Im neuen Bremer «Tatort» müssen die Kommissare Postel und Stedefreund im Dreck wühlen. Die Hände machen sich dabei aber andere schmutzig.
Cast und Crew
Vor der Kamera:
Sabine Postel («Bis nichts mehr bleibt») als Hauptkommissarin Inga Lürsen, Oliver Mommsen («Sie hat es verdient») als Kommissar Stedefreund, Camilla Renschke als Helen, Matthias Brenner («Das Leben der Anderen») als Dr. Katzmann, Jacob Matschenz («12 Meter ohne Kopf»), («Dreileben») als Sascha,
Roeland Wiesnekker («3096 Tage») als „Papa“ Uwe Frank
Genija Rykova als Yvonne
Hendrik Arnst («Absurdistan») als Pavel Symanek
Patrick Abozen als Tarik
Hinter den Kulissen:
Regie: Florian Baxmeyer, Buch: Erol Yesilkaya, Boris Dennulat und Matthias Tuchmann, Musik: Jakob Grunert, Kamera: Marcus Kanter, Schnitt: Friederike Weymar, Produktion: Bremedia Produktion, ARD Degeto
60 Jahre, 30 «Tatorte» -- eigentlich gibt es gleich zwei Gründe für Sabine Postel zu feiern. Doch trotz Geburtstag und Jubiläum als Tatort-Kommissarin Inga Lürsen, teilte die Schauspielerin im Interview mit der
Berliner Morgenpost nicht nur mit, dass sie sauer ist, wenn es jemand wagt sonntags zur besten Sendezeit anzurufen, sondern auch, dass ihr das dreißigste Jubiläum beim Drehen gar nicht bewusst war. Angesprochen wurde sie auch auf Einschaltquoten und erklärte, dass sie natürlich „morgens in den Quotenmeter gucke“, zeigte aber trotzdem dass ihr die Abhängigkeit von Zuschauerzahlen gehörig auf die Nerven geht. Dabei brauchte sich der Bremer «Tatort» quotentechnisch mit über zehn Millionen Zuschauern in der letzten Folge nicht wirklich zu verstecken und auch inhaltlich hätte es jüngst schlechter aussehen können.
Was die Krimi-Reihe anbelangt muss einem also nicht Bange um Bremen sein, im neuesten Fall «Alle meine Jungs» sollte man sich dafür umso größere Sorgen um den Zustand der Hansestadt machen. Die wird nämlich dominiert von einem Müllkartell, das Seinesgleichen sucht. Weil der Müllmann Maik Decker offenbar nicht mit allem einverstanden war, was seine Kollegen so taten, beseitigen diese Decker kurzerhand. Die Kommissare Inga Lürsen und Stedefreund (Oliver Mommsen) übernehmen den Fall, und versuchen nach und nach die komplexen Strukturen hinter der Fassade des Entsorgungsunternehmens zu ergründen. Klingt nicht wirklich innovativ – ist es auch nicht, zumindest was die Handlung betrifft. Weil der Zuschauer sich aber von der Geschichte dennoch fesseln lässt, tut das nicht wirklich weh. Schade ist jedoch, dass die Erzählung ein wenig zu früh zu weit fortgeschritten ist.
Gerade technisch versuchen sich die Macher im Gegensatz zur Story an einer ganzen Reihe von Experimenten. Allein die Musikauswahl ist überraschend vielfältig und modern. Vom treibenden Rap-Beat bis zum souligen Gospelchor ist einiges vorhanden. Tatsächlich sind die Szenen auch gut gewählt. Der Tonschnitt allerdings übertreibt es mit der Experimentierfreude doch an manchen Momenten ein wenig und trifft nicht immer die richtige Sekunde. Besser sitzt da schon der Bildschnitt, der in einer Szene besonders ins Auge fällt, und zwei Handlungsaspekte genial gegeneinander spielen lässt, nämlich genau dann als Bewährungshelfer Uwe Frank (Roeland Wiesnekker) befragt wird und zeitgleich eine Prügelei stattfindet.
Was deutlich wehtut ist die Darstellung der Müllmänner. Diese werden auf primitivste Weise gezeigt: Saufgelage und eine Stripperin als Geburtstagsgeschenk, ein Töchterchen, das auf den Namen Rihanna hört und das E-Mail Passwort fickfrosch71 sind leider nur einige Beispiele, wie Autoren mit Klischees um sich werfen können. Diese misslungene Charakterisierung macht es schwer, die Leistung der Darsteller zu beurteilen. Immer dann aber, wenn die Figuren wirklich auch als Individuen auftauchen und nicht als Masse oder verlängerter Arm ihres Despoten agieren, trumpfen sie schauspielerisch auf. Ob der Konzeption des Film ist das allerdings eher die Ausnahme denn die Regel. Das schauspielerische Highlight ist aber ohnehin die Darstellung von Roeland Wiesnekker. Er spielt ein beeindruckendes Arschloch auf kongeniale Art und schafft es seine Rolle so perfide darzustellen wie es die Figur verlangt, aber wie es gleichzeitig nur wenige hinbekommen hätten.
Wie man es vom «Tatort» nunmal kennt, muss dann eben doch die Handlung für die kommenden Episoden vorangetrieben werden, gerade in dieser Folge wirkt das gelegentlich störend und erzwungen. Typisch für Bremen wird eventuell auch einmal zu oft „Moin“ gesagt. Der geneigte Zuschauer kennt das. Insgesamt aber gibt es mal wieder nicht allzu viel, was den Bremer Kommissaren negativ anzukreiden wäre. Gut, es mag übertrieben erscheinen, wenn die Polizei kurzerhand beschließt in der gesamten Stadt keinen Müll mehr einsammeln zu lassen. Doch im Endeffekt bleibt ein Krimi, dessen Ende möglicherweise Manchen vor dem Schirm unbefriedigt und einen Anderen verständnislos zurücklässt – und der vielleicht gerade deshalb gelungen ist. In diesem Sinne: Auf weitere 30 Ausgaben. Vielleicht.
«Tatort – Alle meine Jungs» ist am Sonntag, 18. Mai um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.