Mit «Dallas Buyers Club» ercheint in Deutschland diese Woche einer der großen Favoriten auf den Oscar 2014.
Filmfacts «Dallas Buyers Club»
- Kinostart: 06.02.14
- Genre: Drama/Biopic
- Laufzeit: 117 Min.
- FSK: 12
- Drehbuch: Craig Borten, Melisa Wallack
- Kamera: Yves Bélanger
- Regie: Jean-Marc Vallée
- Darsteller: Matthew McConaughey, Jennifer Garner, Jared Leto, Denis O'Hare, Steve Zahn
- OT: Dallas Buyers Club (USA 2013)
Zwanzig lange Jahre brauchte Drehbuchautor Craig Borton dafür, um sein Anfang der Neunziger Jahre geführtes Interview mit Ron Woodroof in ein ansprechendes Skript zu kleiden. Heute, im Jahre 2014, schafft es die Geschichte um den texanischen Cowboy und Lebemann, der 1985 an Aids erkrankte und 1992 an den Folgen starb, endlich auf die internationalen Leinwände. Das starbesetzte Drama behandelt ein Thema, das nach Filmen wie «Philadelphia», «Engel in Amerika» und «Zero Patience» schon von allen Seiten beleuchtet und auserzählt schien. Doch «C.R.A.Z.Y.»-Regisseur Jean-Marc Vallée beweist mit «Dallas Buyers Club» eindrucksvoll, von welch brisanter Aktualität die Themen HIV und AIDS, aber auch skrupelloser Schwulenhass sowie die Übermacht der Pharmaindustrie heute noch immer sind. Ihm zur Seite stehen mit dem einst für seine seichten Rollen belächelten Matthew McConaughey («Der Mandant», «Magic Mike») und dem Schauspieler und Musiker Jared Leto («Requiem for a Dream») zwei Schwergewichte im Hollywood-Business, die in «Dallas Buyers Club» nicht weniger als die beste Schauspielleistung ihres Lebens abliefern.
Dallas im Jahre 1985: Als Elektriker und Hobby-Cowboy schlägt sich der gesundheitlich angeschlagene Redneck Ron Woodroof (Matthew McConaughey) durchs Leben. Aus seiner homophoben Einstellung und der Lust auf schnellen Sex macht er keinen Hehl, bis er nach einem Arbeitsunfall zusammenbricht und im Krankenhaus die Diagnose AIDS erhält. Angesteckt mit der „Schwulenkrankheit“ geben ihm die Ärzte noch dreißig Tage Zeit, um die Formalitäten zu klären und sich auf den nahenden Tod vorzubereiten. Doch Ron will sein Schicksal nicht annehmen. Als er von seinen einstigen Freunden immer weiter ausgegrenzt und als Schwuler beschimpft wird, erfährt er von dem in den USA noch nicht zugelassenen Medikament AZT. Im Ausland besorgt er sich die Pillen, muss nach der Einnahme jedoch schon bald feststellen, dass diese seinen Zustand nur noch verschlimmern. Nachdem er im Krankenhaus den ebenfalls an AIDS erkrankten Transsexuellen Rayon (Jared Leto) kennenlernt, begibt sich Ron auf eine Odyssee rund um den Globus, immer mit dem Ziel, endlich auf ein wirksames Anti-AIDS-Medikament zu stoßen. Bei einem alternativen Mediziner in Mexiko wird er schnell fündig. Er schmuggelt diverse Arzneien in die Staaten und startet ein fluorierendes Geschäft: Für einen monatlichen Beitrag vertickt er die Medikamente „kostenlos“ an andere Patienten. Doch je erfolgreicher die in einer rechtlichen Grauzone befindlichen Machenschaften werden, desto mehr rufen sie die Arzneimittelkonzerne auf den Plan. Denn die lassen sich ihre potentielle Kundschaft gar nicht gerne vor der Nase wegschnappen.
Schon während der Dreharbeiten sorgte das emotionale Drama für mächtigen Wirbel in Hollywood. So sah sich das Ensemble nicht etwa mit einer derart schwulenfeindlichen Haltung der Filmstudios konfrontiert wie zuletzt «Liberace», stattdessen wurden die bis zur Selbstaufgabe dargebrachten Aufopferungen der Hauptdarsteller aufs Schärfste kritisiert. So hungerte sich Matthew McConaughey rund 25 Kilogramm herunter, um seine Figur des schwerkranken Cowboys glaubhaft und ohne allzu viel Nachhilfe von Make-Up und Computer darzustellen. Gleiches gilt für Leto. Doch so viel Aufopferungsbereitschaft hat auch ihr Gutes: Wie eingangs erwähnt leben die beiden Darsteller buchstäblich ihre Rollen. Sie leiden, lieben, vermitteln Hoffnung und lassen das Publikum unmittelbar an ihrer kaputten Gefühlswelt teilhaben. Die Emotionen sind echt, ungeschönt und von solch einer Intensität, dass man sich vor allem bei McConaughey bisweilen die Frage stellt, weshalb dieser beachtliche Mime sein Können so lange unter den Scheffel stellte und sich vornehmlich seichter Komödienkost wie «Zum Ausziehen verführt» oder «Der Womanizer» hingab. Der Golden Globe als bester Hauptdarsteller kam nicht von Ungefähr und der Academy Award scheint für ihn in greifbarer Nähe.
Jared Leto, der seit Jahren zwischen der Musikwelt, als Frontsänger der Alternative-Band Thirty Seconds to Mars, und der Schauspielerei hin- und herwandert, gelingt ein ähnliches, wenn nicht noch stärkeres Stück Darstellerkunst. So verkörpert er den transsexuellen Rayon nah an der Selbstaufgabe, kombiniert die Zerbrechlichkeit seiner Figur jedoch immer wieder mit der richtigen Menge Optimismus und sorgt dafür, dass sein Charakter nie zum stereotypen Abziehbild einer Klischee-Transe verkommt. Die Kämpfernatur, die lediglich körperlich nicht mehr in der Lage scheint, gegen den US-Amerikanischen Rechtsstaat aufzubegehren, nimmt man Leto ebenso ab, wie das im letzten Drittel des Films zusammenbrechende Häuflein Elend, das – konfrontiert mit dem nahenden Sterben – von stiller Todesangst ist. Die Kombination dieser beiden Extreme fasst der 42-jährige Schauspieler so gekonnt in einer Figur zusammen, dass er die Szenerie bei jedem Auftreten seinerseits an sich reißt. Auch er darf zurecht auf einen Oscar hoffen und hat den goldenen Globus für die beste Nebenrolle bereits in der Tasche.
Auf der Nebendarstellerebene ist es vor allem Jennifer Garner («Juno», «Valentinstag»), die sich von ihren beiden männlichen Kollegen nicht gänzlich an die Wand spielen lässt. Die durch und durch sympathische Schauspielerin und Ben-Affleck-Gattin verkörpert eine toughe Ärztin, die sich kaum gegen ihre störrischen Patienten durchzusetzen weiß. Den glaubhaften Gesinnungswandel von der blind auf die Pharmaindustrie vertrauenden Medizinerin, hin zur hinterfragenden, sogar unbequemen Skeptikerin, vollzieht Garner glaubwürdig, schlüssig und lässt ihre Figur damit nachvollziehbar agieren. Im Zusammenspiel mit Dennis O’Hare («J. Edgar», «Good Wife») als strenger Oberarzt voll von bitterem Kalkül sind die scharfen Wortgefechte beider Darsteller von entscheidender Dynamik und halten dem Publikum mehr als einmal vor Augen, wie undurchsichtig die Machenschaften großer Pharmakonzerne wirklich sind.
Regisseur Jean-Marc Vallée verlässt sich inszenatorisch auf die pure Geschichte und greift dabei kaum auf dramaturgische Mittel zurück, welche die Story in ihrer Reinform verfälschen könnten. Auf die Überhöhung durch filmische Stilmittel wie einen auffälligen Soundtrack, besondere Kameraeinstellungen oder eine klar erkennbare Dramaturgie mit Einführung, Höhepunkt und einem Happy oder Sad End verzichtet er gänzlich. Ähnlich Denis Villeneuves Entführungsdramas «Prisoners» oder die dem Neo-Realismus des jungen 21. Jahrhunderts angehörenden Filmbeiträge wie «Winter’s Bone» und «L.A. Crash» mutet auch Vallées Werk stellenweise fast dokumentarisch an und bemüht sich zu keinem Zeitpunkt, Emotionen zu provozieren. Für diese sind einzig und allein die starken Darsteller zuständig, was «Dallas Buyers Club» zu einem einzigartigen Schauspielerfilm macht.
Fazit: «Dallas Buyers Club» ist intensives Dramakino abseits des Hollywood-Mainstream. Während das qualitativ hochwertige Drehbuch und die phänomenalen Schauspielleistungen hier im Mittelpunkt stehen, gibt Jean-Marc Vallée nicht viel auf inszenatorische Rafinesse. Das muss er jedoch auch gar nicht. Die Geschichte trägt sich von allein und zeigt auf, dass guter Stoff am stärksten zu Herzen geht, wenn er pur erzählt wird.
«Dallas Buyers Club» ist ab dem 6. Februar bundesweit in den Kinos zu sehen.