Am Abend wird im Ersten der deutsche Teilnehmer beim 59. «Eurovision Song Contest» gewählt. Der NDR steht nach dem Cascada-Desaster gehörig unter Druck - und kann eigentlich doch nur gewinnen.
Sie waren international erfolgreich, sangen einen vermeintlich eingängigen und massentauglichen Song und hatten mit Natalie Horler sogar eine Frontsängerin zu bieten, die zumindest fürs Dance-Genre stimmlich stark daherkam. Doch all diesen vermeintlichen Qualitäten und den sehr guten Prognosen zum Trotz belegten Cascada für Deutschland beim vergangenen «Eurovision Song Contest» nur einen peinlichen 21. Platz. Damit setzte sich die niederschmetternde Tendenz für den Norddeutschen Rundfunk fort, der in diesem Jahrtausend ohne Mithilfe von Stefan Raab nur ein einziges Mal (Michelle belegte im Jahr 2002 mit "Wer Liebe lebt" Position acht) die Top Ten erreichte, während dies mit Unterstützung des Entertainers gleich fünf Mal gelang. In fünf Anläufen.
Zu geringes Engagement war dem «Unser Song für Malmö»-Team dabei gewiss nicht vorzuwerfen, immerhin schickte man gleich zwölf zum Teil sehr namhafte Acts ins Rennen und versuchte, eine möglichst große Bandbreite an Entscheidungsträgern zu schaffen: Diverse öffentlich-rechtliche Radiostationen, das anrufende Publikum und eine vermeintliche Fachjury bestimmten 2013 zu jeweils einem Drittel über den deutschen Teilnehmer. Dass dabei schlussendlich der kleinste gemeinsame musikalische Nenner gewählt wurde, überraschte kaum und war vermutlich sogar das Ziel dieses aufgeblasenen Konzepts. Wenn dieser kleinste musikalische Nenner dann aber derart fader Einheitsbrei wie "Glorious" ist, der sich völlig offensichtlich am Siegerlied des Vorjahres orientiert, darf man sich auch über ein Desaster nicht wundern.
Teilnehmer des Vorentscheids
- Das Gezeichnete Ich
- Madeline Juno
- MarieMarie
- Oceana
- Santiano
- The Baseballs
- Unheilig
- Elaiza
Auf ähnlich konsensuale Maßnahmen zwischen verschiedenen Konsumentengruppen verzichtet man bei
«Unser Song für Dänemark» und setzt stattdessen voll und ganz auf die Macht des anrufenden Publikums. Insgesamt acht Künstler (siehe Infobox) treten in der Kölner Lanxess Arena gegeneinander an, jeder musste im Vorfeld zwei Songs einreichen. In den folgenden drei Ausscheidungsrunden wird unser Sieger-Act selektiert:
1. Runde: Jeder Teilnehmer präsentiert einen seiner beiden Songs. Das Publikum wählt vier weiter, die restlichen Acts dürfen ihre Alternative nicht mehr präsentieren.
2. Runde: Die Halbfinalisten singen ihr zweites Lied. In einer weiteren Abstimmung entscheidet das Publikum, von welchem der acht Songs beider Runden es am liebsten beim «ESC» repräsentiert werden möchte.
3. Runde: Im Finale stehen sich dann die beiden Titel gegenüber, die am meisten Stimmen erhalten haben. Hier entscheidet der Zuschauer endgültig über seinen Siegertitel.
Ein durchaus straffes Programm also, das der öffentlich-rechtliche Sender in gerade einmal zwei Stunden durchziehen möchte. Doch immerhin liegt der Fokus nun deutlich stärker darauf, den stärksten Song im Wettbewerb zu finden - wenngleich es bedauerlich ist, dass gleich vier von 16 Songs gar nicht erst ihren Weg in die Show finden werden. An einem elementaren Problem droht jedoch simultan zum Vorjahr auch dieser Vorentscheid zu scheitern: Die unterschiedliche Bekanntheit der Künstler. Auf der einen Seite steht mit Unheilig eine der erfolgreichsten Bands der vergangenen Jahre, auf der anderen Seite sind mit MarieMarie und Elaiza zwei Künstler dabei, die bislang kaum eine Fanbase hinter sich versammeln konnten.
Man mag diesem Argument entgegenhalten, dass der Zuschauer alleine über sein Schicksal entscheidet und unter dem zu erwartenden Millionenpublikum gewiss nicht nur Unheilig-Fans sind. Doch letztlich sind es ebendiese Fans, die zu Großteilen bereit sind, Geld für einen Anruf auszugeben, um ihren Liebling zu unterstützen. Daran scheiterte schon der «Bundesvision Song Contest» mehrmals, den in seiner neunjährigen Geschichte noch nie ein kompletter Underdog gewinnen konnte. Und auch beim deutschen Vorentscheid gibt es ein noch gar nicht so altes Beispiel für einen letztlich schwächenden Promi-Bonus: Im Jahr 2008 setzten sich die No Angels gegen die weitgehend unbekannte Carolin Fortenbacher durch, obwohl letztere das «Popstars»-Erzeugnis unter großem Publikumsbeifall förmlich an die Wand sang. Am Ende stand ein geteilter letzter Platz sowie die grandiose Peinlichkeit des NDR, im Folgejahr selbst über den Teilnehmer (mit
Alex Swings, Oscar Sings übrigens ein weiterer grandioser Flop) zu bestimmen.
Ob es diesmal wieder so weit kommen wird, ja ob bei Unheilig der Bekanntheits-Bonus überhaupt greifen wird, steht noch in den Sternen. Musikalisch jedenfalls weiß auf Grundlage der bislang bekannten Songs die diesjährige Show gewiss mehr zu überzeugen. Die Auswahl ist groß und vor allem haben die meisten Künstler doch ausreichend Erfahrung, dass von allzu grauenerregenden tonalen Aussetzern nicht auszugehen ist. Bei «Unser Song für Malmö» präsentierten sich nämlich gleich mehrere Künstler gesanglich derart mies, dass man sie alleine aus diesem Grund schon nicht ohne schlechtes Gewissen vor einem internationalen Millionenpublikum hätte auftreten lassen können. Ob Santiano, Madeline Juno, The Baseballs, Das Gezeichnete Ich oder Oceana: All diese Personen bzw. Gruppen sind in der Musikbranche schon ausreichend etabliert, dass man ihnen einen fehlerfreien Vortrag ohne Bauchschmerzen zutrauen kann. Und Elaiza hatten sich im Zuge eines Live-Clubkonzerts für den Wettbewerb qualifiziert.
Alles in allem wirkt das Konzept von «Unser Song für Dänemark» doch etwas durchdachter als jenes aus dem Vorjahr und untergräbt nicht schon im Vorfeld sämtliche Hoffnungen darauf, auch ohne Mithilfe von Stefan Raab mal wieder einen Erfolg auf europäischer Bühne zu erleben. Unheilig gehen als große Favoriten ins Rennen, doch auch der zuletzt sehr erfolgreichen Band Santiano werden gute Chancen auf ein Ticket nach Dänemark eingeräumt. Doch wen auch immer Moderatorin Barbara Schöneberger letztlich als Sieger präsentieren wird: Die Chancen auf ein besseres Abschneiden als Platz 21 stehen nicht allzu schlecht. Manchmal muss man eben seine Ansprüche auch einfach nur ausreichend weit runterschrauben, um positiv überrascht zu werden.
PS: Sollte Sie interessieren, wofür der Autor heute die Daumen halten wird: Er ist von "The Fiddler On The Deck" (Santiano) und "Cotton Candy Hurricane" (MarieMarie) sehr angetan. Allerdings konnte er bislang nur 13 von 16 Titeln hören - jeweils einer von Oceana, Unheilig und Santiano stehen noch aus.