Tiefpunkte gab es im TV-Jahr 2013 genügend, aber einige Formate stachen wie immer besonders negativ hervor. Über zweifelhafte RTL-«Helden», ein sonderbares «Big Brother» mit Promis und einen verlorenen Lanz bei «Wetten, dass..?».
«Patchwork Family» (Sat.1)
Oft genug ist Sat.1 in den vergangenen Jahren mit Serienexperimenten am Vorabend baden gegangen – im Januar 2013 sollte trotzdem der nächste Versuch folgen. Diesmal aber als Pseudo-Dokusoap, oder im euphemistischen Fernsehsprech genannt: Scripted Reality. Im Rückblick ist vor allem die Dreistigkeit zu tadeln, mit der sich das Format bei anderen TV-Sendungen bediente: Das Storytelling mit drei Familien erinnerte stark an «Modern Family», ebenso die Charaktere – mit dem Unterschied, dass «Modern Family» als echte Comedy abstrus sein darf, «Patchwork Family» allerdings unfreiwillig komisch wirkte. Noch ein paar erfolgreiche Elemente aus «Berlin – Tag & Nacht» sowie die mangelnden schauspielerischen Fähigkeiten von Darstellern aus RTL-Nachmittagsrealitys abgeguckt, schon hatte Sat.1 seine neue Vorabendhoffnung. Wie verwunderlich, dass die Zuschauer dann doch nicht einschalteten…
«Die Pool-Champions» (RTL)
Rekrutiert aus allerlei anderen RTL-Formaten, kämpften zehn Halbpromis um die besten Fähigkeiten im Turmspringen oder Synchronschwimmen. Und stellten sich dabei mehr schlecht als recht an – jedenfalls so langweilig, dass kaum jemand zuschauen wollte. Nicht einmal die Fans des Trash-TV oder die „hate-watcher“ wurden bei den «Pool-Champions» froh, selbst wenn das Potenzial durchaus vorhanden war. Doch RTL versuchte aus dem Format eine bisweilen ernste Wettkampf-Veranstaltung zu machen und hoffte darauf, dass «Let’s Dance»-Fans zuschauen würden. Spaß und Selbstironie suchte man vergeblich, von Wasserspaß war wenig zu spüren – auch weil RTL das Sommer-Event trotz Freibadsaison in einer Schwimmhalle stattfinden ließ. Da macht es das jährlich gegen Ende des Jahres stattfindende «TV Total Turmspringen» besser.
«Wetten, dass..?» Sommer-Special (ZDF)
Im Juni hatte Markus Lanz nach der peinlichen Sommer-Ausgabe von «Wetten, dass..?» behauptet, sie hätte ihm Spaß gemacht. Vor wenigen Wochen dann sein Geständnis: „Am liebsten wäre ich aus der Arena gerannt.“ Angekommen ist Lanz noch längst nicht im großen Showgiganten, und man hatte besonders bei dieser Ausgabe den Eindruck, dass die Entertainer-Qualitäten fehlen, das Gespür für den Moment. Oder die Ehrfurcht vor dem großen Showklassiker, der mit Proll-Promis wie den Geissens oder Mickie Krause besudelt wurde. Symptomatisch für die verkorkste Sendung: die Lanz-Challenge, in der sich eine Kandidatin den Sieg beim Limbo ‚ermogelte‘ und dafür vom Publikum ausgebuht wurde. Andere Showmoderatoren hätten in dieser spontanen Situation glänzen, ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen können. Markus Lanz wirkte stattdessen verloren in dieser aufgeheizten Atmosphäre.
«Promi Big Brother» (Sat.1)
Eigentlich sollte es das Comeback des großen Reality-Klassikers werden – und für Sat.1 die Möglichkeit, ein erfolgreiches Franchise für die Zukunft zu etablieren. Zunächst schien man alles richtig gemacht zu haben: Mit David Hasselhoff und Jenny Elvers-Elbertzhagen war man so prominent besetzt wie das RTL-Dschungelcamp seit Jahren nicht mehr. Nur nützte all dies wenig, wenn das eigentlich Spannende am «Big Brother»-Konzept verwässert wird: Sat.1 machte aus der Show ein zweites, harmloseres Dschungelcamp, das mit dem Reality-Original nichts mehr zu tun hatte. Im Haus fehlte es an Spannung, von Taktik und Strategie ganz zu schweigen. Statt ausführlicher Tageszusammenfassungen aus dem Haus versuchte man, in Oliver Pocher und Cindy aus Marzahn ein Moderatorenduo nach Dschungel-Vorbild aufzubauen. Die durchaus große «Big Brother»-Fanbase in Deutschland vergraulte Sat.1 damit, die Gelegenheitszuschauer schalteten nicht allzu zahlreich ein. Eine zweite Staffel 2014 steht in den Sternen.
«Secret Eaters» (Sat.1)
Am 1. Juni 2013 begann Edward Snowden damit, Dokumente der NSA zu veröffentlichen und der Welt zu zeigen, wie Bürger überwacht werden. Zwölf Tage später konnten Sat.1-Zuschauer bei «Secret Eaters» beobachten, wie Familien unter ständiger Überwachung – per Kameras im Haus und durch Privatdetektive draußen – dazu erzogen werden, gesünder und weniger zu essen. Es war ein perfider Zufall, dass dieses Reality-Format mit solch fragwürdigen Methoden genau zu der Zeit ausgestrahlt wurde, als die NSA-Affäre begann – freilich hat beides wenig miteinander zu tun, außer einer Gemeinsamkeit des ethischen Grundverständnisses: Der Staat findet es legal und legitim, weltweit Menschen so weit auszuspähen wie möglich. Und Sender finden es in Ordnung, Familien – teilweise ohne deren Kenntnis – jede Sekunde zu beobachten. Beides dient der Informationssammlung, beides dient der Umerziehung des Bürgers, im Falle von «Secret Eaters» zu einem gesünderen, normalgewichtigen Menschen. Dass es offenbar solche Überwachungsmethoden braucht, um eine Abnehm-Sendung reizvoll zu machen, ist traurig.
Auf der nächsten Seite: Wenn sich Reality-Sternchen in Afrika verirren, dumme Schönheiten auf Physik-Nerds treffen und RTL den schlechtesten eigenproduzierten Film aller Zeiten ausstrahlt.
«Beauty & The Nerd» (ProSieben)
Sucht man im Internet nach dem Sendungstitel, schlägt Google den Zusatz „fake“ vor. Kein Wunder, schließlich wirkt die Kuppel-Reality «Beauty & The Nerd» so konstruiert und überzeichnet, dass man am Echtheitsgehalt zweifeln könnte. Traumfrauen mit Traummaßen treffen auf Nerds mit Retro-Brillen, die sich durch zweifelhafte Fähigkeiten auszeichnen: klingonisch sprechen oder sich als Elfe verkleiden zum Beispiel. Und die sogenannten Beautys sind selbstverständlich so unterbelichtet, dass sie ihren IQ unter dem Sofa suchen müssen. Kurz: Das Format – übrigens vor sechs Jahren mit ähnlichem Konzept als «Das Model und der Freak» ausgestrahlt – strotzt voller Extreme und Klischees, dass man es nicht ernst nehmen konnte. Wenn man es überhaupt wahrnahm. Denn selten fühlte sich eine vermeintliche Realitysendung so überflüssig an wie diese.
«Wild Girls – Auf High Heels durch Afrika» (RTL) / «Reality Queens auf Safari» (ProSieben)
Konzept wie Kandidaten waren in diesen Sendungen so austauschbar, dass man es als Zuschauer schwer genug hatte, die «Wild Girls» von den «Reality Queens» (Foto) zu unterscheiden. Beide Shows schickten D-Promis in die Wüste, und beide zeichneten sich dadurch aus, als Wurmfortsatz des mittlerweile völlig selbstreferentiellen Reality-Genres zu fungieren: Denn fast ausschließlich waren die teilnehmenden Möchtegern-Promis selbst Kandidaten in früheren Reality- und Castingshows – ohne diese gäbe es also auch die unsägliche Afrika-Spielerei nicht. Dass beide Sendungen in Ländern spielten, die noch vor einem Jahrhundert zu den deutschen Kolonien gehörten, machte ihre Existenz noch geschmackloser. Gut, dass beide mit schlechten Einschaltquoten abgestraft wurden – Afrika muss so schnell nicht mehr befürchten, dass deutsche Reality-Sternchen seine Naturvölker belästigen.
«Die Zuschauer – Ich schaffe es nicht allein» (RTL)
Viele Menschen treffen bessere Entscheidungen als ein Einzelner – nach diesem verblüffend erfolgreichen Prinzip der „Weisheit der Vielen“ schuf RTL eine Help-Doku: Ein Mensch will eine vermeintlich lebensverändernde Entscheidung treffen und holt sich dabei die Hilfe von 50 fremden Menschen, die ihn und seinen Alltag eine Woche lang begleiten. Am Ende entscheidet das Kollektiv, welche Alternative die beste für den Zweifler ist. Das Problem an der RTL-Sendung war nur, dass die zu fällende Entscheidung keineswegs lebenseinschneidend schien: Ein Mann stand vor der Frage, ob er sich als Schlagersänger auf Mallorca versuchen soll. Hier hätte RTL ausnahmsweise mal besser aus dem Ausland kopieren sollen. Denn beim Original «The Audience» stehen die Teilnehmer wirklich vor existenziellen Entscheidungen: Ob ein Farmer, der das Land von seinen Onkeln geerbt hat, den Familienbetrieb weiterführen oder aufgeben soll, um in die Stadt zu ziehen. Ob eine behinderte Single-Frau ein Kind adoptieren soll oder ob ein erfolgreiches Glamour-Model die eigene Karriere aufgeben soll, weil sie sich unglücklich fühlt. Solche Entscheidungen machen spannende Sendungen. Und nicht die Frage, ob man es mal als Schlagersänger in der Ferne probiert.
«Helden» (RTL)
Spiegel Online schrieb, dass leider nur eine einzige Szene im RTL-Film «Helden» sehenswert sei: Die, in der ein schwarzes Loch Yvonne Catterfeld verschluckt. Vielleicht hätten sich die Zuschauer gewünscht, dass gleich ein paar andere Schauspieler mitgerissen werden – vorhanden waren genug: Heiner Lauterbach, Armin Rohde, Christiane Paul, Hannes Jaenicke, Christine Neubauer. Sie alle gaben sich bei «Helden» eine äußerst zweifelhafte Ehre. Denn der Film ging in die TV-Geschichte ein als millionenschweres Lowlight, das vor hirnrissigen Dialogen und Geschichten nur so strotzt und den Fremdschäm-Faktor hochtreibt: zum Beispiel bei der einseitig-peinlichen Darstellung ausländischer Bürger und dem tatsächlich ernst gemeinten Pathos, das man vermitteln wollte. Ein Gutes hat «Helden» aber: Man hat «Hai-Allarm auf Mallorca» als schlechtesten RTL-Film abgelöst. Offenbar haben manche Fernsehmacher auch im Jahr 2013 noch nicht viel dazugelernt.