JOIZ – Das neue (alte) VIVA

Die Lücke, die der Verfall des ehemaligen Musikkanals VIVA hinterlassen hat, kann der junge Sender JOIZ derzeit überraschend gut ausfüllen und ein angenehmes Retro-Gefühl aufkommen lassen.

JOIZ Germany

  • Sendestart: 5. August 2013
  • Sitz: Berlin-Friedrichshain im Postbahnhof
  • Empfangbar über Kabel (u.a. Unitymedia, KabelBW, Kabel Deutschland, NetCologen, TeleColumbus), IPTV, Zattoo, Satellit (Astra 19,2° Ost), Livestream
  • Website: www.joiz.de
  • Facebook-Fans: 91.000 (Stand: Dez. 2013)
Am Heiligen Abend jährte sich der Start des Musiksenders VIVA zum mittlerweile zwanzigsten Mal. Als der Kanal im Jahr 1993 seinen Betrieb aufnahm, glich dies noch einer kleinen Revolution auf dem deutschen TV-Markt, denn fortan gab es nicht nur erstmals ein 24-stündiges, deutschsprachiges Musikangebot, sondern mit den VJs zudem eine ganze Reihe von neuen Idolen, Vorbildern und Trendsettern. Durch eine authentische Präsentationsweise, ungeschliffene Moderationen und einer allgegenwärtigen Unprofessionalität traf VIVA den Nerv der damaligen Jugend und entwickelte sich schnell zu einem großen Erfolg sowie zu einem zentralen Element der damaligen Jugendkultur.

20 Jahre später ist VIVA längst zu einem Schatten seiner selbst verkommen; kreativ und finanziell auf einige rudimentäre Elemente eingedampft und zur Abspielstation von abgegriffener Lizenzware degradiert worden. Der vergangene Geburtstag war damit eigentlich kein Grund zum Feiern. Sicherlich schwingen bei solchen Äußerungen stets romantische Verklärungen der guten alten Zeit wie auch Erinnerungen an eine eigene, unbeschwertere Jugend mit. Gewiss hat sich das klassische Musikfernsehen außerdem in Zeiten von allzeit verfügbaren Streaming-Portalen längst überlebt, und doch lässt der schrittweise Rückzug von VIVA eine immer größer werdende Lücke in der deutschen Fernsehlandschaft zurück.

Seit August 2013 wird diese nun jedoch in bemerkenswerter Weise durch den deutschen Ableger des Schweizer Fernsehsenders JOIZ geschlossen. In dessen Programm erkennt man viele typische Merkmale von früher wieder. Anstatt bei «Interaktiv» treffen sich die aktuell erfolgreichen Musikkünstler nun im «Living Room». «NOIZ» nimmt den Platz der früheren «VIVA News» ein und die «VIVA Charts» finden ihr Pendant in der Show «Coffee & Charts», nur dass dort nicht die Media Control-Ergebnisse, sondern die aktuellen iTunes-Hitparaden heruntergezählt werden. JOIZ-Geschäftsführer Carsten Kollmus distanziert sich zwar von derartigen Vergleichen gegenüber Quotenmeter.de und macht deutlich: „JOIZ ist kein Musiksender!“, trotzdem sind die Parallelen allzu offensichtlich. Schon allein dadurch, dass man mit der Wunschsendung «My JOIZ», dem erwähnten Countdown «Coffee & Charts» sowie den Reihen «TGIF» und «JOIZ in Concert» über umfangreiche Musikstrecken verfügt.

Es ist aber gar nicht der relativ hohe Musikanteil der den Sender so reizvoll und zum neuen (alten) VIVA macht, als vielmehr das nachmittägliche Live-Programm. Etwa wenn die Moderatoren von «NOIZ» über das jüngste Skandaloutfit von Miley Cyrus lästern oder wenn im «Living Room» Nachwuchsstars auf die belanglosen Fragen von Zuschauern antworten müssen. Insbesondere das sogenannte „Live-Talk-Musik-Format“ «Living Room» ähnelt mit seiner zentralen Couch, dem überschaubaren Studiopublikum und einer improvisierten Bühne stark dem ehemaligen VIVA-Flagschiff «Interaktiv».

Unterstützt wird dieser Eindruck ebenso durch die Moderatoren - nun Hosts genannt - die noch jung, unverbraucht und zuweilen charmant unbeholfen wirken. Sie sind mittlerweile zwar keine Girlies oder Grunger mehr, sondern typische Berliner Medien-Hippster, spiegeln aber erneut treffsicher den Look ihrer Zielgruppe wider. Es macht einfach Spaß, sie bei der Arbeit zu beobachten, denn offenbar verschwimmen bei ihnen genauso die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem bzw. zwischen Hobby und Pflicht. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern verfügen die meisten allerdings über ein zumindest teilweise absolviertes Studium, was den Beiträgen und Wortmeldungen oft ein höheres Niveau verleiht. Dadurch werden die besprochenen Inhalte nicht ausschließlich oberflächlich angekratzt. Insbesondere im Rahmen des täglichen Magazins «JOIZone» erlaubt sich das Team auch gesellschaftlich relevante Probleme ausführlich und tiefgehend zu behandeln und schreckt sogar vor politischen Stoffen nicht zurück.

Zugleich werden solche Akzente mit seichteren Geschichten abstrus gemischt. So ist es möglich, dass erst über den Syrienkrieg gesprochen und direkt im Anschluss über ein Katzenvideo gelacht wird. Ergänzt wird diese unkonventionelle Umsetzung dadurch, dass viele Live-Shows direkt aus den Redaktionsräumen gesendet werden, bei denen ständig Menschen durchs Bild laufen und den Ablauf stören. JOIZ ist eben kein perfektes Hochglanzfernsehen. In einer Zeit, in der sogar vermeintliche TV-Anarchisten wie Jan Böhmermann oder Joko und Klaas in extrem zusammengeschnittenen Voraufzeichnungen zu sehen sind, bildet JOIZ wie damals VIVA die wohltuende Ausnahme.

Für Carsten Kollmus ist es hingegen die Einbindung des Internets, welche die besondere Stärke seines Senders bildet: „Wir nutzen erstmals konsequent die ganze Bandbreite von Social Communities wie Facebook, Twitter, Instagram und Skype für einen TV-Sender.“ Tatsächlich aber erfolgt die Einbindung dieser Plattformen eher nachrangig und beschränkt sich meist auf das Vorlesen von ausgewählten Kommentaren. Durch einen im Hintergrund stets sichtbaren Bildschirm, auf dem ein nicht endender Strom an Kommentaren und Posts läuft, wird das interaktive Fernsehen nicht neu erfunden. Letztlich unterscheidet sich dieser Screen nämlich kaum vom früheren VIVA-Faxgerät, aus dem ebenfalls unentwegt Kommentare und Grüße quollen. Eine wirkliche Interaktion findet also nur äußerst selten statt, weil sich eine persönliche Rückkoppelung für ein Massenmedium, wie es das Fernsehen eines ist, nicht eignet. Das Abfilmen von Facebook-Seiten oder das Eintippen von Antwort-Kommentaren ist schließlich wenig unterhaltsam. Insofern tut es dem Fernsehprogramm nur gut, dass dort der Slogan „Dein Social-TV“ nicht allzu konsequent umgesetzt wird. Das kann und soll eher auf den entsprechenden Webseiten erfolgen.

Selbst wenn dies die JOIZ-Macher bestreiten werden, so basiert das selbsternannte innovative Konzept des Senders damit auf einer Programmform, die bereits mindestens zwei Jahrzehnte alt ist. Das moderne Social-TV entpuppt sich folglich als gutgemachtes Retro-Programm. Noch fehlt es an etwas Mut zu mehr Ecken und Kanten, denn die Hosts sind allesamt nett und die Inhalte allzu brav. Etwas mehr provozieren darf und sollte man als Jugendsender schon. Ansonsten ist den Machern für das neue Jahr nur zu wünschen, dass sie sich ihre Ungeschliffenheit, Dynamik und Lust beibehalten können. Deutschland braucht dringend neue Räume für Unvollkommenheit und Freude. Viel zu selten sind in deutschen Produktionen Menschen zu sehen, deren Arbeit ihnen wirklich Spaß zu machen scheint.
27.12.2013 10:05 Uhr  •  Christian Richter Kurz-URL: qmde.de/68132