Die Kritiker: «Mord in Eberswalde»

Die gewagte Inszenierung der Taten des Mörders Erwin Hagedorn wird im Ersten ausgestrahlt.

Story
Kommissar Heinz Gödicke und Stefan Witt, Major des Ministeriums für Staatssicherheit, sind alte Freunde. Gemeinsam sollen sie den bestialischen Mord an zwei neunjährigen Jungen in Eberswalde aufklären. Zeugenaussagen bringen sie ebenso wenig weiter wie herkömmliche Ermittlungsmethoden. Der Versuch des Kommissars, sich in den Mörder hineinzuversetzen, sorgt für Befremden. Gödicke ist sich jedoch zunehmend sicher, dass die beiden Morde das Werk eines psychisch kranken Menschen sind – eines Sadisten. Als ihn Staatsanwalt Dr. Liebers mittels eines Artikels aus dem – in der DDR eigentlich verbotenen – „Spiegel“ auf die Parallelen zum (westdeutschen) Fall Jürgen Bartsch aufmerksam macht, will er die Ermittlungen in eine neue Richtung lenken.

Zu diesem Zeitpunkt ist das Verhältnis zwischen ihm und dem MfS-Major jedoch bereits äußerst angespannt: Der in der Hierarchie höher gestellte Witt hat herausgefunden, dass seine Lebensgefährtin Carla Böhm und Gödicke ein Verhältnis haben, und wird beiden gegenüber gewalttätig; Carla Böhm zieht daraufhin zu Gödicke. Zwar arbeiten die beiden Männer weiter zusammen, und Witt ermöglicht seinem ehemaligen Freund trotz großer Vorbehalte sogar ein Gespräch mit einem Psychiater über den Fall Jürgen Bartsch und das Wesen sadistischer Triebtäter.

Weil der Sozialismus im Gegensatz zum dekadenten Westen jedoch offiziell gar keine psychisch kranken Subjekte hervorbringen kann, ordnet Witt die Einstellung der Ermittlungen an. Während der Major weiter die Karriereleiter hinaufsteigt, kann Gödicke von dem Fall nicht lassen. Er hat dem Vater eines der ermordeten Jungen das Versprechen gegeben, den Täter zu überführen. Und er ist sich sicher, dass er aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur erneut zuschlagen wird – tatsächlich wird im Oktober 1971 ein weiterer Junge tot aufgefunden …

Darsteller
Ronald Zehrfeld («Im Angesicht des Verbrechens») als Heinz Gödicke
Florian Panzner («Commissario Laurenti») als Stefan Witt
Ulrike C. Tscharre («Im Angesicht des Verbrechens») als Carla Böhm
Martin Brambach («Fasten á la Carte») als Georg Thom
Godehard Giese («Lena will es endlich wissen») als Dr. Liebers
Arved Birnbaum («Parkour») als Karl Heinz Kische
Sergius Buckmeier als Erwin Hagedorn

Kritik
Die Mordserie von Eberswalde ist Fernsehkrimi im wörtlichsten Sinne. Bereits im Jahr 1975 sollte eine erste Inszenierung des Geschehens im Rahmen von «Polizeiruf 110» ihren Weg ins Fernsehprogramm finden, verschwand nach Einschreiten der Zensur aber für über dreißig Jahre von der Bildfläche. Erst im Jahr 2011 gelang die weitestgehende Wiederherstellung des Films, nachdem der Vernichtung entgangene Aufnahmen entdeckt worden waren. Das Werk, das im Fernsehen der DDR nie gezeigt worden war, unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von «Mord in Eberswalde»: Es vermeidet jeden direkten Hinweis auf das zum Vorbild stehende Verbrechen und folgt damit den Vertuschungsabsichten seiner Entstehungszeit.

So ist die direkte Konfrontation mit dem unfassbaren Verbrechen des Erwin Hagedorn auch die große Stärke des unter der Regie von Stephan Wagner entstandenen Films. Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt, Autor des Drehbuchs, verzichtet darauf, den Charakter des Sexualstraftäters in die Schablone der Mittwochabendunterhaltung zu pressen. Stattdessen wird dem von Sergius Buckmeier dargestellten Charakter in Wort und Tat zugrunde gelegt, was die erhaltenen Gerichtsakten noch heute belegen. Nahezu wortgetreu erzählt der Mörder im Film, was der echte Täter zu Beginn der 1970er Jahre in emotionslosester Kälte zum Tatablauf ins Protokoll diktierte. Selbst die filmisch festgehaltene Nachstellung des Tathergangs durch die Polizei, bei welcher die Söhne eines Polizisten die Opfer mimen müssen, um dem Mörder selbst die Möglichkeit zu bieten, sein Vorgehen zu erläutern, ist in der dargestellten Form historisch belegt.

Bis zur letzten Szene Hagedorns verliert der Film in dieser Hinsicht nichts an historischer Authentizität. Gleichzeitig gelingt es den Machern, kritische Töne über die Aburteilung des als zweifelsfrei zurechnungsfähig bewerteten Täters einzubinden, der als letzter Zivilist in der DDR nach entsprechendem Gerichtsurteil hingerichtet wurde. Im Film findet damit auch die dominierende Thematik ein Ende, welche den Widerstand des Staates beschreibt, die Existenz menschlicher Abgründe im realen Sozialismus anzuerkennen. Der ermittelnde Kommissar Heinz Gödicke erlebt damit eine teilweise Niederlage, gelingt es doch erst durch ihn, die Ermittlungen in Richtung des tatsächlichen Mordmotivs zu lenken und so den Täter zu überführen; schlussendlich aber verschließt das Regime auch nach Abschluss des Falls die Augen vor der Realität.

Der von Ronald Zehrfeld gespielte Protagonist des Kommissars steht darüber hinaus stellvertretend für die größte Schwäche des Films. Viele Figuren wirken leicht überzeichnet und erwecken so den Eindruck einer zwangsweisen Flucht in die Fiktion. Dass der Stoff in seiner ganzen Wirklichkeit kaum zu ertragen ist, wird dem Zuschauer durch die Darstellung des Mörders demonstriert – im Gegenzug erscheinen die für oder gegen die bestehenden Verhältnisse agierenden Figuren stellenweise zu stereotypisch. Die schauspielerische Gesamtleistung wird dadurch aber nur wenig geschmälert, die Erzählung selbst ist gut aufgebaut und wird durch die detailreiche Szenerie noch unterstützt.

Das Erste strahlt «Mord in Eberswalde» am Mittwoch, den 30. Januar 2013, um 20.15 Uhr aus.
29.01.2013 08:45 Uhr  •  Kevin Kyburz  •  Quelle: WDR (Inhaltsangabe) Kurz-URL: qmde.de/61760