Die Kritiker: «Eine mörderische Entscheidung»

Ist der Fernsehfilm über die Kunduz-Affäre eine Bereicherung der politischen Diskussion? Julian Miller mit einer Einschätzung.

Hinter den Kulissen

  • Produktion: Cinecentrum Hamburg Deutsche Gesellschaft für Film- und Fernsehproduktion mbH
  • Drehbuch: Raymond und Hannah Ley
  • Regie: Raymond Ley
  • Kamera: Philipp Kirsamer, Dirk Heuer und Resa Asarschahab
  • Produzent: Ulrich Lenze
Inhalt
Oberst Georg Klein tritt im April 2009 seinen Posten als Kommandeur des Bundeswehrcamps in Kunduz, Afghanistan, an. Zeitgleich bezieht dort eine Gruppe junger Soldaten Quartier, die den Einsatz in einem fremden Land bisher nur als Übung kennen. Von Beginn an sieht sich Oberst Klein einer kaum zu bewältigenden Aufgabe ausgesetzt, in einem Krieg, der kein offizieller Krieg sein soll: Die Frühjahrsoffensive der Taliban bricht über ihn und seine Soldaten herein. Es gibt vermehrt Verletzte und auch Tote, unter ihnen der junge Infanterist Sergej Motz, der aus Kasachstan stammt und dessen Vater auch schon in Afghanistan Krieg führte, damals mit der russischen Armee. Als zwei von den Taliban entführte Tanklastwagen auf einer Sandbank im Fluss nahe Kunduz stecken bleiben, fordert Oberst Klein Luftunterstützung an. In der Nacht zum 4. September 2009 befiehlt er mit der Begründung, „Gefahren für seine Soldaten frühzeitig abwehren" zu wollen, den zögernden amerikanischen Piloten die Bombardierung der Tanklastzüge. Dabei sterben bis zu 140 Menschen, darunter zahlreiche Zivilisten und Kinder.

Darsteller
Matthias Brandt («Polizeiruf 110») als Oberst Klein
Axel Milberg («Tatort – Kiel» als Henry Diepholz
Matthias Koeberlin («Das Jesus Video») als Oliver Nordhausen
Ludwig Trepte («Unsere Mütter, unsere Väter») als Vincent
Stephan Schad («Koffie to Go») als Robert Bolt
Franz Dinda («Die Wolke») als Maik Wilhelm
Vladimir Burlakov («Im Angesicht des Verbrechens») als Sergej Motz

Kritik
Mit der Kunduz-Affäre hat Deutschland den ersten Militärskandal der Nachkriegsgeschichte. Das Erste verarbeitete dieses historisch bedeutsame Ereignis mit «Eine mörderische Entscheidung» zum gewissermaßen ersten Kriegsfilm, der sich mit der bundesdeutschen Geschichte befasst.

Man wählte die Form einer Doku-Fiction – für eine ausschließlich fiktive Aufarbeitung ist wahrscheinlich noch zu wenig Zeit vergangen. Außerdem ist das Thema sicherlich noch zu brisant, weswegen der Film unweigerlich vor der Aufgabe steht, Informationen zu vermitteln und einzuordnen, vielleicht sogar behutsam Haltung zu zeigen.

Dies tut er auch, allerdings ohne unangemessen zu sentimentalisieren oder sich auf „Es-ist-Krieg“-Geschwafel herauszureden. Der Film erzählt und berichtet ausgewogen, differenziert, mit einer Empathie für beide Seiten der Diskussion – auch die der Kritiker, die in der Causa Kunduz ein katastrophales Versagen der Bundeswehr sehen, das viel zu geringe Konsequenzen hatte.

Die letzten Einblendungen vor dem Abspann verraten, dass Oberst Klein für keine Stellungnahme zur Verfügung stand. Er wird wissen, warum. Ebenso ist zu lesen, dass die Bundeswehr es ihren Soldaten untersagte, sich gegenüber den Machern des Films zu äußern. Auch dort wird man wissen, warum. Und es zeigt gleichermaßen, welche Vorstellung die Bundeswehr so von öffentlicher Aufarbeitung hat.

Der Film verdeutlicht in aller Klarheit, was Oberst Kleins Fehlentscheidung so angerichtet hat. Doch gleichzeitig stellt man diese Person – im besten Fall ist sie als tragische Figur zu bezeichnen – sehr feinfühlig dar: als Christ, als ehrenwerten Soldaten, als Haderer, als Zögerer, der im falschen Moment meint, mit dem Hadern und dem Zögern aufhören zu müssen, als Vereinnahmten zu festgefahrener, zu einseitig analysierender Berater.

Exkulpiert ihn das? Das lässt «Eine mörderische Entscheidung» offen. Richtigerweise. Gerade dadurch wird der Film zu einer Bereicherung der Diskussion.

Das Erste zeigt «Eine mörderische Entscheidung» am Mittwoch, den 4. September um 20.15 Uhr.
03.09.2013 12:07 Uhr  •  Julian Miller  •  Quelle: Inhalt: ARD Kurz-URL: qmde.de/65893