360 Grad: Auch das noch.

«Wetten, dass..?» hat dank der letzten Saalwette wieder einen Skandal. Und zwar den ersten Ernstzunehmenden seit langem, meint Julian Miller.

Seit Markus Lanz' Moderationsantritt kommt «Wetten, dass..?» aus den Schlagzeilen nicht mehr raus. Aus der minutiösen Beobachtung jeder Rotation der Couch und jedes „Wows“ des Moderators ist schon lange kollektive Häme geworden und ein Journalismus, der durch das permanente Abgrasen des Themas das Thema – und damit die eigene Existenzgrundlage – am Leben erhält. Die stetige Kritik an «Wetten, dass..?» und an Markus Lanz in den letzten Monaten war häufig überzogen, oft viel zu haarspalterisch und manchmal schlicht unfair.

Nur: «Wetten, dass..?» hat auch das Talent entwickelt, sich in die Nesseln zu setzen. Und bei der letzten Ausgabe im bayerischen Augsburg, als die kollektive Häme kurz davor stand, sich mangels neuer Angriffsflächen selbst zu zerfleischen, weil das Fehlen einer substantiellen Grundlage auch dem Letzten offensichtlich erschienen wäre, tat die Show das so unglücklich wie nie zuvor: Im Rahmen einer Saalwette sollten sich die Augsburger als Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer verkleiden: „Jim sollte natürlich schwarz geschminkt sein – Schuhcreme, Kohle, was auch immer“, lautete die Anweisung.

Es ist schon erstaunlich, dass offensichtlich keinem Redaktionsmitglied vorher die damit verbundene Problemstellung auffiel – oder, die verstörendere Variante, dass etwaige aufgekommene Bedenken als Quatsch abgetan wurden, um die Augsburger Blackface-Parade trotzdem auf Sendung zu schicken.

Nun ist der Vorwurf, das ZDF wolle hier rassistische Stereotype oder Praktiken goutieren, natürlich völlig absurd. Den erhebt aber auch niemand. Was «Wetten, dass..?» am Samstagabend offenbarte, war sicherlich nicht die willentliche Propagierung kolonialrassistischer Stereotype. Es war jedoch ein erstaunlicher Mangel an kultureller Sensibilität. Das darf einen überraschen. Und das darf, nein, das muss man auch lautstark ablehnen.

Die Wahrnehmung von „Blackface“ sieht in vielen kontinentaleuropäischen Ländern freilich anders aus als in den USA. Darüber, dass Martin Sonneborn sich für seine Parodie auf Barack Obama sein Gesicht schwarz färbte, hat im deutschen Mainstream kaum einer die Nase gerümpft. Von angelsächsischen Rezipienten wurde das hingegen mit blankem Entsetzen aufgenommen.

Schon, dass bei «Saturday Night Live» vor einigen Jahren der venezolanisch-deutsch-japanisch-stämmige Comedian Fred Armisen die Parodien auf Barack Obama lieferte und dafür, wenn auch sehr zurückhaltend, einen dunkleren Teint verliehen bekam (sog. „Honeyface“, nicht „Blackface“), zog teilweise erhebliche Kritik nach sich. Und auch wenn Armisen und Showrunner Lorne Michaels diese Kritik zurückwiesen: Heute ist der Afroamerikaner Jay Pharaoh für die Obama-Parodien bei «SNL» zuständig.

In weiten Teilen Kontinentaleuropas, darunter insbesondere Deutschland, ist Blackface hingegen, nun ja, vergleichsweise alltäglich. Die schmerzlichen Erinnerungen an so etwas wie Minstrel Shows hat das kollektive deutsche Gedächtnis nicht – die Erinnerung an einschlägige Filme aus den 30er Jahren ist weitgehend verblasst. Dass es hierzulande gang und gäbe ist, einen der drei Sternsinger – getreu dem traditionellen Bild – schwarz zu schminken, ist noch heute vollkommen normal. In angelsächsischen Ländern würde dies dagegen im Mindesten als grässlicher Fauxpas aufgefasst werden.

Dass da nichts dabei ist, wenn man Weiße schwarz schminkt, dachten sich auch die Verantwortlichen des Berliner Schlosspark Theaters vor rund zwei Jahren, die für ihr Stück „Ich bin nicht Rappaport“ schlicht einen weißen Schauspieler mit schwarzer Schminke anmalten, damit der einen Afroamerikaner spielen konnte. Das sah dann so aus – und zog einen gehörigen Shitstorm nach sich, in dessen Rahmen renommierte Persönlichkeiten und Organisationen der schwarzen Community in Deutschland, sowie eine große Zahl ihrer Unterstützer, Schwarze wie Weiße, wie Trümmerfrauen Aufklärungsarbeit über die Semiotik betreiben mussten, die mit einer solchen Ikonographie eben einhergeht. Zur selben Zeit bediente sich auch das Deutsche Theater für seine Aufführung des Stückes „Unschuld“ der „Blackface“-Methode. Wer imstande ist, sich diesem Thema ergebnisoffen zu nähern, dem sei an dieser Stelle, stellvertretend für viele Texte, dieser empfohlen. Wer ihn mit wachem Verstand und offenem Herzen gelesen hat, wird zumindest einmal die Problemstellung dahinter erkannt haben, wenn Weiße sich Schuhcreme ins Gesicht schmieren, um danach Schwarze spielen/imitieren/darstellen zu können – und nicht mehr Gefahr laufen, die entsetzen Reaktionen bei Twitter, Facebook und den „klassischen“ Medien vom letzten Samstagabend als selbstgefälligen Shitstorm abzutun.

Hätte Markus Lanz vor zehn Jahren bei «Wetten, dass..?» dazu aufgerufen, die Zuschauer möchten sich doch bitte mit Schuhcreme schwarz anmalen, um sich als Jim zu verkleiden, es hätte kein Medienecho gegeben, es wäre kein Diskurs entstanden, man hätte keine Gegenstimmen gehört. Gegeben hätte es sie trotzdem – ohne eine Organisation wie die Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland e.V. oder Bühnenwatch, ohne Medien wie Twitter und Facebook, ohne eine wohlorganisierte schwarze Community, ohne lautstarke Aktivisten wären sie jedoch verhallt. Gut, dass sich das geändert hat.
20.12.2013 13:30 Uhr  •  Julian Miller Kurz-URL: qmde.de/68009