Popcorn und Rollenwechsel: Nach dem Oscar ist vor dem Oscar
Kaum wurden die Academy Awards verliehen, beginnt schon das Spekulieren über die nächsten Oscars.
Der Normalsterbliche hat im Laufe der vergangenen Tage den Glanz und Glitter der Oscar-Saison von sich geschüttelt. Es wurden Flüche über vermeintlich unverdiente Siege ausgesprochen, aber auch Freude wurde ausgedrückt und ebenso wurde über Kleider, Dankesreden und Anmoderationen gelästert. Manch einer hat nun womöglich auch ein paar Filme auf seine „Muss ich mir noch dringend angucken“-Liste gesetzt, und damit hat es sich auch. Danke, Hollywood, in elf Monaten fiebern wir wieder mit!
Im Filmbusiness sieht es selbstredend anders aus. Für die DVD- und Blu-ray-Cover der Gewinnerfilme müssen passende Sticker gedruckt werden, Hollywoodagenten verhandeln für ihre Auftraggeber neue Gagen und während Ben Affleck, Christoph Waltz, Jennifer Lawrence und Co. bei sich zuhause nach einem Platz für ihre Statuette suchen, suchen Studiobosse nach dem geeigneten Startplan für ihre kommenden Oscar-Anwärter. Und Filmverrückte raten bereits heiter, welche Filmtitel im Januar 2014 bei der Bekanntgabe der Nominierungen vorgelesen werden.
So führt die Suche nach neuem Oscar-Material zu George Clooney, der nach «Argo» einen weiteren Film produziert, der von einer wundersamen, historisch verbürgten Rettungsaktion erzählt: «Monuments Men» handelt von einer Elitegruppe von Agenten, der die Aufgabe zugeteilt wird, wertvolle Kunstgegenstände in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs vor dem Zerstörungswahn der Nazis zu retten. Clooney führt dieses Mal selber Regie und versammelt für diesen Streifen Daniel Craig, Cate Blanchett, Matt Damon, Bill Murray und «The Artist»-Star Jean Dujardin vor der Kamera. Der charismatische Franzose Dujardin hat mit Martin Scorseses «The Wolf of Wall Street» zudem ein weiteres Eisen im Oscar-Feuer. Die Adaption der Memoiren eines früheren Aktienspekulanten, den es in eine Abwärtsspirale des Drogenmissbrauchs treibt, gehört auch zu den letzten Projekten von Leonardo DiCaprio, ehe der Beau eine Karrierepause einlegt. In weiteren Rollen sind zudem Jonah Hill und «Iron Man»-Regisseur Jon Favreau.
Ein Film, mit dem man in einigen Kategorien rechnen dürfte, ist David O. Russells noch unbetitelter Abscam-Film über die FBI-Operation mit dem Codenamen Abscam, die als Aktion gegen illegalen Waffenhandel begann und sich massiv ausweitete, so dass sie letztlich zu einer generellen Untersuchung gegen Korruption wurde. Russell verantwortete zwei mehrfach Oscar-nominierte und auch mit Statuetten prämierte Filme hintereinander und als historisches Politdrama mit Christian Bale, Amy Adams, Bradley Cooper, Jeremy Renner und Jennifer Lawrence in tragenden Rollen könnte es erneut einige Darsteller-Nominierungen hageln. Oder der Film wird ein neues «Public Enemies» und geht in der Oscar-Saison unter.
Ein dickes Fragezeichen im Awards-Notizenbuch dürfen sich Filmliebhaber hinter «August: Osage County» machen. Die Adaption eines mit Tonys und dem Pulitzer-Preis gewürdigten Theaterstücks erzählt von einer dysfunktionalen Familie, die nach dem Verschwinden ihres alkoholischen Oberhaupts zueinander findet. Die Besetzungsliste (Chris Cooper, Sam Shepard, Benedict Cumberbatch, Juliette Lewis, Ewan McGregor und Abigail Breslin) spricht für einige Anerkennung in der nächsten Filmpreis-Saison, ebenso wie die Achtung vor der Vorlage sowie das Involvement der Oscar-Maschine namens The Weinstein Company – da es sich aber um eine Komödie handelt, könnte der Film auch den Weg von «Der Gott des Gemetzels» gehen und eher bei den Golden Globes als bei den Oscars Nominierungen einsacken.
Noch gespannter darf man auf «Saving Mr. Banks» sein. Das Drama über Walt Disneys komplizierte Verhandlungen mit «Mary Poppins»-Autorin P. L. Travers und deren Unzufriedenheit mit der massiv erfolgreichen Verfilmung ihrer Vorlage könnte sich in die lange Reihe beliebter Filme über Filme einreihen – oder angesichts dessen, dass die Disney-Studios ihre eigene Vergangenheit verfilmen, eher ein Kandidat für die kommenden Razzies werden. Tom Hanks spielt Studioboss Walt Disney, Emma Thompson wird als Travers zu sehen sein.
Und gerade das ist das Spannende an den Oscars: Ja, man kann sogar zwölf Monate im Voraus allein schon basierend auf der Ensemble-Auflistung, dem Regisseur und der Story einkreisen, welche Filme die Neugier der Academy-Mitglieder wecken werden. Aber für jeden „Das war ja klar!“-Film der Marke «Les Misérables», den jeder schon vor Drehstart auf der Oscar-Rechnung hatte, kommt auch ein «My Week with Marilyn» oder «J. Edgar», die aufgrund mieser Umsetzung nur eine Nebenrolle im Rennen ums Gold spielten. Die Oscars – eine bunte Mischung aus Vorhersagbarkeit und Unberechenbarkeit seit 1929!