet, «Das Adlon» war dagegen fast eine Blaupause, um die man eine semifiktionale Geschichte entwickeln konnte. Dass sogar die «Adlon»-Dokumentation am 6. Januar über sieben Millionen Fernsehzuschauer hatte und die Buchungen im Berliner Hotel nun in die Höhe schnellen, passen zur unverfälschten und tiefgreifenden Faszination am Mythos Adlon. Einem Mythos, von dem Millionen Zuschauer vor einem Monat noch gar nicht wussten, dass er sie überhaupt interessiert.
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