360 Grad: Bitchfight
Marmor und Bellut haben völlig unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft ihrer Digitalsender. Das ZDF wurde nun an den Verhandlungstisch gezwungen. Ein Kommentar.
Hand auf's Herz: Sechs Digitalkanäle sind mehrere zu viel. Vor allem, wenn man aus ihnen wenig mehr macht, als sie als Abspulstation für's Archivmaterial zu verwenden – ein Eindruck, der sich recht schnell einstellt, wenn man sich einmal durch die Programmlisten wälzt. Denn die innovativen Programme, für die vor allem ZDFneo so gefeiert wurde, sind entweder weg oder waren schon immer Randerscheinungen.
Nun mag man argumentieren, dass Innovation immer eine Randerscheinung ist und es für das deutsche Fernsehen schon einen Aufstieg bedeuten kann, wenn man «Seinfeld» oder «30 Rock» überhaupt einmal zu annehmbaren Uhrzeiten sendet. Und sicherlich behauptet man auch das nicht ganz zu unrecht. Doch vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss mehr erwartet werden, als manche ihrer Digitalsender etwa mit Wiederholungen alter Fernsehfilme zur Prime-Time faktisch brachliegen zu lassen.
Den öffentlich kommunizierten Vorschlag der ARD-Intendanten, die Digitalkanäle von ARD und ZDF zusammenzulegen, mag man entweder als PR-Desaster, als ein ehrlich gemeintes erstes Antesten oder als bewusstes Kalkül interpretieren, um Thomas Bellut an den Verhandlungstisch zu bringen. Bekanntermaßen ist das ZDF schon immer sehr zurückhaltend gewesen, was eine Kooperation mit den ARD-Anstalten hinsichtlich der Digitalsender angeht: Bestens bekannt etwa vom ARD-Vorschlag eines gemeinsamen Jugendkanals, der, so war lange zu vernehmen, von Thomas Bellut eher zurückhaltend aufgenommen wurde. Nicht nur aus finanziellen Gründen wird er kommuniziert haben, das Projekt nicht vor 2017 auf Sendung schicken zu wollen – ein Plan, bei dem ihm nun aber NDR-Intendant und ARD-Vorsitzender Lutz Marmor dazwischengrätscht.
Doch war der Jugendkanal der Hebel, ist die von Marmor angestrebte Reduzierung der öffentlich-rechtlichen Digitalsender von sechs auf drei die Bazooka. In ihrer Essenz erwartbar, wenn nicht gar unausweichlich, in ihrem Ton der offenen und recht undiplomatisch formulierten Ablehnung kam die ZDF-Reaktion aber doch recht überraschend.
Natürlich könnte man durch eine Zusammenlegung der Digitalkanäle Geld sparen. Verglichen mit anderen Ausgaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wäre das jedoch, wenn überhaupt, der viel zitierte Tropfen auf den heißen Stein. Ein ZDFneo weniger wären dreißig Millionen Euro zusätzlich im Etat – damit ließe sich allenfalls ein halbes Champions-League-Rechtepaket finanzieren.
Die opulenten Ausgaben von ARD und ZDF liegen anderswo: in unwirtschaftlich überfüllten Redaktionen, in Anachronismen wie Sinfonieorchestern, im Unterhalt eines massiven, in Teilen völlig ineffektiven Bürokratieapparates. Da durch die Schließung von Digitalsendern einen auf Sparfuchs zu machen, lässt sich schön kommunizieren, lenkt aber nur von den wirklichen Problemen der Sendeanstalten ab. Hans-Peter Siebenhaar wird schon einmal in die Tasten hauen.
Auch aus anderen Gründen wäre eine Kooperation der beiden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bei der Betreibung ihrer digitalen Spartenkanäle eher unsinnig: Man braucht nicht viel Phantasie, um sich in einem solchen Fall eine ordentliche Sackladung mehr sinnloser Bürokratie vorzustellen, um dem Gremienproporz Rechnung zu tragen. Dass Innovation (Dazu sind diese Plattformen ja eigentlich gedacht) dadurch eher verhindert, als gefördert werden würde, scheint offensichtlich, wenn man bedenkt, dass nun zwei konservativ und im Behördenstil geführte Sender bei aneckenden Formaten abnicken müssten statt einem.
Und wie man derzeit vernehmen kann, sind sich ja nicht einmal Herr Marmor und Herr Bellut bei zentralen Themen einig. Quer durch die Strukturen ständig Kompromisse zu finden, was man wo wie auf welchem der drei angestrebten Digitalkanäle sendet, sieht nach kaum zu bewältigendem Irrsinn aus, bei dem wohl viele gute Ideen auf der Strecke bleiben würden. Von Zeit, Geld und Nerven ganz zu schweigen.
Als Zeichen des guten Willens muss das ZDF nun aber doch an den Verhandlungstisch. Es muss Gesprächsbereitschaft signalisiert werden, um in der Öffentlichkeit nicht als arroganter Buhmann dazustehen - auch wenn der Anlass der Gespräche vollkommen weltfremd ist.