Der Regisseur von «Juno» und «Up in the Air» hat es wieder getan: In «Labor Day» stellt der Filmemacher Nicholas Stoller einmal mehr sein Gespür für Charakterzeichnung und Emotionen unter Beweis.
Filmfacts: «Labor Day»
- Kinostart: 8. Mai 2014
- Genre: Drama
- Laufzeit: 111 Min.
- FSK: 6
- Kamera: Eric Steelberg
- Musik: Rolfe Kent
- Skript und Regie: Jason Reitman
- Darsteller: Kate Winslet, Josh Brolin, Gattlin Griffith, Tobey Maguire, J.K. Simmons
- OT: Labor Day (USA 2013)
Durch die Inszenierungen seiner vier großen Werke «Thank you for Smoking», «Juno», «Up in the Air» und «Young Adult» gilt emotionale Komplexität als das große Markenzeichen des kanadischen Filmemachers Jason Reitman. Zig Award-Nominierungen und ein konstant positiver Kritiker-Tenor resultieren aus der genauen Beobachtungsgabe und dem Gespür für Figurenzeichnung, das Reitman in jeder seiner Produktionen an den Tag legt. Gleichzeitig scheint der Filmemacher eine Schwäche für Außenseiter oder vom Schicksal gebeutelte Charaktere zu haben. Ob die ungewollt schwangere Ellen Page in «Juno», die niemals erwachsen werden wollende und zugleich hoffnungslos verliebte Charlize Theron in «Young Adult» oder der einsame Meilensammler George Clooney in «Up in the Air»: Reitmanns Werke eint der Drang, seine Figuren in eine bessere Welt zu manövrieren. Sie von vornherein in eine solche zu entlassen, kommt dem Oscar-nominierten Regisseur und Produzenten gar nicht erst in den Sinn. Dabei ist der Stoff seiner Komödien nur allzu oft von dramatischer Natur. Schweren Inhalt federleicht zu inszenieren, ist Kunst; und Jason Reitmann damit einer der letzten verbliebenden Künstler, die der Erfolg noch nicht in die schematischen Hollywood-Fahrwässer getrieben hat.
Mit «Labor Day» – zu Deutsch: Tag der Arbeit – bewegt sich Reitman nun ein gutes Stück weg von seinem bislang steten leicht humorigen Tonfall. Basierend auf dem Roman „Der Duft des Sommers“ von Joyce Maynard kreiert der Filmemacher sein erstes „richtiges“ Drama, das auch voll und ganz nach den klassischen Genre-Grundsätzen funktioniert. Zwar versteckt sich hier und da durchaus eine gewisse Ironie; auch charmanten Wortwitz lässt die grandios von Kate Winslet («Der Vorleser») und Josh Brolin («Oldboy») dargebotene Geschichte nicht missen. Von der eingangs erwähnten Leichtfüßigkeit fehlt in «Labor Day» jedoch jede Spur. Thematisch ist eine derartige Tragik vollkommen notwendig. Die Reitman-typischen Schwelgereien finden sich stattdessen in der visuellen Inszenierung wieder, die den Film schlussendlich eben doch zu einem „typischen Reitman“ machen.
Adele Wheeler (Kate Winslet) lebt seit der Trennung von ihrem Mann mit ihrem 13-jährigen Sohn Henry (Gattlin Griffith) völlig zurückgezogen in ihrem Haus, das sie nur selten verlässt. Am Tag vor dem Labor-Day-Wochenende kann Henry sie zu einem seltenen Shoppingtrip in einen Supermarkt überreden – nicht ahnend, dass dieser Ausflug ihr Leben für immer verändern wird. Während des Einkaufs wird Henry von einem Fremden angesprochen, der seine Hilfe fordert: Frank Chambers (Josh Brolin) ist ein verletzter Häftling, der auf der Flucht vor der Polizei ist und ein Versteck sucht. Adele ist hin und her gerissen zwischen Angst und Interesse, gewährt dem Flüchtling aber Zuflucht. Zwischen den beiden entwickelt sich eine faszinierende Anziehung, und völlig überraschend entdecken Adele und Frank verloren geglaubte Gefühle und ihre Leidenschaft für das Leben und die Liebe neu. Henry aber, der sich seit langem eine Veränderung für seine Mutter gewünscht hat, begegnet dieser plötzlich mit Skepsis. Die zerbrechliche Zuneigung zwischen Adele und Frank wird auf eine harte und gefährliche Probe gestellt… es ist die Ruhe vor dem Sturm!
Als Anfang Januar die Golden-Globe-Nominierten in der Kategorie „Beste Schauspielerin Drama“ bekannt gegeben wurden, staunte die Kinowelt nicht schlecht. Wie aus dem Nichts schlich sich Kate Winslet für ihre Rolle in «Labor Day» ins Teilnehmerfeld. Zwar entpuppte auch sie sich rasch als chancenlos gegen Frontrunnerinnen wie Cate Blanchet oder Sandra Bullock, dennoch sollte es ihr gelingen, ein Statement zu setzen: Jason Reitman denkt gar nicht daran, sich auf seiner Erfolgswelle auszuruhen. Stattdessen liefert er auch mit «Labor Day» das von ihm erwartete Quality-Kino ab. Dabei profitiert sein neustes Werk mehr denn je von seinen Schauspielern, welche die ab und an in etwas zu seichte Gewässer abdriftende Handlung jederzeit wieder zurück zum Anspruch zu holen wissen.
Kate Winslet spielt ihre melancholisch-depressive Rolle derart einfühlsam und auf den Punkt, dass ihr anklingender Wandel, zurück zu einer selbstbewussten Frau, alsbald sogar zu Tränen rührt. Die zarte Schauspielerin agiert an der Seite des grobschlächtig anmutenden Josh Brolin, der sein visuelles Erscheinungsbild zuletzt im US-amerikanischen Remake des asiatischen Thriller-Klassikers «Oldboy» zur Schau stellen durfte. Treffender hätte man die Rolle des von Hass getriebenen Racheengels nicht besetzen können. In «Labor Day» kokettiert der Regisseur ganz bewusst damit, dass ein entflohener Sträfling etwas Angsteinflößendes an sich haben muss. Brolin ist da unweigerlich sicher eine der ersten Wahlen. Gemeinsam ergibt sich aus dieser Paarung nicht etwa das schwarz-weiß gezeichnete Bild zweier Liebende, die sich durch die Gegensätze des jeweils anderen angezogen fühlen. Stattdessen spielt jeder von ihnen mit den Sympathien und Antipathien seines Gegenübers, wobei lange Zeit unklar ist, ob Brolins Charakter gut oder böse ist. Unterstrichen werden sämtliche Verwicklungen vom teils entwaffnend ehrlichen, dann aber wieder süffisanten Off-Kommentar des charismatischen Newcomers Gattlin Griffith («Green Lantern»). Angesteckt von der Depression seiner Mutter und jederzeit um die Aufmerksamkeit seiner getrennt lebenden Eltern ringend, erinnert seine Darbietung des pubertierenden Henry an Liam James‘ Performance in der großartigen Coming-of-Age-Tragikomödie «Ganz weit hinten». Mit seinen dreizehn Jahren ist seine Leistung mit der seiner erwachsenen Kollegen ebenbürtig. Angst, Hoffnung, Freude: Griffith spielt all diese Emotionen nicht, er lebt sie. Vor allem in der letzten halben Stunde offenbart sich die sicher auch altersbedingte, innere Zerrissenheit seiner Figur: So gehen die rührendsten Momente auf das Konto dieses unfassbar talentierten Jungspunds.
Foto: Paramount
Regisseur Jason Reitman inszenierte bereits Filme wie «Up in the Air», «Juno» und «Young Adult». Für seinen neuen Film "Labor Day" brauchte er Schauspieler, die die Balance zwischen Lovestory und Thriller perfekt zu halten wissen. Die Wahl fiel schnell auf Josh Brolin und Kate Winslet, die Reitman mit ihrer abwechslungsreichen Vita überzeugten.
Die Story offenbart bei genauerem Hinsehen einige oberflächliche Lücken. Wenn Kate Winslet ankündigt „stärker zu sein, als man glaube“ und Brolin daraufhin entgegnet, „daran keine Zweifel zu haben“, schrammt «Labor Day» schon mal ganz knapp am typischen Rosamunde-Pilcher-Schmonzetten-Kitsch vorbei. Erst recht dann, wenn Brolins Charakter sogar ankündigt, „noch einmal 20 Jahre ins Gefängnis zu gehen“, wenn er dafür „nur noch drei Tage mit seiner Angebeteten verbringen“ könne. Doch zum Naserümpfen laden derartige romantische Geständnisse vor allem deshalb nicht ein, weil das Publikum zu keinem Zeitpunkt an den Gefühlen der beiden Protagonisten zweifelt. Josh Brolin und Kate Winslet legen mit ihrer Performance solch eine Tiefe in die Charaktere, dass die auch ab und an ein wenig zu schwülstig ausfallende Liebesschwüre nicht in unfreiwillige Komik abrutschen. Eine anderorts sogar als „Pfirsich-Porno“ bezeichnete, zugegebenermaßen äußerst ausladende Szenerie, in der die nach und nach zur Familie zusammenwachsende Zweckgemeinschaft einen Kuchen backt, steht stellvertretend für die Schwächen, welche die Darsteller mit ihren Stärken auszugleichen wissen.
Während es wohl am ehesten von der persönlichen Kitsch-Schmerzgrenze des Publikums abhängt, welch emotionale Bandbreite besagte Kuchen-Szene entfaltet, offenbart eine andere wiederum die ganz großen Stärken von «Labor Day». Wenn Josh Brolin den behinderten Nachbarsjungen im Rollstuhl durch den Garten fährt und ihm – augenscheinlich zum allerersten Mal – die Faszination der Natur näherbringt, wird «Labor Day» für einige Minuten zu „Jason Reitman und wie er die Welt sieht“. Der Regisseur schafft es mithilfe von Kameramann Eric Steelberg («Juno»), das Besondere im Alltäglichen einzufangen. Ob die durch die Baumwipfel lukenden Sonnenstrahlen, das daraus resultierende Schattenspiel oder das Konzentrieren auf die faszinierenden Mimiken der von der Umgebung beeindruckten Charaktere: Derartige Schwelgereien sind von solch einer ehrlichen Intensität, dass es melancholische Musikuntermalung oder dergleichen gar nicht braucht. In diesen Momenten macht Reitman die stellenweise auftretenden, dramaturgischen Schwächen ungeschehen.
Fazit: Während die Inszenierung des Films nicht rundum perfekt ist, gestalten die grandiosen Darsteller ihn beachtlich intim. Vielleicht ist «Labor Day» gerade dadurch das bislang emotionalste Werk Jason Reitmans.
«Labor Day» ist ab dem 8. Mai in ausgewählten deutschen Kinos zu sehen.