360 Grad: Es lebe die Raab-Republik!

Die Angst vor der Raab-Republik - für unseren Redakteur Julian Miller ist sie völlig unbegründet. Ein Kommentar.

Ein Gespenst geht um in Deutschland. Es ist das Gespenst der Raab-Republik.

Geprägt hat den Begriff der umstrittene Journalist Jakob Augstein in der neuesten Ausgabe seiner Kolumne „Im Zweifel links“ bei „Spiegel Online“, in der er ein bisschen wie Franz Josef Wagner mit größerem Wortschatz klingt. Augsteins Grundthese: Politik und Unterhaltung, das geht nicht zusammen. Raabs Talk-Show sei dem Ruf des Genres, hauptsächlich vertreten durch die entsprechenden Formate der Öffentlich-Rechtlichen, sogar schädlich.

Dabei liegt das Problem eigentlich ganz woanders: nämlich bei der Jauch-Republik, in der Jürgen Klinsmann als US-Experte gilt und Hans-Hermann Tiedje ungerügt falsche Tatsachen behaupten darf. Laut «Günther Jauch»-Chefredakteur Andreas Zaik gebe es schließlich gar keine „allgemeingültige Wahrheit“. Keine gute Basis, um eine relevante Talk-Show zu betreuen.

Der Verdacht liegt nahe, dass Jauch nicht die Polit-Sendung mit dem besten ARD-Sendeplatz moderiert, weil man ihn dort für einen herausragenden Journalisten hält, sondern vielmehr, weil er ein bekanntes Gesicht ist, das viele Leute vor dem Fernseher versammeln kann.

Zugegeben: Ähnliches könnte man auch über Stefan Raab bei ProSieben sagen. Doch anders als Jauch sieht Raab nicht die Notwendigkeit, sich mit zwei Brathähnchen ins Studio zu stellen, um mit billigen Tricks mögliche polit-unaffine Zuschauer vom vorher ausgestrahlten Spielfilm mitzunehmen. Der Vorwurf, zu viel Unterhaltung statt politische Relevanz in die Sendung zu bringen, trifft Jauch viel eher als Stefan Raab, weil bei ersterem erschwerend hinzukommt, dass alle diesbezüglichen Ansätze vollkommen suggestiv ausfallen und der inhaltliche Gehalt ob der oft sonderbar anmutenden Gästeauswahl und all der billigen effekthascherischen Mittel (Stichwort: Brathähnchen) gegen null geht, während Raab zumindest in der zweiten Ausgabe von «Absolute Mehrheit» die Themen ins Zentrum der Dramaturgie gerückt und sie mit dem nötigen Ernst besprochen hat.

Flapsige Sprüche gehören bei Raab natürlich dazu. Doch anders als Augstein oder sein „Bild“-Pendant Franz Josef Wagner meinen, führt das nicht zu einem Verlust von Ernsthaftigkeit, sondern fungiert als eine nette, amüsante Unterfütterung, um aus der Sendung nicht die Jauch'sche Rederei zu machen, in der inhaltliche Aspekte hinter suggestiven Fragen und allerhand gezwungenem Visualisieren und Verdaulichmachen oft an sich banaler Sachverhalte in den Hintergrund rückt.

Mit der Behauptung, dass junge Zuschauer die Polit-Talks der ARD für „überschaubar unterhaltsam“ halten, hat Raab sicherlich recht. Es ist lobenswert, dass er dem mit einer eigenen politischen Sendung begegnen will. Und natürlich sieht eine solche Sendung bei ProSieben anders aus als bei den Öffentlich-Rechtlichen. Raab hat dabei vor allem eines richtig gemacht: Er hält seine jungen (und oft wohl politisch auch nicht außerordentlich interessierten) Zuschauer nicht für dumm, sondern nimmt sie und ihre Lebensrealität ernst genug, um ihnen politisch relevante Inhalte auf Augenhöhe zu vermitteln. Anerkennenswert ist ebenso, dass ihm ProSieben dafür die richtige Plattform bietet und gesellschaftlich dahingehend Verantwortung übernimmt, seine jungen Zuschauer in den politischen Meinungsaustausch miteinzubeziehen.

Natürlich ist Politik ein ernstes Thema. Ein Thema, das alle angeht – und damit auch die Jüngeren, die die ARD zur Prime-Time schon lange nicht mehr erreicht. Man muss sich aber die Frage stellen, was der Ernsthaftigkeit mehr schadet: Dass in einer Diskussion das eine oder andere Mal eine lockere Bemerkung fällt und der Diskussionsleiter keine Krawatte trägt? Oder dass man Jürgen Klinsmann ungehindert eine ganze Sendung lang die Klischees vom dummen Amerikaner vortragen lässt und das als politische Relevanz verkauft? Raab fehlenden Ernst vorzuhalten und gleichzeitig den öffentlich-rechtlichen Polit-Talk als positives Gegenbeispiel anzuführen, ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten, wenn das ARD-Aushängeschild «Günther Jauch» heißt, für das man die deutlich besser gemachte Sendung «Anne Will» auf den Mittwoch verschoben hat. Inhaltliche Gründe wird dieser Schritt kaum gehabt haben.

Vor der Raab-Republik brauch sich niemand zu fürchten. Schließlich ist sie eine Republik, die diejenigen mitnehmen will, die sich aus dem ARD-dominierten politischen Diskurs schon lange verabschiedet haben, und zugleich bemüht ist, die notwendige Ernsthaftigkeit zu wahren.
22.02.2013 00:00 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/62233