«American Horror Story»: Die Faszination des Unheimlichen

Zum Start der zweiten Season in Deutschland, sowie zum Auftakt zu Staffel drei in den USA, wirft Quotenmeter.de einen Blick auf die preisgekrönte Horrorserie und versucht, ihre Faszination zu ergründen.

Im Spätsommer 2011 startete der US-Kabelsender FX eine besondere PR-Kampagne. Kurze, surrealistische TV-Spots kündigten eine ganz neue Fernseherfahrung an, welche dem Zuschauer bis dato nicht zuteilwurde. Dabei gaben die minimalistischen Werbeclips nur selten viel von sich preis. Mal war lediglich ein von einer Schwangerschaft gezeichneter Bauch in Großaufnahme zu sehen, dann wiederum sah man eine in Lack und Leder gehüllte Gestalt. Kommentarlos und einprägsam folgte auf derartige Sequenzen stets ein und derselbe Schriftzug, unterlegt von einer disharmonischen Melodie: «American Horror Story» prangte in auffälligen, weißen Lettern auf schwarzem Grund. Damals noch ohne Untertitel (den gab es mit „Die dunkle Seite in Dir“ lediglich im Deutschen) ließ sich so schnell mutmaßen, dass das Serienprojekt der «Glee»-Schöpfer Brad Falchuk und Ryan Murphy auf anderen Pfaden wandeln sollte, denn übliche Serienkost. Und dies, obwohl sich die Storyline aus Staffel eins noch reichlich konventionell las:

DIE DUNKLE SEITE IN DIR
Vivian (Connie Britton), Ben (Dylan McDermott) und die gemeinsame Tochter Violet Harmon (Taissa Farmiga) ziehen nach einem schweren Schicksalsschlag in eine alte Villa in Los Angeles. Vivian verlor einst ihr ungeborenes Kind, woraufhin Psychiater Ben ihr mit einer wesentlich jüngeren Studentin fremdging. Den Neuanfang scheint die Familie dringend zu gebrauchen. Die Stimmung zwischen den Erwachsenen ist eisig, doch man reißt sich zusammen – der Tochter zuliebe. Schnell lernt Vivian die Nachbarin kennen. Constance (Jessica Lange), die etwas seltsam anmutende Mutter eines noch viel seltsameren Mädchens, Adelaide, scheint sich von Anfang an auf Vivian einzuschießen und sorgt obendrein ungefragt dafür, dass Moira (Frances Conroy), die Haushaltshilfe der Vorbesitzer, ab sofort auch für die Harmons tätig ist. Violet, die sich in der Schule zur Außenseiterin „mausert”, lernt derweil Tate (Evan Peters), einen sonderbaren Nachbarsjungen kennen, der bei Violets Vater in psychiatrischer Behandlung ist, und knüpft zarte Bande mit ihm.

Mit der Zeit wird deutlich: Irgendetwas scheint mit dem Haus nicht zu stimmen. Früh kommt heraus, dass in dem alten Gebäude einstmals ein Verbrechen geschah, welches die Maklerin ihrer Kundschaft wohlweislich verschwieg. Doch auch hinter all den seltsamen Gestalten, die der Familie Harmon nach und nach über den Weg laufen, scheint ein großes, allumfassendes Geheimnis zu stecken. Vivians psychischer Zustand verschlechtert sich zusehends, Ben hat seine Patienten nicht mehr im Griff und wird von einem unheimlichen Mann verfolgt. Und eines Tages ist Vivian plötzlich schwanger – von einem Unbekannten.

Was sich nach einer klassischen Haunted-House-Geschichte anhörte, war in Wirklichkeit lediglich die Basis für ein Wirrwarr vieler obskurer Ideen und Gestalten, die aus so ziemlich jedem Subgenre, das das Horrorgenre hervorgebracht hat, zusammengepuzzelt zu sein schienen. Klassischer Gruselcharme kam dabei ebenso zum Tragen wie Elemente des Splatters, Psychohorror à la David Lynch, aber auch Dramaelemente, eine verschroben-romantische Liebesgeschichte und die Offenbarung tiefster, seelischer Abgründe. In dieser schwer zu beschreibenden Mischung eingebettet lag ein augenscheinlich recht simpler Hauptplot. Eine Familie zieht in ein Gruselhaus – und erlebt darin das nackte Grauen! Gepaart mit knarzenden Türen, wehenden Vorhängen und geheimnisvollen Schatten hätte man die Ausgangslage für knackigen 08/15-Horror nutzen können. In «American Horror Story» bekam man stattdessen unheimliche Lack-und-Leder-Spiele, unbequeme Charaktere und so viele Twists serviert, dass nur eine einzelne Hand zum Zählen der vielen Turn-Arounds irgendwann nicht mehr ausreichte.

ASYLUM
Nachdem die erste Staffel eine abgeschlossene Geschichte erzählte, öffneten die Serienschöpfer in der zweiten Season neue Tore – genauer die der einst von der katholischen Kirche erbauten Nervenheilanstalt Briarcliff Manor, angesiedelt im Jahre 1964. Hier führt die strenge Oberschwester Jude (erneut Jessica Lange, die für die brillante Verkörperung ihrer Rolle mit dem Golden Globe sowie dem Emmy ausgezeichnet wurde) ein strenges Regiment über ihre Insassen, welche hinter verschlossenen Mauern nicht nur zu Forschungszwecken des verrückten Dr. Arthur Arden (James Cromwell) herhalten müssen. Die ehrgeizige Journalistin Lana Winters (Sarah Paulson) wittert hinter der undurchdringlichen Fassade des altehrwürdigen Gebäudes eine brandheiße Enthüllungsstory, doch ehe sie es sich versieht, ist sie schon selbst Gefangene innerhalb der Einrichtung. Ein Entkommen scheint es nicht zu geben, doch Lana nutzt die Gelegenheit, und ermittelt weiter. Dabei trifft sie auf Kit Walker (Evan Peters), der des Mordes an seiner Frau beschuldigt wird und obendrein angeblich der seit langem gesuchte Serienkiller „Bloody Face“ sein soll, Schwester Mary Eunice (Lily Rabe), die sich von einem Tag auf den anderen von einer ehrfürchtigen Dienerin Schwester Judes in eine aufständische Kämpfernatur verwandelt, den Monsignore und Judes Vorgesetzter Timothy Howard (Joseph Fiennes), den es als „Mann Gottes“ offenbar auf die Gegenseite verschlagen hat, und Dr. Oliver Thredson (Zachary Quinto), der Lana anbietet, sie aus dem Gefängnis zu befreien, eigentlich jedoch ganz andere Ziele verfolgt.

Was ist «American Horror Story» eigentlich? Augenscheinlich bemühten sich die Macher darum, ausgerechnet diese elementare Frage bis zum Schluss unbeantwortet zu lassen. Von Anfang an werden neben der jeweiligen Haupthandlung unzählige, kleine Nebenplots erzählt. Sie alle haben einen festen Bezug zum thematischen Mittelpunkt, werden jedoch nicht derart konsequent vorangetrieben, wie es Serienmacher üblicherweise handhaben. Ein sich festigendes Erzählschema will «American Horror Story» partout nicht vorweisen. Mit jeder Episode werden neue Handlungsstränge in die Story eingeführt, die gut und gerne über mehrere Folgen unbeachtet bleiben, nur um sich irgendwann mit einem Knall ins Gedächtnis zurückzurufen. Dies hat sowohl einen Vor- als auch einen Nachteil:

Positiv an dieser Technik ist definitiv der Überraschungseffekt, und je länger die Zeit zwischen Einführung und Auflösung einer eingeführten Thematik liegt, desto größer ist der “Wow”-Effekt. Gleichzeitig fällt es dem Publikum dabei schwer, die Übersicht über die einzelnen Charaktere zu behalten, selbst wenn sich diese später als überaus wichtig entpuppen. Bekräftigt wird dies vor allem dadurch, dass viele Elemente einzelner Handlungsstränge gar nicht auserzählt werden. Selbst die Staffelfinals waren stets weit davon entfernt, sämtliche offene Fragen zu beantworten. Ein wenig erinnert der Stil der Serie an die Erzählstruktur typischer Werke David Lynchs, wobei «American Horror Story» in diesem Vergleich doch ein wenig greifbarer und weniger abgehoben anmutet. Trotzdem reiht sich ohne Zweifel ein Mindfuck an den anderen, der zartbesaitetes Publikum auch ohne zuviel Effekthascherei in Angst versetzen dürfte – Angst, etwas zu verpassen, und daher nicht mehr mitzukommen. Dabei gelang es der Serie von Staffel eins zu zwei, sich in dieser Hinsicht noch einmal zu steigern. Könnte man «Die dunkle Seite in Dir» gut und gern als einen "gruseligen Auftakt" bezeichnen, so ist «Asylum» die konsequente Zuspitzung sämtlicher irreführender Elemente (einschließlich Alien-Entführung und Nazi-Thematik) und stellt den Grusel in den Hintergrund. Stattdessen hebt sie das Element des Abstrusen hervor und macht dadurch die innerhalb der Anstalt allgegenwärtige Verrücktheit spürbar, die es in Staffel eins, in welcher der Schwerpunkt deutlich auf dem Grusel lag, nicht gebraucht hat.

I think it's darker. I think the whole story is darker this time. It deals on a much darker psychological level. You've got human experiments. I think in some way last season was a ghost story, and this season it really is the darker parts of the human psyche that Ryan [Murphy] is exploring.
Jessica Lange auf die frage, wie sich staffel eins und zwei unterscheiden
Doch nicht nur der unterschwellige Horror funktioniert. Ein Überfluss an verschiedenen Genremerkmalen vermischt sich in «American Horror Story» zu einem fiesen Gefühl von Unbehagen. Mit der Ahnung, ständig auf der Hut sein zu müssen, bewegt sich die Handlung konsequent inkonsequent voran und nimmt dem Zuschauer sämtliche Möglichkeiten der Orientierung und des Gefühls, sich an etwas festhalten zu können. Nicht unbeteiligt an dieser Tatsache ist gerade die Ausarbeitung der Charaktere und deren Besetzung. Dabei sticht vor allem Jessica Lange («Tootsie») hervor, die in Staffel eins die Rolle der Constance spielt und in Season zwei als gnadenlose Oberschwester Jude agiert. Sie verleiht ihren Figuren eine unangenehme Unnahbarkeit und eine Kraft, die sie ausnahmslos alle anderen Darsteller an die Wand spielen lässt. Wenn sie einen Raum betritt, ist er ausgefüllt. Wenn sie mit Inbrunst ihre Dialoge vorträgt, hängt man an ihren Lippen um ihren eindringlichen Worten zu lauschen. Gleichzeitig strahlt sie zu jedem Zeitpunkt das abgrundtief Böse aus, sodass man ihr niemals den Rücken kehren möchte und es ist ein Segen, dass man auch in Staffel drei – erneut eine vollkommen andere Geschichte mit neuen Figuren – auf die Charakterdarstellerin zurückgreift.

Neben Lange sehen sämtliche ihrer Darsteller-Kollegen ohne Zweifel blasser aus, als sie es in ihren Rollen eigentlich sind. Connie Britton («24»), Protagonistin in Staffel eins, etwa bekam erst im Laufe der 12 Folgen ihr ausgearbeitetes Profil, das ihr bereits von Anfang an gut zu Gesicht gestanden hätte. Neben ihr agierte Dylan McDermott («Practice – Die Anwälte») ebenfalls zu Beginn wenig auffällig. Bei ihm schien dieser Umstand jedoch nicht allzu tragisch, wirkte seine Rolle doch wesentlich unauffälliger angelegt, als die Brittons. Wer absolut auf dem Durchschnitt verblieb, war Taissa Farmiga («Higher Ground»), die zugegebenermaßen in «American Horror Story» ihre erste große Rolle bekam und sie, ähnlich Evan Peters («Invasion») souverän, aber nicht sonderlich herausragend spielte. Letzterer bewies in Staffel zwei der Serie schließlich, was wirklich in ihm steckt, weshalb es schien, als führe er in Season eins noch mit angezogener Handbremse.

Doch in «American Horror Story» funktionieren vor allem die an Freakshow-Figuren erinnernden Nebencharaktere. Man scheute nicht davor zurück, von der Allgemeinheit als “hässlich” wahrgenommene Menschen in die Serie einzubauen und greift auf Figuren zurück, die allem Anschein nach eine Behinderung besitzen. Diese baut man jedoch nicht zu bemitleidenswerten Figuren auf, sondern zieht hieraus den Schrecken – Schrecken des Alltags. Das funktioniert, im wahrsten Sinne des Wortes, ungeheuer gut und bricht dabei mit sämtlichen Konventionen. Die Screentime der einzelnen Darsteller spielt dabei kaum eine Rolle. Manche Figuren treten gar nur in ein, zwei Folgen auf und hinterlassen trotzdem einen mehr als bleibenden Eindruck.

Neben Story und Darstellern geht ein großer Verdienst für den unfassbaren Erfolg der Serie an sämtliche Bereiche der technischen Umsetzung. Schon der Vorspann zeigt deutlich, dass «American Horror Story» auf anderen Pfaden denn herkömmliche Horrorkost wandelt. Unruhige Schnitte, eine relativ ungenaue und unruhige Kameraführung (ohne Found-Footage-Touch!) sowie Bilder von Kulissen, die keinen geleckten Horror-Eindruck machen, sondern dreckig und unverfälscht daherkommen, fangen die schaurigen Geschichten perfekt ein und sorgen so für wohlige Gänsehaut. Hier wurde nichts auf Hochglanz getrimmt. Vielmehr zieht man den Grusel aus der ohnehin fiesen Umgebung, in der «American Horror Story» gedreht wurde.

Auch der Soundtrack versteht sich mehr als eine Ansammlung an obskuren Geräuschen denn als melodischer Score, in etwa vergleichbar mit der Musikuntermalung von Stanley Kubricks meisterlicher King-Roman-Adaption «Shining». Hierfür verantwortlich zeichnete James S. Levine, der auch schon Serien wie «Glee» oder «The Closer» musikalisch ausstattete. Unter den Drehbuchautoren der einzelnen Folgen finden sich des Weiteren Namen wie James Wong («Final Destination»), die noch unbekannte Jessica Sharzer und Tim Minear («Akte X», «Angel – Jäger der Finsternis»). Aus den unterschiedlichen Schwerpunkten, die die verschiedenen Autoren in ihren Scripten spürbar setzen, ergibt sich die bereits ausführlich besprochene Genrevielfalt, die «American Horror Story» vorweisen kann. Fraglich, ob ein Autor alleine den serientypischen Stimmungsmix innerhalb der Serie hinbekommen hätte.

COVEN
Am 9. Oktober feiert die dritte Staffel von «American Horror Story» ihre Premiere bei FX und einen Monat später wird sie auch hierzulande beim FOX Channel zu sehen sein. Wie schon bei seinen beiden Vorgänger-Staffeln besticht auch das Marketing zu «Coven» aufgrund seiner surrealistischen Optik, doch auch dadurch, schon seit Monaten immer nur häppchenweise Informationen zur Handlung preis zu geben. Die mittlerweile fast ein Dutzend Teaser offenbaren die bislang wohl düsterste Horror-Geschichte und suchten sich mit "Hexen" ein zwar schon oft gewähltes Film- und Serien-Thema aus, scheinen jedoch auch hier auf neuen Pfaden wandeln zu wollen. So soll der Schwerpunkt "Voodoo" neue, übernatürliche Akzente setzen, während an anderer Stelle gemunkelt wird, ob man mit dem Unterthema "Vampire" aktuelle, bisweilen sogar außergewöhnlich konservative Wege gehen möchte.

Im New Orleans der Gegenwart, 300 Jahre nach den Hexenprozessen von Salem, kehrt die mächtige Hexenmeisterin Fiona (Jessica Lange) zurück in ihren Heimatort, wo sich die Hexen, welche die Prozesse einst überlebten, immer neuen Angriffen ausgesetzt sehen. Sie setzt es sich zum Ziel, den Hexenzirkel vor fremden Mächten zu beschützen. Koste es, was es wolle.



Schlangen, die aus Mündern kriechen, Mischwesen aus Rind und Mensch, durchstochene Voodoo-Puppen oder schwebende Jungfrauen: Die unzähligen Teaser, die innerhalb der letzten Wochen durch sämtliche Serienforen geisterten, könnten symbolträchtiger, gleichzeitig aber auch geheimnisvoller nicht sein. Falchuk und Murphy tauchen nach ihren Ausflügen in gruselige und geisteskranke Sphären nun offenbar in reichlich mystische ab und können dabei erneut auf Teile des Ensembles aus «Die dunkle Seite in Dir» und «Asylum» bauen. Mit Sarah Paulson, Taissa Farmiga, Frances Conroy, Evan Peters und Lily Rabe, aber auch hochkarätigen Neuzugängen wie der einstigen «Misery»-Schreckgestalt Kathy Bates und «Scream 4»-Queen Emma Roberts kann «Coven» schon vorab auf Seiten der Darstellerriege punkten und macht somit deutlich: Wenn die Hexen-Meisterin ihre Schülerinnen ruft, kommen auch die Zuschauer in Scharen!

Die zweite Staffel von «American Horror Story» läuft derzeit jeden Donnerstag, um 22:50 bei sixx und diese Woche als Sonderprogrammierung auch mittwochs um 22.05 Uhr bei ProSieben.
02.10.2013 09:00 Uhr  •  Antje Wessels Kurz-URL: qmde.de/66462